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Nicht bloß ein Feld für Biomaterialien

Regenerative Medizin: Eine Herausforderung für Werkstoffexperten
Nicht bloß ein Feld für Biomaterialien

Die regenerative Medizin versucht, die Heilungsprozesse des Körpers zu nutzen. Werkstoffen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Zum Einsatz kommen Biomaterialien, aber auch klassische Werkstoffe mit neuen Eigenschaften.

Die Medizin hofft, mit Hilfe der regenerativen Medizin in den nächsten Jahren nicht heilbare Krankheiten lindern oder gar heilen zu können. „Um dies zu erreichen, ist sie auf Werkstoffe angewiesen, die das Regenerationspotenzial des Körpers verstärkt zu nutzen in der Lage sind“, sagt Professor Stefan Mayr, Leiter des Forschungsbereichs „Tissue Engineering und Materialwissenschaften“ am Translationszentrum für regenerative Medizin (TRM) Leipzig.

Die Zahl der möglichen Werkstoffe ist groß. Biologischen Ursprungs sind dabei Spinnenseiden, die für die Herstellung von Scaffolds genutzt werden. Dabei handelt es sich um die Gerüste, auf deren Basis die Besiedlung von Zellen zur Züchtung von Gewebe erfolgt. Das so genannte Tissue Engineering beschäftigt sich mit der Kultivierung von lebendem Gewebe zur Wiederherstellung geschädigter Gewebe oder Organe. Durch die Proteine lässt sich das Zellwachstum gezielt beeinflussen. Doch auch hier ist Materialexpertise gefragt. So setzt das Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien für Scaffolds Fasern der weißen Bombyx-mori-Seidenraupe für den Einsatz als vorderes Kreuzband ein. Deren spezielle Seidenart bestehen allerdings aus bis zu 28 % aus dem Protein Sericin, das eine antigene Reaktion bewirken kann. Daher werden die Seidenscaffolds degummiert. Das heißt, der Sericinmantel wird entfernt. Die Bruchkraft und die Steifigkeit der nassen degummierten Seide, so das Ergebnis, liegt dabei sehr nahe an den Werten für humane Kreuzbänder.
Auch andere Biomaterialien stehen hoch im Kurs für die Herstellung von Scaffolds. Gemeint sind damit alle Materialien, die mit dem menschlichen Körper interferieren, um ein Gewebe, Organ oder eine Körperfunktion zu messen, behandeln, unterstützen oder ersetzen. Dazu gehören eine Vielzahl von Polymeren, deren Biokompatibilität belegt ist. An der Leibniz Universität Hannover werden beispielsweise Polymerlösungen oder -schmelzen zur Herstellung hybrider Protein-Polymer-Scaffolds erprobt. Denn die Herstellung elektrogesponnener Fasermatten aus reinen Proteinlösungen gilt als prozesstechnisch schwierig und teuer. Als Polymer eignet sich Polyethylenoxid (POE), da es wasserlöslich ist und die Proteine dadurch nicht denaturiert werden. Für das Elektrospinning-Verfahren wird die Polymerlösung oder -schmelze mit Hilfe eines elektrischen Feldes in Nano- und Submikronfasern überführt. Überdies lassen sich durch das Einbinden anorganischer Substanzen wie Goldpartikel in Nanoform das Zellwachstum weiter fördern.
Mayrs Team in Leizpig konzentriert sich vor allem darauf, adaptive Materialien mit neuen Eigenschaften in der regenerativen Medizin zu etablieren. Smart Materials nennt er sie. „Das heißt, die Materialien können sich an die Bedingungen im Körper anpassen“, erklärt er. Dazu gehören magnetische Formgedächtnismaterialien. Diese besitzen die Eigenschaft, ihre Form zu ändern, wenn ein äußeres Magnetfeld angelegt wird.
„Klassische Formgedächtnismaterialien, wie sie etwa für Zahnspangen verwendet werden, haben das Problem, dass sie zur Formänderung eine Temperaturänderung benötigen, was im Körper nur bedingt möglich ist. Ihr Einsatzbereich ist dadurch relativ eingeschränkt“, so Mayr. Bei den magnetischen Formgedächtnismaterialien hingegen lässt sich die Formänderung durch ein für den Körper harmloses Magnetfeld induzieren. „Bisher hatten Materialwissenschaftler hier noch Arbeit zu leisten, doch mittlerweile können sie für medizinische Anwendungen genutzt werden.“ Vorstellbar sind beispielsweise Zahnimplantate: Während des Einsetzens wird ein Magnetfeld angelegt und anschließend abgeschaltet. Dadurch verändert der eingesetzte Stift seine Form und passt sich dem Kiefer an. Auch bei Knochenbrüchen könnten diese Materialien hilfreich sein, da man mit Hilfe des Magnetfelds die Klammern nachziehen kann.
Die bekannteste Legierung mit diesen Eigenschaften besteht aus Nickel, Mangan und Gallium. Sie ist allerdings toxisch. Daher hat das TRM Leizpzig ein neues Material auf Basis von Eisen-Palladium entwickelt. „Es ist biokompatibel und korrosionsbeständig, Zellen und Knochen lassen sich daran andocken“, sagt Mayr.
Außerdem arbeitet das TRM Leizpig an der Erforschung und dem Feintuning magnetischer Nanocluster, auf deren Basis sich neue Anwendungen mit maßgeschneiderten Clustern etablieren lassen sollen. Mayr denkt beispielsweise an Cluster für die Medikamentenverteilung im Körper. An die Oberfläche andockende Antikörper lassen sich damit gezielt an die Stelle im Körper bringen, an denen sie benötigt werden. Auch die magnetische Diagnostik würde damit möglich: Mittels Magnetresonanztomographie ließe sich eruieren, wohin ein Cluster mit Antikörpern wandert, wo also der Entzündungsherd steckt.Umgekehr könnte durch ein extern angelegtes Wechselfeld ein Heizeffekt erreicht werden, der erkranktes Gewebe gezielt abtötet.
Als magnetische Cluster in der Medizin werden heute bereits teilweise Eisenoxidpartikel benutzt. „Allerdings ist hier noch einiges an Optimierung möglich. Beispielsweise ist deren Größenverteilung sehr breit und die magnetischen Eigenschaften nicht ganz optimal. Unser Ziel ist es, rein metallische Cluster mit einer engen Größenverteilung zu synthetisieren“, sagt der Professor. Beschichtet werden die magnetischen Nanopartikel mit biokompatiblen Materialien wie Polymeren oder Edelmetall wie Gold oder Siliziumdioxid. Alle drei Materialien lassen sich mit bekannten Verfahren so funktionalisieren, dass Medikamente oder Antikörper daran andocken.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
Das TRM Leizpig betreibt Feintuning für magnetische Nanocluster

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  • Regenerative Medizin
  • Tissue Engineering
  • Polymere
  • Magnetische Formgedächtnismaterialien
  • Magnetetische Nanocluster
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