Startseite » Technik » Forschung »

Warum Litauen für Medizintechnik-Unternehmen interessant ist

Forschungsland Litauen
Medizintechnik-Forschung in Litauen: Ein baltischer Tiger auf dem Sprung

Unternehmen aus der Medizintechnik finden in Litauen leicht Forschungspartner. Einzigartig in dem Land ist sein offenes, interdisziplinäres Kooperationsnetzwerk. Im Bereich Medizintechnik punktet Litauen mit seinem kombinierten Know-how in Engineering, Life Sciences und IT wie auch KI.

Anke Biester
Wissenschaftsjournalistin aus Aichstetten

Litauen grenzt als einer der drei baltischen Staaten an Russland – gehört aber nicht zu Osteuropa, sondern zu Nordeuropa. So sehen es die Litauer und das ist ihnen sehr wichtig. Sie vergleichen sich lieber mit den skandinavischen Nachbarn und zum Beispiel deren Vorreiterrolle im Bereich Digital Health, als mit ihrer ehemaligen Besatzermacht aus Zeiten der Sowjetunion.

Litauen hat seit 2015 ein digitales E-Health-System

Das kommt nicht von ungefähr. Litauen hat eines der am besten ausgebauten 4G-Netzwerke Europas und 2015 ein zentrales digitales eHealth-System eingeführt. Geht es um Produktion wie auch Forschung in der Medizintechnik, punktet der südlichste der drei „baltischen Tiger“ mit seiner langen Tradition an fundiertem Know-how in den Bereichen Elektronik und Ingenieurwesen, in neuerer Zeit ergänzt durch herausragende Fähigkeiten in Softwaretechnik. Eine Kombination, die Litauen für die globalen Medizintechniktrends geradezu prädestiniert: Konnektivität und digitale Gesundheit. Und das Land weist bereits Erfolge auf: „Litauens Life Sciences Markt, inklusive seiner Medizin- und Gesundheitstechnologien, macht bereits ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus”, sagt Gediminas Koryzna, Direktor des Business Development Department von Invest Lithuania. „Die Einnahmen litauischer Unternehmen im Life Sciences Bereich wuchsen durchschnittlich um 19 Prozent jährlich und machen Litauens Life Science Industrie zu einer der schnellstwachsenden in der EU. Das Ziel des Landes: Diesen Wachstumsschwung der Life Sciences beizubehalten, um 2030 ganze fünf Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt zu erreichen.”

Das Know-how erschafft Litauen mit seinen guten Unis selbst: Laut IMD World Competitiveness Yearbook 2019 belegt es in puncto digitale/technologische Fähigkeiten weltweit Platz 1 und Platz 4 im Bereich Agilität der Unternehmen. Über 27 % der Studenten schreiben sich an den Unis für die Studienfächer Wissenschaft, Technik, Ingenieurwesen, Mathematik ein, weitere 18 % für Biomedizin.

Engagierte und lernbegierige Mitarbeiter

Das Land ist gebildet: 56 % der arbeitenden Bevölkerung haben eine Hochschulbildung, 84 % der jungen Professionals sprechen fließend Englisch. Was Litauen für Unternehmen besonders attraktiv macht, ist auch die Arbeitseinstellung. Laut einer Studie von FDI Markets (Financial Times, USA) bewerten 75 % der befragten Unternehmen die Bereitwilligkeit ihrer Mitarbeiter, „noch einen Schritt weiter zu gehen“, als „exzellent“ und ihr Engagement sowie ihre Fähigkeit zu lernen als „herausragend“.

Noch bietet das Land nicht genügend Arbeit für diese „Young Professionals“ – und einige wandern aus. Doch der Staat stellt die Weichen, um den innovationsfreudigen Talenten auch in ihrer Heimat eine Zukunft zu bieten: Durch die Förderung von Start-ups und eine einmalige offene Kooperationslandschaft zwischen Forschungsstätten und Unternehmen will es nicht nur die eigene Medtech-Industrie fördern, sondern auch ausländische Unternehmen in das Land locken: Koordiniert von der Agency of Science, Innovation and Technology, kurz MITA, besteht das offene Forschungsnetzwerk aus 14 Universitäten, 13 Forschungsstellen, 7 Wissenschafts- und Technik-Parks und 25 Open-Access-Zentren und ist damit das größte Innovations-, Infrastruktur-, Service- und Kompetenz-Netzwerk der Baltischen Staaten. Große wie auch kleine Unternehmen finden hier schnell ihren passenden Forschungspartner.

