Obwohl sie nur 0,5 mm dick ist, enthält die menschliche Netzhaut über sechs Millionen Zapfen, hocheffiziente Fotorezeptoren, die Farben, feine Details und schnelle Bewegungen wahrnehmen. Hinzu kommen 120 Millionen Stäbchen, mit denen man bei Nacht und in der Peripherie sehen kann. Die Netzhaut sorgt dafür, dass ein fokussiertes Bild in eine Reihe elektrischer Impulse übersetzt wird, die dann über den Sehnerv an das Gehirn übertragen werden. Eine wichtige Aufgabe, denn damit wird einer unserer wichtigsten Sinne ermöglicht: das Sehen.
Doch was passiert, wenn die Netzhaut degeneriert oder beschädigt ist? Für Millionen von Menschen führen degenerative Netzhauterkrankungen wie Makuladegeneration oder Retinitis pigmentosa oft zu einem schweren Verlust des Sehvermögens. Dieser tritt in Form einer verschwommenen Sicht oder eines Tunnelblicks auf und kann sogar völlig erblinden lassen. Die Pionierarbeit von Nano Retina bietet Hoffnung. Das israelische Nanotechnologie-Unternehmen mit Sitz in Herzliya entwickelte ein 5 mm großes Netzhautimplantat, das durch einen risikoarmen chirurgischen Eingriff in das Auge eingesetzt wird und im Zusammenspiel mit einer besonderen Brille funktioniert.
Nano Retina hat sieben Jahre am Netzhautimplantat NR600 geforscht. Die Anforderungen an die Technologie waren eine schnelle Bilderkennung und die Umwandlung der Bilder in elektrische Impulse, die wiederum Nervenzellen stimulieren und elektrische Signale an das Gehirn senden. „Wir hatten die entsprechende Technologie bereits. Wir benötigten aber eine innovative Lösung für die hermetische Verkapselung, um das Implantat im menschlichen Körper zu schützen. Dabei waren wir auf der Suche nach einer Lösung, die über die traditionellen Verkapselungsansätze hinausgeht“, sagt Rani Mendelewicz, Vice President Forschung und Entwicklung von Nano Retina.
Laser-Micro-Bonding verbindet Glas ohne Kleber
Hier kam die Expertise von Schott Primoceler Oy aus dem finnischen Tampere ins Spiel. Das Primoceler- Team arbeitete seit Beginn des Projekts mit Nano Retina zusammen. Um das Netzhautimplantat optimal zu verkapseln, nutzen die Experten eine präzise Laser-Micro-Bonding-Technologie, bei der Glas mit Glas gebondet wird. Der Vorteil: Der Prozess funktioniert ohne jegliche Kleb- oder Zusatzstoffe und verbindet das aufeinandertreffende Glas nur an den mikrometerkleinen Kontaktpunkten.
Die innovative Technologie ermöglicht eine extreme Miniaturisierung – für Mikroimplantate ein Muss. „Das Verfahren erzeugt eine transparente Verkapselung von nur 20 bis 100 µm Dicke. Damit war es ideal für unser Miniaturgerät NR600“, sagt Mendelewicz. Eine weitere wichtige Anforderung war, dass die hitzeempfindlichen elektronischen Komponenten des Implantats während des gesamten Fertigungsprozesses geschützt werden. Während bei vielen herkömmlichen Versiegelungsmethoden das gesamte Bauteil erhitzt wird und das Implantat beschädigt werden könnte, wird beim Laser-Micro-Bonding nur ein präziser winziger Bereich erhitzt. Die Erhitzung erfolgt somit bei Raumtemperatur und damit unkritisch für die wärmeempfindliche Elektronik.
„Dank der einzigartigen Technologie von Schott Primoceler konnten wir die Entwicklung des NR600 Miniaturimplantats gemeinsam realisieren“, sagt Mendelewicz. „Das extrem stabile, biokompatible, hermetische Implantat kann in Zukunft das Leben von sehbehinderten Patienten und ihren Familien auf der ganzen Welt verändern.“
2020 wurde das NR600 Netzhautimplantat erstmals in Europa in klinischen Studien mit Patienten getestet und lieferte vielversprechende Ergebnisse. Zuvor blinde Patienten haben zum ersten Mal seit Jahren wieder Bilder gesehen. Ein Moment, der nicht nur das Leben der Patienten verändert, sondern für die gesamte Medizinbranche erstaunliche Auswirkungen hat.
Über das Verfahren
Glas-Micro-Bonding ist ein innovatives Verfahren, das vollkommen neue Möglichkeiten für die Wafer-Level Elektronik-Verkapselung auf Basis hermetischer Ganzglas-Gehäuse eröffnet. Die hermetische Verschmelzung wird durch einen extrem präzisen Laser gebildet. Hierbei wird Glas mit Glas nur an den sich berührenden Flächen miteinander verbunden – eine Fläche von nur wenigen Mikrometern –; alle anderen Oberflächen bleiben unberührt. Für Bauteile, die mit Glas-Micro-Bonding-Technologie gekapselt werden, reicht eine Baugröße von wenigen Kubikmillimetern aus.
Das Verfahren bietet flexible Implementierungsmöglichkeiten und kann für Chip-Scale bis hin zu Wafern von 12“ eingesetzt werden. Dadurch ist eine Hochskalierung der Fertigung einfach und kosteneffizient möglich.
Glas-Micro-Bonding von Schott Primoceler eignet sich für die Glasverkapselung von Implantaten und bietet eine echte hermetische Abdichtung. Speziell entwickelte Glastypen sind nicht nur biokompatibel, sondern auch HF-transparent, was eine drahtlose Daten- und Stromübertragung ermöglicht. Das hochpräzise Versiegelungsverfahren generiert so gut wie keine Wärme und ermöglicht eine extreme Miniaturisierung sowie die Fertigung von High-Tech-Bauteilen.