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Kaltes Plasma erzeugen und in der Medizin nutzen

Perspektiven für Plasma in der Medizin
Auf das richtige Plasma-Design kommt es in der Medizin an

Um kaltes Atmosphärendruckplasma medizinisch zu nutzen, muss klar sein, welche Art von Plasma ein Gerät erzeugt. Einflussfaktoren gibt es viele, wie Jens Kirsch, Geschäftsführer des Medizinprodukteherstellers Terraplasma Medical, erläutert. Doch die Vielfalt bietet auch die Chance, das Plasma auf verschiedene Nischen abzustimmen.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Kirsch, Ihr Unternehmen bietet Medizinprodukte an, die Plasma generieren. Wofür lässt sich Plasma nutzen?

Kaltes Atmosphärendruckplasma, wie es in unseren Geräten erzeugt wird, eignet sich zum Beispiel zur Behandlung von entzündeten Wunden. Das können akute Verletzungen oder post-operative Wunden sein, auch ein diabetischer Fuß oder ein Druck-Dekubitus oder ein künstlicher Zugang, ein so genannter Port. Das Plasma wirkt gegen die Krankheitserreger, die die Entzündung auslösen, und es stimuliert die Zellen, die die Wundheilung übernehmen. Seit Mai 2021 ist auch ein Gerät zugelassen, mit dem Hauterkrankungen wie Akne, Rosazea oder Dermatitis behandelt werden können. Dabei ist das Basisgerät, das das Plasma erzeugt, das gleiche, aber die Aufsätze, die das Plasma an die behandelten Stellen leiten, variieren.

Wie wird das Plasma im Gerät erzeugt?

Wir haben die Plasmaquelle aufgebaut aus einer gitterförmigen Elektrode, einer Keramikschicht und einer flächigen Elektrode auf der Rückseite, zwischen denen eine Spannung angelegt wird. Wenn das Plasma zündet, werden Elektronen freigesetzt, die die Moleküle der in der Luft vertretenen Gase ionisieren, vor allem Stickstoff und Sauerstoff. Diese reagieren und bilden reaktive Spezies, zum Beispiel NO2-. Es können aber unter diesen Bedingungen eine ganze Reihe von Verbindungen entstehen. Das hängt von sehr vielen Details ab: von den Materialien, aus denen die Plasmaquelle besteht, von den Abständen zwischen den Gitterelementen und deren Dicke, von der Spannung und der Frequenz, von den umgebenden Gasmolekülen, von der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit. Das gibt uns grundsätzlich die Möglichkeit, sehr viele verschiedene Formen von Plasma zu erzeugen, es regelrecht zu designen. Ein als Medizinprodukt zugelassenes Gerät erzeugt natürlich immer die gleiche Art von Plasma.

Wenn Sie zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit bei der medizinischen Anwendung nicht beeinflussen können: Wie lässt sich sicherstellen, dass das Plasma das Gewünschte ist?

Wir haben einen Algorithmus zum Patent angemeldet. Mit einigen gemessenen Parametern lässt sich darüber feststellen, ob die Umgebungsbedingungen innerhalb der festgelegten Bandbreite liegen, die wir brauchen, um das gewünschte Plasma zu erzeugen. Das ist ein wichtiger Faktor für die Sicherheit. Wobei das Gerät recht robust ist und bis zu 40 °C und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit eingesetzt werden kann. Sollten die Bedingungen jedoch einmal nicht stimmen oder die Plasmaquelle verschmutzt sein, gibt das Gerät eine Fehlermeldung aus, und es wird kein Plasma gezündet.

Welcher technische Fortschritt könnte die Plasmaerzeugung noch verbessern?

Es wäre gut, wenn wir die analogen Transformatoren durch solche auf Halbleiterbasis ersetzen könnten. Wir müssen ja von den 7 Volt Gleichstrom der Batterie auf 3,5 Kilovolt bei 4 Kilohertz Wechselstrom hochtransformieren. Das ist eine elektrotechnische Herausforderung. Entsprechende Prototypen gibt es sogar schon. Sie einzusetzen, wird allerdings eine erneute Zulassung des Gerätes erfordern.

Wie wirkt das Plasma?

Wenn die reaktiven Spezies auf Moleküle treffen, sei es in Zellen, in einer Flüssigkeit oder an der Zellhülle von Mikroorganismen, reagieren sie mit den dortigen Substanzen. Dazu, was dann genau passiert, gibt es verschiedene Theorien – aber der messbare Effekt ist, dass Mikroorganismen und auch Viren inaktiviert werden. Dabei gibt es ein therapeutisches Fenster, in dem wir die erwünschten Schädigungen bei Mikroorganismen sehen, die menschlichen Zellen aber nicht beeinträchtigt werden. Diese unterscheiden sich von denen der Bakterien in grundlegenden Eigenschaften: Es gibt andere Abbaumechanismen in den Zellen, sie sind im Zellverbund des Gewebes besser geschützt, und die Erbsubstanz ist im Zellkern nochmals von einer Hülle umgeben, die bei Bakterienzellen fehlt.