Unis und Unternehmen arbeiten erfolgreich zusammen

Auch die Unis selbst sorgen mit eigener Start-up-Förderung, offenen Netzwerken und Forschungsparks für einen guten Output an Innovationen im Bereich Medizintechnik – allen voran die Lithuanian University of Health Sciences (LSMU) in Kaunas, die größte Uni für Biomedizinische Wissenschaften des Landes, und die Kaunas University of Technology (KTU), die größte Technische Hochschule in Litauen und im Baltikum.

Ein Beispiel für eine solch erfolgreiche Zusammenarbeit ist die von Forschern der LSMU und Laserexperten von „Brolis Semiconductors” entwickelte nicht-invasive Blutuntersuchung per Laserspektroskopie: Der neue Sensor könnte, in Smartphones installiert, zu einem einfachen Bluttest werden – und einer guten Alternative zum sonst nötigen Nadelstich, zum Beispiel für Diabetiker.

Forscher aus Litauen erhielt Europäischen Erfinderpreis

Oft schaffen es auch die Forscher selbst, aus ihren Ideen marktreife Produkte zu entwickeln. So erhielt der Erfinder Prof. Arminas Ragauskas, Direktor des Health Telematics Science Institute der KTU, 2016 den Europäischen Erfinderpreis: für zwei Geräte zur Hirndruck- und Blutflussmessung. Mit ihnen können nicht-invasiv Schädel-Hirn-Traumata, Schlaganfälle und Hirntumore schnell und sicher diagnostiziert werden. Die Geräte vertreibt inzwischen Boston Neurosciences, USA.

Ein gutes Beispiel für erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit sind die Gründer von Oxipit, ein Team von fünf Forschern, mit unterschiedlichem wissenschaftlichem Hintergrund, von Mathematik über theoretische Physik, Data Science und Medizin – und im wahrsten Sinne des Wortes mehrfach ausgezeichnet im Bereich Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Die Unternehmensidee entstand auf einem Tech Hackathon in Litauen: Ein Radiologe berichtete von der zunehmenden Arbeitsbelastung und der damit verspäteten Diagnostik. Ihre Lösung nennt sich nun Chesteye. CEO Gediminas Peksys erklärt: „Nachdem die Röntgenthoraxaufnahme gemacht wurde, analysiert Chesteye automatisch die Bilder und liefert vorläufige Diagnosen samt Diagnose-Report. Der Arzt erhält diesen bereits, sobald er sich das erste Mal die Röntgenbilder anschaut. Er kann dabei der Diagnose zustimmen oder den Report mit eigenen Anmerkungen ergänzen. Das spart Zeit, hilft, übersehene Befunde zu identifizieren, und bietet dem Mediziner eine hochwertige ‚zweite Meinung‘ an.“

Zeiteinsparungen von mindestens 30 Prozent

Der Einsatz von Chesteye könnte zu Zeiteinsparungen von mindestens 30 % pro Patient führen. Ein weiterer Vorteil: Chesteye sortiert ebenfalls automatisch die Scans der Patienten nach Dringlichkeit und reduziert so die Zeit bis zur Behandlung bei zeitsensiblen Erkrankungen.

Dass Litauen von vielen noch unbemerkt bereits in der ersten Liga spielt, zeigt nicht zuletzt, dass 2018 die LSMU und die KTU zum Zentrum für Gesundheitsinnovationen des European Institute of Innovation & Technology EIT Health wurden. Litauen organisiert ebenfalls den zweijährigen Event „Life Science Baltic“. Und schließlich wird das Science and Innovations Centre der KTU, Santaka Valley, eines der größten im Baltikum, inzwischen sogar als „the new Silicon Valley of the Baltics“ gehandelt. Der baltische Tiger ist auf dem Sprung.

https://mita.lrv.lt/en/

www.oxipit.ai


Laurynas Jarukas ist Direktor des Development Department der LSMU
(Bild:Laurynas Jarukas)

Aus Expertensicht

Wir arbeiten nach einem Open Access Prinzip

Die Lithuanian University of Health Sciences (LSMU) ist im Bereich Biomedizin die größte Universität Litauens und einer der Gründer der Kaunas Clinics und des Kaunas Clinical Hospital.

