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Inspiriert vom Salamander

Regenerative Medizin: Wie sich Mediziner die körpereigene Reparaturwerkstatt zu Nutze machen
Inspiriert vom Salamander

Im Schweizer Netzwerk für Tissue Engineering and Drug Development (TEDD) züchten Forscher Zellen und Gewebe. Ihre Lösungen sind Alternativen zum technisch hergestellten Ersatz – oder sie bieten Möglichkeiten, um zum Beispiel die Wirkung von Nanoteilchen zu untersuchen.

Er ist der Traum jedes Regenerationsbiologen, der drollig wirkende, mexikanische Salamander Axolotl. Kommt ihm ein Beinchen oder ein Stück Schwanz abhanden, wachsen sie rasch wieder nach: mit funktionsfähigen Nerven, Muskeln und Skelett, ohne Narbengewebe. Auch der Zebrafisch hat sein eigenes Reparaturpotenzial. Erleidet er eine Gehirnverletzung, regeneriert sich sein Hirngewebe in wenigen Monaten.

Forscher rund um den Erdball erkunden die Mechanismen, die den Zellen die Anleitung zur Selbstreparatur geben. Mediziner würden es den beiden Tieren gern gleichtun und das Tissue Engineering – die in-vitro-Züchtung von Gewebe – nutzen, beispielsweise um patienteneigene Zellen im Labor wachsen zu lassen. Daran ließen sich zum Beispiel der Stoffwechsel beschädigter Zellen unter die Lupe nehmen und die am besten zum Patienten passende medikamentöse Therapie zu einer Krankheit wie Krebs ermitteln. Besonders faszinierend scheinen Zelltherapien, die ausgefallene Funktionen übernehmen können: Die Zufuhr von im Labor gezüchteten Zellen könnte ein Lichtblick für Diabetiker sowie Parkinson- oder Herzinfarkt-Patienten sein.
Doch während die Nachahmung einfach konzipierter Ersatzgewebe wie Knorpel, Knochen oder Oberhaut mit Tissue Engineering schon klinisch erprobt wurde, ist die routinemäßige Anwendung dreidimensionaler Gewebe immer noch eine große Herausforderung. Im Schweizer TEDD-Netzwerk (Tissue Engineering and Drug Development) arbeiten Forscher aus Akademie und Privatwirtschaft Hand in Hand an Innovationen in Gewebetechnik und Medikamenten-Entwicklung. Initiatorin des Netzwerkes ist Prof. Ursula Graf-Hausner, Dozentin und Forschungsleiterin für Zellkulturtechnik und Tissue Engineering an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil.
Ihre Gruppe kooperiert mit Prof. Simon P. Hoerstrup, Leiter der Regenerativen Medizin an der Universität Zürich. Das gemeinsame Ziel der Forscher ist es, humane 3D-Mikrogewebe automatisiert herzustellen. Sie sollen zur Regeneration des Herzmuskels nach einem Infarkt beitragen. Hoerstrup ist weltweit einer der führenden Forscher, der bioabbaubare synthetische Werkstoffe nutzt und mit ihrer Hilfe erfolgreich lebende Herzklappen aus den Zellen eines Patienten herstellt. Das Verfahren basiert auf dem Tissue Engineering in vitro – kurz TEHV. Aus dezellularisierten TEHV aus bioabbaubaren synthetischen Materialien und vaskulären Zellen soll eine gebrauchsfertige Startermatrix zur Geweberegeneration entstehen.
Als die Forscher die Wiederbesiedlungskapazität solcher TEHV in einem nicht menschlichen Primatenmodell untersuchten, zeigte sich, dass die TEHV erstaunlich schnell zellulär besiedelt werden – schneller zum Beispiel als die gebräuchlichen Homografts, also menschliche Herzklappen, von denen nur das Kollagengerüst vorgegeben ist. Damit könnten die TEHV-Materialien einen wichtigen Grundstein für die Herzklappen-Gewebetechnik legen und die Begrenzungen heute eingesetzter Herzklappen-Ersatzkonstrukte überwinden.
Ein weiteres Highlight aus dem Netzwerk TEDD ist beispielsweise die Herstellung von 3D-Osteosarkom-Modellen, eine Zusammenarbeit zwischen dem Universitätsspital Balgrist und dem ZHAW. Mit diesem Mikrogewebe aus Osteosarkom-Zelllinien und Patientenmaterial lässt sich die geeignete Chemotherapie am Modell testen und rasch evaluieren. Das soll dazu beitragen, den aggressiven Knochentumor, der vor allem Jugendliche befällt, besser zu behandeln. Erzeugt wird das Mikrogewebe nach der patentierten ‚hanging-drop‘-Methode, welche die Insphero AG entwickelt hat. Das Züchten im Tropfen vermindert die Interaktion der Zellen mit künstlichen Oberflächen. Gleichzeitig werden die erwünschten Zell-Zell-Kontakte mit anschließender Gewebebildung durch die Schwerkraft maximiert.
In einem anderen Projekt untersuchte das Adolphe-Merkle-Institut in Fribourg die Wechselwirkung von künstlich hergestellten Nanopartikeln mit biologischen Systemen, vor allem der Lunge. Im Fokus stand die Luft-Blut-Gewebeschranke. Sie ist der Ort, an dem der Austausch von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid zwischen Atemluft und Blut stattfindet. Nanopartikel überwinden dieses Hindernis und verteilen sich durch den Blutkreislauf in Körper und Organen. Eine solche Blutschranke für Tests ist kommerziell nicht verfügbar. Hilfe bot die Regenhu Ltd. Sie hatte mit der ZHAW die Bio-Factory entwickelt, einen dreidimensionalen Bio-Drucker. Damit können Forscher Zellen, Biomoleküle sowie weiche und harte Materialien in 3D-Kompositstrukturen gestalten und biomimetische Gewebemodelle nachahmen. Im Druckprozess entsteht ein Gewebe, das der in-vivo-Situation in der Lunge entspricht und sich als Lungenmodell bestens eignet.
Elsbeth Heinzelmann Fachjournalistin in Bern
Künstliche Luft-Blut-Gewebe-Schranke soll Tests mit Nanopartikeln erleichtern
Weitere Informationen Über die Insphero AG und die Hanging Drop Methode der Gewebekultur: www.insphero.com Über das Adolphe-Merkle-Institut: www.am-institute.ch

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  • Stammzellen
  • Herzklappen aus menschlichen Zellen
  • Medikamententests an Modellen
  • Nanotechnologie
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