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Festpusten statt festsaugen

Greifer: Oberflächenbehandlung künstlicher Kniegelenke geschickt automatisieren
Festpusten statt festsaugen

Wie kann ein Roboter ein künstliches Kniegelenk greifen, ohne dessen empfindliche Oberfläche zu berühren? Innen Druck anlegen und aufpusten ist eine Lösung. Bei Bedarf kann sie auch variiert und angepasst werden.

Aus der Sicht eines Ingenieurs ist das menschliche Kniegelenk – ein so genanntes Schlittengelenk – eher „suboptimal“ konstruiert: Um eine an sich einfache Drehbewegung auszuführen, werden verschleißanfällige Bänder benötigt. Und bei der Knorpelmasse, in der das Gelenk lagert, kann von „Lebensdauerschmierung“ keine Rede sein: Ihr Verschleiß ist als Arthrose bekannt.

Die Medizintechnik – genauer gesagt die Endoprothetik – kann hier bei Problemen Abhilfe schaffen, durch künstliche Kniegelenke. Im Jahr 2001 wurden allein in Deutschland rund 100 000 dieser Gelenke implantiert. 2008 waren es schon 170 000, und die Zahl wird auch in Zukunft steigen.
Für die Fertigung der Kniegelenke verwendet man Titan, das nach höchsten Qualitätsanforderungen bearbeitet wird. Das gilt auch für die Oberflächenbehandlung: Das untere Gelenkelement, das mit dem Schienbein verbunden wird, muss an der Oberseite extrem glatt sein, damit es die Drehbewegung in dem schlittenförmigen Gelenkoberteil mit möglichst wenig Reibung und somit wenig Verschleiß ausführen kann. Die Unterseite hingegen muss eine definierte Rauigkeit aufweisen, damit sie sich gut mit dem Knochenmaterial verbindet.
Die Oberflächenbehandlung solcher Teile erfolgt in einer Strahlkabine, die von einem Roboter beschickt wird. Die Vorgabe, die ein Hersteller der Kniegelenke dem Automatisierer dabei machte, lautete: Die empfindlichen Teile dürfen nicht berührt werden. Gar nicht so leicht, wenn man darüber hinaus bedenkt, dass ein Greifer im Strahlprozess kein schönes Leben hat, da er dauerhaft dem abrasiven Material ausgesetzt ist, das auch im Ruhezustand wirkt. Daher sind die Anforderungen an die Verschleißfestigkeit der Komponenten entsprechend hoch. Konventionelle Greifer sind in diesem Einsatzbereich oft schon nach Standzeiten von wenigen Wochen oder gar Tagen unbrauchbar.
Die GDC – Automation GmbH & Co. KG in Gütersloh hat aber mit derartigen Aufgabenstellungen große Erfahrung und entwickelte für den beschriebenen Roboter einen passenden Greifer. Dieser ist rohrförmig aufgebaut und positioniert sich zum Aufnehmen eines Teils über dem hohlen Schaft des Kniegelenkes. Im Rohr des Greifers befindet sich ein pneumatischer „Muskel“, der in den Hohlraum im Schaft des zuvor sorgfältig gereinigten Kniegelenkes einfährt. Dort expandiert der Muskel, schmiegt sich somit von innen an das Teil und kann es aus dem Tray entnehmen, ohne die Oberfläche des Werkstückes zu berühren.
Der Greifer führt das Gelenk dann zu einer Öffnung in der Strahlkabine. Er ist so geformt, dass er dabei zugleich die Strahlkabine abdichtet. Daraufhin erfolgt die Strahlbehandlung. Anschließend führt der Greifer das Kniegelenk einer Lasermarkieranlage zu, die die Ident-Nummer aufbringt.
Mit der mechanischen Greiferkonstruktion allein aber war die Lösung noch nicht perfekt. Mindestens ebenso anspruchsvoll waren die steuerungstechnischen Aufgaben, die GDC zu lösen hatte: Die zu bearbeitenden Teile – die Gelenkimplantate – müssen schließlich auch noch Jahre später einzeln identifiziert und ihrer individuellen Ident-Nummer zugeordnet werden können. Daher werden alle qualitätsrelevanten Parameter des Strahlprozesses unter der Ident-Nummer in einer Datenbank abgelegt. Damit wird die erforderliche Rückverfolgbarkeit gewährleistet. Die Datenbank, die mit dem Produktionsplanungs- und -steuerungssystem (PPS) des Herstellers kommuniziert, wurde ebenfalls von GDC an die individuellen Anforderungen angepasst.
Der Greifer und die komplette Automatisierungstechnik rund um die Strahlkabine sind inzwischen erfolgreich im Einsatz. Das einzige verschleißbehaftete Teil des Greifers – die Gummimanschette, die das Greifergehäuse nach unten hin abdichtet – kann vom Personal vor Ort in kürzester Zeit ausgetauscht werden.
Ähnliche Lösungen hat GDC auch für mehrere Hersteller von Endoprothesen entwickelt. Da diese aber jeweils andere Anforderungen fomulieren und auch andere Fertigungsprozesse sowie unterschiedliche Verfahren der Oberflächenbehandlung einsetzen, kommen dabei individuelle Greiferkonzepte zum Einsatz.
Gunnar Drenkelfort GDC Automation, Gütersloh
Weitere Informationen www.gdc-automation.eu

Mal eben…
… eine Bestrahlungsanlage zu automatisieren, ist nach Auskunft der Experten von GDC kaum möglich. Wenn das Strahlmaterial einen Werkstoff mit großer Stabilität erfordert, steht dem wahrscheinlich das Gewicht der Greifer entgegen – und schließlich muss auch der Roboter, der den Greifer in Position bringt, mit einer Dichtung oder einer Manschette vor Schäden durch das Strahlmittel bewahrt werden. Um mit einer Lösung auch auf lange Sicht Erfolg zu haben, muss daher im Vorfeld vieles ausprobiert werden, wovon das meiste scheitert. GDC hat damit seine Erfahrungen gesammelt und sich unter anderem auf das Automatisieren solcher Anwendungen spezialisiert, sei es in der Luft- und Raumfahrt oder in der Medizintechnik.

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