Herr Jarukas, wie wichtig ist die Medizintechnik für die LSMU?

Der Life Science Markt von Litauen ist mit einem jährlichen Wachstum von 19 Prozent einer der schnellstwachsenden in der EU. Zu diesem Wachstumsprozess trägt die LSMU aktiv bei. Zurzeit steht die Bioinformatik in unserem Fokus.

Die LSMU hat zum Ziel, moderne Grundlagen sowie anwendungsnahe Forschung zu ermöglichen und vernünftig anzuwenden. Dafür stellen wir die Infrastruktur mit entsprechenden Arbeitskräften bereit. Forschung an der LSMU hat eher praktischen Charakter, wir wenden die Theorie an, um Probleme zu lösen. Und dazu bieten wir eine Vielfalt an medizintechnischen Lösungen an: von der Software bis hin zu Implantaten, Prothesen und neuen oder verbesserten biotechnologischen Produkten.

Was macht die LSMU in ihrer Arbeit gegenüber anderen Unis besonders?

Wir schaffen neue Erkenntnisse, um die Gesundheit und Lebensqualität sowohl von Menschen als auch von Tieren zu verbessern. Dabei arbeiten wir nach einem innovativen Open Access Prinzip. Das heißt, sowohl Interne als auch Externe können unser modernes Forschungsequipment nutzen, um Anforderungen von Seiten der Forschung, von Unternehmen, der öffentlichen Hand oder auch von Studien zu erfüllen. Die LSMU wird häufig von Unternehmen kontaktiert, die Ideen zu einem neuen oder verbesserten Medizinprodukt haben. Wir bieten dazu das komplette Servicepaket — vom Molekularmechanismus über die präklinische Entwicklung bis hin zur klinischen Prüfung.

Wie organisieren Sie die Kooperation von Universität, Klinik und Industrie?

Die LSMU hat eine einzigartige Struktur: Alle Aktivitäten sind an den medizinischen und veterinären Akademien implementiert. Das garantiert nicht nur einen ganzheitlichen Gesundheitsansatz, sondern bringt viele weitere Vorteile für integrierte Studien, Forschung und klinische Praxis. Dazu arbeiten wir eng mit unsren Mitgliedern zusammen: dem LSMU Gymnasium, dem LSMU Hospital Kaunas Clinics, dem Kaunas Clinical Hospital und dem Animal Research Centre. Die LSMU verfügt damit über die gesamte Ausstattung, um eine Idee zu entwerfen, sie durch verschiedenste Testphasen fertig zu entwickeln und bis zur Produktion zu bringen. Wir haben den Blick auf innovative Ideen, können sie in unseren Forschungsabteilungen entwickeln, wenn nötig an Tieren oder Modellen testen und die biomedizinischen und klinischen Tests durchführen, um am Ende das Produkt in einem unserer Partnerunternehmen herzustellen.


Forschung & Förderung
Lithuanian University of Health Sciences (LSMU)
https://lsmuni.lt/en

Kaunas University of Technology (KTU)
https://en.ktu.edu/

KTU National Innovation and Entrepreneurship Centre
https://niec.ktu.edu/

KTU open-access centre
https://oac.ktu.edu/

KTU startup space
https://startupspace-en.ktu.edu/

Inkubator „Kaunas Science and Technology Park”
http://kaunomtp.lt/en

Santaka Valley
http://www.santakosslenis.lt/en

Sunrise Valley Science
https://ssmtp.lt/en

Santara Valley2
 https://scanbalt.org/scanbalt-news/regional-portrait-santara-valley-vilnius/

Medtech Cluster
Wellness Cluster iVita
http://www.i-vita.lt/en.html

Cluster IT in der Medizin
http://klaster.lt/en/klateris/informaciniu-technologiju-medicinoje-klasteris/

Cluster Innovationen Odontologie
http://klaster.lt/en/klateris/odontologijos-inovaciju-klasteris-2/

Cluster für moderne Orthopädie und Rehabilitation
http://klaster.lt/en/klateris/pazangiu-ortopedijos-ir-reabilitacijos-priemoniu-klasteris/

Cluster Innovationen Stammzellen & Regenerative Medizin
www.kltc.lt/

Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 1
Ausgabe
1.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de