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Explosion von Aerographen für Aktuatoren

Einsatz von Graphen
Pumpen und Aktuatoren auf der Basis von Aerographen

Kontrollierbare elektrische Explosionen lassen sich mit einem neuen Verfahren erzeugen. Entwickelt hat es ein internationales Forschungsteam unter Kieler Leitung. Eine entscheidende Rolle dabei spielt Graphen. Anwendungen sehen die Entwickler bei Aktuatoren oder Bakterienfiltern.

Von diesem Material braucht es theoretisch nur 450 g, um einen Elefanten anzuheben: Diese Eigenschaft verdankt „Aerographen“ seiner einzigartigen Struktur auf Nanoebene. Optisch einem schwarzen Schaumstoff ähnlich, besteht es eigentlich aus einem feingliederigen Rohrgeflecht auf der Basis von Graphen mit zahlreichen Hohlräumen. Das macht es extrem stabil, leitfähig und fast so leicht wie Luft.

Einen großen Schritt hin zur praktischen Anwendung dieses Werkstoffes hat jetzt ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität in Kiel (CAU) gemacht. Den Forschern gelang es, Aerographen und die darin enthaltene Luft in extrem kurzer Zeit wiederholt sehr stark zu erhitzen und abzukühlen. Dieser Wechsel ermöglicht sehr leistungsfähige Pumpen, Druckluftanwendungen oder entkeimende Luftfilter im Miniformat.

Aerographen besteht im Grunde fast nur aus Luft

„Als wir diese Materialien zum ersten Mal vorgestellt haben, war es die bis dato leichteste Materialklasse der Welt, mit einer Dichte von gerade einmal 0,2 Milligramm pro Kubikzentimeter. Weil das praktisch Luft ist, haben wir sie ‚Aeromaterialien‘ genannt“, erinnert sich Rainer Adelung. Der Professor für Funktionale Nanomaterialien an der CAU hatte die 2012 erstmals präsentierten Materialien gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität Hamburg-Harburg entwickelt. Ihre faszinierenden Eigenschaften sorgten schon damals für weltweites Interesse und wurden seitdem intensiv weiter erforscht, unter anderem in der europäischen Großforschungsinitiative Graphene Flagship.

Die neue Studie zeigt Möglichkeiten, wie Aeromaterialien in die Anwendung gebracht werden könnten. Das Forschungsteam aus der Kieler Materialwissenschaft hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität Dresden, University of Southern Denmark, University of Trento, Queen Mary University of London weitere Eigenschaften entdeckt, die Innovationen in Pneumatik, Robotik oder Luftfiltertechnik ermöglichen.

Aerographen lässt sich extrem schnell aufheizen und abkühlen

„In unseren Experimenten haben wir festgestellt, dass sich Aeromaterialien aus Graphen und anderen leitfähigen Nanomaterialien mit bis zu mehreren hundert Grad in der Millisekunde elektrisch aufheizen lassen, ohne dabei zerstört zu werden“, erklärt Dr. Fabian Schütt von der CAU. Er hat die Experimente zusammen mit Dr. Florian Rasch geleitet und durchgeführt. Dafür nutzten die Materialwissenschaftler das Aeromaterial „Aerographen“, das aus wenigen Lagen Kohlenstoffatomen und zu 99,9 % aus Luft besteht.

Beim Erwärmen des Materials erhitzt sich auch diese Luft extrem schnell  und dehnt sich aus. Bei einer sehr schnellen Erwärmung kommt es zu einer rapiden Volumenausdehnung, man spricht von einer „Explosion“. „Damit sind wir jetzt in der Lage, mithilfe von Aerographen kontrolliert und wiederholt kleine Explosionen auszulösen, die keine chemische Reaktion benötigen“, fasst Schütt ihre Ergebnisse zusammen.

Mehrere Explosionen pro Sekunde sind mit dem speziellen Graphen möglich

Denn fast genauso schnell wie es sich erwärmt hat, kühlt Aerographen auch wieder ab, sobald die Stromzufuhr abgeschaltet wird. „Aufgrund seiner extrem niedrigen Wärmekapazität kann es kaum Wärme speichern und gibt sie über seine Netzwerkstruktur sehr schnell wieder an die enthaltende Luft ab“, so Schütt weiter.

Das schnelle Erwärmen und Abkühlen des Materials ermöglicht es den Forschenden, nacheinander mehrere Explosionen in der Sekunde auszulösen. „So erhalten wir extrem leistungsfähige Druckluft auf Knopfdruck, ohne die sonst benötigten Kompressoren und Gaszuführungen“, erklärt Adelung.

Material hielt bereits mehr als 100 000 Zyklen stand – Patent angemeldet

Diesen Effekt nutzte das Forschungsteam für neue Pumpen, die sich gezielt einstellen lassen. Auch leistungsstarke Aktuatoren im Miniformat entwickeln die Forscher. „Platziert man das Aeromaterial in einen Druckzylinder und erhitzt es per Strom, lassen sich mit dem so erzeugten Luftstoß Gegenstände gezielt und mehrmals pro Sekunde auf- und ab bewegen“, erklärt Rasch, der kürzlich seine Doktorarbeit zu dem Thema abgeschlossen hat.

In ihren Experimenten konnten die Forscher Schütt und Rasch zeigen, dass sich bereits mit einer geringen Menge an Aerographen um ein Vielfaches schwerere Gegenstände bewegen lassen. So reichten 10 mg Aerographen, um ein 2 kg schweres Gewicht in wenigen Millisekunden anzuheben. Die mit Aerographen entwickelten Aktuatoren verfügen also über hohe Leistungsdichten bei gleichzeitig großen Volumenänderungen.

„Diese kleinen elektrischen Explosionen lassen sich außerdem – im Gegensatz zu chemischen Reaktionen – sehr gezielt steuern und sind schlicht sauberer“ , sagt Rasch. „Über die Dauer und Stärke der Stromzufuhr können wir die Frequenz und Stärke der Luftstöße exakt kontrollieren.“ Dank der extremen elektrischen Leitfähigkeit von Aeromaterialien benötigen sie dafür nur wenig Strom. In den Experimenten des Kieler Teams hielt das Material bisher 100 000 Zyklen stand, ein Patent wurde bereits angemeldet.

Auch als selbstreinigende Luftfilter gegen Bakterien einsetzbar

Als ein Anwendungsbeispiel entwickelt Adelungs Arbeitsgruppe derzeit neue Luftfiltermaterialen und -systeme auf der Basis von Aerographen. Das geschieht unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Luftfahrtzulieferer Lufthansa Technik und gefördert vom Graphene Flagship. „Durch die offene Netzstruktur des Materials lassen sich sehr gut Luftströme leiten und für kurze Zeit stark erhitzen. Auf diese Weise können beispielsweise Bakterien und Viren aus der Luft gefiltert und abgetötet werden“, so Adelung. Damit könnten diese Filteranlagen selbstreinigend funktionieren und eine aufwendige Wartung zukünftig überflüssig machen.

Die Arbeit wurde finanziell unterstützt vom Graphene Flagship, dem Graduiertenkolleg 2154 Materials for Brain und von der Förderinitiative „Experiment! – Auf der Suche nach gewagten Forschungsideen“ der Volkswagenstiftung.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. rer. nat. Rainer Adelung
Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien, Institut für Materialwissenschaft
E-Mail: ra@tf.uni-kiel.de

Dr.-Ing. Fabian Schütt
E-Mail: fas@tf.uni-kiel.de

www.tf.uni-kiel.de/matwis/fnano/de

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