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Prothese und Pumps – wieso eigentlich nicht?

Prothesen-Gestaltung: Generative Verfahren schaffen viele Freiheiten
Prothese und Pumps – wieso eigentlich nicht?

Wegen ihrer vorbildlichen Gestaltung ist die Nextep-Prothese in einem spanischen Design-Museum ausgestellt. Dabei sieht sie nicht einmal immer gleich aus. Die Entwickler haben darauf geachtet, dass sie individuell zu ihrem Träger passt.

Müssen alle Prothesen im Prinzip gleich aussehen? Nein, die Form, die Farbe und gegebenenfalls sogar ein Lüftungsschlitz in Mickey-Mouse-Optik sind Elemente, die sich heute fertigen lassen und dem Träger vielleicht sogar ein Lächeln entlocken.

Um solche Gedanken in die Praxis zu übertragen, sind vor einigen Jahren Forscher vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA angetreten. Auf der Basis generativer Fertigungsverfahren haben sie ein neues Prothesenmodell entwickelt: Nextep heißt es, und es lässt sich individuell an den Körper und an den Lebensstil eines Patienten anpassen.
Als Designer hat Jannis Breuninger, Absolvent der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd, in dem Projekt mitgearbeitet. Die Gestaltung von Nextep, einer Oberschenkelprothese aus nur zwei Teilen, war seine Diplomarbeit. „Die Prothese sollte nicht wie ein Fremdkörper wirken, sondern die Form des natürlichen Beins aufnehmen, ohne sie zu imitieren“, erinnert er sich. „Gleichzeitig musste sie in Bezug auf die Funktionalität in höchstem Maße an die Bedürfnisse der Amputierten angepasst sein.“
Die Idee des Einzelstückes haben die Stuttgarter dabei sehr weit vorangetrieben. „Bisher hat der Orthopädiemeister mit viel handwerklichem Geschick natürlich auch schon die Prothese passend zum Gliedmaßen-Stumpf jedes einzelnen Patienten ausgeformt“, sagt Andreas Grzesiak, der am Fraunhofer IPA die Gruppe leitet, in der Nextep entwickelt wurde. Neu ist nun, dass von Anfang an Computer und Fertigungstechnik kombiniert werden, um am Ende mehr als Funktionalität zu bieten.
Die Basisdaten für die Nextep-Prothese entstammen einem 3D-Scan des Beinstumpfes, was die Anzahl der Anprobe-Termine für eine neue Prothese verringern soll. Noch sitzt diese zwar nicht auf Anhieb, wie Grzesiak einräumt. Aber für die Zukunft, so hofft er, wird beim Scannen nicht nur die Oberfläche erfassbar sein, sondern auch die Position der Knochen im Bein. „Mit diesen Daten, ergänzt durch Messungen am gesunden Fuß, können selbst die individuellen Bewegungsabläufe in der Prothese berücksichtigt werden – damit diese gleich beim ersten Anprobieren passt.“
Eine solche Freiheit bei der Prothesengestaltung ermöglichen nach Angaben des Stuttgarters nur generative Fertigungsverfahren. Eine auf diese Weise aus Polyamid hergestellte Prothese hat übrigens einen weiteren Vorteil für den Patienten. Sie ist leicht und nimmt kaum Wasser auf, so dass sie gut zum Schwimmen genutzt werden kann.
Die Lebensgewohnheiten des Einzelnen zu beachten, ist denn auch ein wichtiges Ziel bei der Entwicklung gewesen. „Wir müssen natürlich die für das Gewicht und die Größe des Patienten richtigen Maße einhalten und erfüllen auch alle diesbezüglichen Normen. Aber“, und das betont Grzesiak, „wir können nun auch Wünsche eines Patienten zur Form und zur Farbe umsetzen, und vielleicht ist eine kleine Tasche irgendwo an der Prothese für ihn wichtig.“ Oder eine Patientin möchte auch mal was anderes als flache Schuhe tragen. Selbst das kann die Prothese mitmachen.
Besonders aufwendig sei das alles nicht, sagen die Stuttgarter. Die Forscher haben mittlerweile aus allen Möglichkeiten, die sie im Lauf der Zeit simuliert und durchgerechnet haben, einen ganzen Baukasten erstellt, aus dem sich schon viele Besonderheiten einfach auswählen lassen.
Viele Inspirationen für diesen Baukasten entstammen der Bionik. „Die Formen, die die Evolution in so langer Zeit entwickelt hat, sind schon optimiert und ideal, um sie auf Prothesen zu übertragen“, meint Grzesiak. Und mit generativen Verfahren lassen sie sich sogar mit vertretbarem Aufwand umsetzen.
Eine weitere Ideenquelle sind Projekte aus der Automobilindustrie, die im Fraunhofer-Verbund gelaufen sind und aus denen die Stuttgarter ihre Schlüsse ziehen. Konkret werden Grzesiaks Auskünfte an dieser Stelle nicht, da aus den Industrieprojekten nur eingeschränkt berichtet werden darf. Aber dass ein Gelenksystem für eine Prothese anhand von Lösungen aus dem Maschinenbau verbessert wird, kommt schon mal vor.
Auch für die Nextep-Prothese gibt es bereits einen Industriepartner, die F. Gottinger Orthopädietechnik GmbH, die bestimmte Entwicklungen exklusiv nutzt. „Wir arbeiten aber gern mit weiteren Unternehmen zusammen“, sagt Grzesiak, „und die Erkenntnisse zu Design und Fertigung können wir hierfür auch nutzen.“
Die Nextep-Prothese wird seit dem 5. Mai 2010 im Rahmen der Ausstellung Working Prototypes im Design-Museum „Disseny Hub Barcelona“ (DHuB) ausgestellt. Die dort gezeigten Exponate geben einen Überblick über die Konzeption unterschiedlicher Designlösungen und deren Herstellung. Darüber hinaus bieten sie den Besuchern die Möglichkeit, sich ein Bild vom aktuellen Stand generativer Fertigungstechnologien zu machen und zu sehen, wie das Design den Produktionsprozess beeinflusst.
„Ein gutes Designkonzept kann einen hohen Qualitätsanspruch illustrieren und den Wert eines Produkts für den Kunden steigern“, fasst Designer Jannis Breuninger zusammen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Fraunhofer IPA www.ipa.fraunhofer.de Dipl.- Ing. Andrzej Grzesiak, E-Mail: andrzej.grzesiak@ipa.fraunhofer.de Dipl.-Des. (FH) Jannis Breuninger, E-Mail: jannis.breuninger@ipa.fraunhofer.de

Ihr Stichwort
  • Moderne Fertigungsverfahren
  • Modisches oder sportliches Design
  • Inspiration aus Bionik und Industrie
  • Industriepartner aus der Orthopädietechnik willkommen

  • Design nicht nur für Prothesen
    Was für eine Prothese vielleicht noch offensichtlich erscheint – dass sie den Anforderungen des Nutzers gerecht werden muss –, ist für den Geräte- und Anlagenbau zwar genauso richtig, aber noch lange nicht der Alltag. Daher nutzen die Stuttgarter Forscher ihr Wissen auch für diesen Industriebereich.
    So lassen sich schon in den ersten Phasen der Produktentwicklung beispielsweise einer Anlage für die Laborautomation die bestmöglichen Bedienkonzepte definieren. Ohne Simulation läuft auch hier nichts. Und neben der Ergonomie spielen in diesem Bereich auch Energieeffizienz und Flexibilität eine Rolle.
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