Welche Wundfläche lässt sich mit einem Plasma erzeugenden Gerät behandeln – und wie lange dauert die Behandlung?

Wir haben für die Behandlung der Wunden einen Aufsatz von fünf mal fünf Zentimeter, der die richtige Distanz zwischen Plasmaquelle und Haut sicherstellt. Mit dieser Größenordnung der Aufsatz-Fläche erfassen wir rund 80 Prozent der chronischen Wunden. Die Behandlung dauert eine Minute, ist schmerzfrei und wird durch einen einfachen Knopfdruck in Gang gesetzt. Müssen doch einmal größere Flächen behandelt werden, wird der Aufsatz mehrmals für eine Minute in die jeweils richtige Position gebracht. Als maximale Fläche dürfen zu einem Termin rund 100 Quadratzentimeter in sechs Behandlungsschritten dem Plasma ausgesetzt werden. Das geschieht üblicherweise ein bis zwei Mal pro Woche beim Verbandwechsel. Die gesamte Behandlungsdauer beträgt etwa sechs bis zwölf Wochen.

Was passiert, wenn der Abstand zur Wunde zu groß oder zu klein ist?

Ist das Volumen zwischen Plasmaquelle und zu behandelnder Oberfläche zu gering, entstehen für unseren Anwendungsfall zu wenige reaktive Sauerstoffspezies. Ist das Volumen zu groß, entstehen sehr viele Sauerstoffspezies. Dann kommt die gewünschte Wirkung ebenfalls nicht zustande. Solche Details zeigen, dass es wichtig ist zu wissen, was man da tut, damit man eine wirksame und sichere Behandlung erreicht. Übrigens gibt es bereits die DIN SPEC 91315:2014 über Allgemeine Anforderungen an medizinische Plasmaquellen die nun zu einer DIN-Norm weiterentwickelt wird. Darin wird festgelegt, welche Anforderungen Plasma-erzeugende Geräte für die Medizin erfüllen müssen.

Sie arbeiten an einer weiteren Anwendung von Plasma, das im Rachenraum künstlich beatmeter Patienten die Belastung mit Bakterien oder auch Viren senken soll. Wie gelangt das Plasma an diesen Wirkort?

Um jeden Winkel im Rachenraum mit dem Plasma zu erreichen, brauchten wir eine andere Lösung als den Aufsatz, den wir für Wunden in der Haut verwenden. Das Plasma muss von der Quelle in den Rachen eine viel weitere Strecke zurücklegen. Wir haben verschieden Varianten auf Basis von Konvektion getestet und uns schließlich dafür entschieden, einen Lufthauch von einem halben Liter pro Minute mit medizinischer Druckluft zu erzeugen. Dieser wird auf die Plasmaquelle geführt. Dort werden die Plasmaspezies erzeugt und dann durch einen Schlauch in den Rachen geleitet, wo sie sich verteilen. Eine geeignete Behandlungszeit sind hier fünf Minuten. Allerdings sammeln wir hierzu noch klinische Daten, und eine Zulassung des Gerätes steht noch aus.

Welche Perspektiven sehen Sie für den Einsatz von Plasma in der Medizin?

Aus meiner Sicht ähnelt die Situation der des Laser, dem sich zahlreiche Nischen in der Medizin erschlossen haben. Das erwarte ich auch für Plasma, das sich mit verschiedenen Technologien und Plattformen stark variieren lässt und damit sehr gut geeignet ist, ebenfalls die Anforderungen in sehr unterschiedliche Nischen zu bedienen. Das kann die Zahnmedizin sein oder die Veterinärmedizin – wo wir schon aktiv sind, das kann aber auch die Behandlung von Infektionskrankheiten der Atemwege betreffen oder, weit in die Zukunft gedacht, ein Einsatz von Plasma in der Krebstherapie. Derzeit ist das noch Gegenstand der Forschung. Aber wenn die Basis für eine Anwendung steht, dauert es vielleicht zwei Jahre, bis die Voraussetzungen für die Zulassung eines verwandten Gerätes für eine neue Anwendung geschaffen sind. Ein Neueinstieg dauert natürlich länger.

Mehr über das Unternehmen:
www.terraplasma-medical.com


Kontakt zum Hersteller:

Terraplasma Medical GmbH
Parkring 32
D-85748 Garching
Tel: +49 (0)89 5880 553–0

E-Mail: info@terraplasma-medical.com

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