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B.Braun New Ventures: Neue Roboterplattform für die Chirurgie

Robotik in der Medizin
Neues Robotersystem im OP – mit wirklich vielen Sensoren

Neues Robotersystem im OP – mit wirklich vielen Sensoren
Dr. Cyrill von Tiesenhausen ist bei B. Braun New Ventures für das Business Development zuständig. Er hat an der Charité in Berlin über Navigations-systeme für die Chirurgie geforscht und war in der Industrie im Bereich bildgebender Verfahren und Robotik tätig (Bild: B. Braun)
B. Braun arbeitet an einer roboterbasierten Plattform, die Mediziner im OP unterstützen soll. Warum viele Sensoren gebraucht werden und das Konzernwissen zu Chirurgieinstrumenten dabei wichtig ist, erläutert Robotik-Experte Dr. Cyrill von Tiesenhausen.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Dr. von Tiesenhausen, was kann Robotik in der Medizin leisten?

Es gibt auf jeden Fall noch Potenzial für Anwendungen im Operationssaal. Dass Roboter dort Mediziner unterstützen können, ist inzwischen klar und wird weder von Ärzten noch Patienten in Frage gestellt. Letztere wünschen zum Teil ausdrücklich, mit modernsten und eben auch roboterassistierten Verfahren behandelt zu werden. Allerdings gibt es meiner Meinung nach Möglichkeiten, diese Systeme zu verbessern. Das ist auch das Ziel, das wir bei B.Braun New Ventures verfolgen. Unabhängig davon glaube ich, dass der Pflege- und Rehabereich ebenso wie die Krankenhauslogistik oder das Sterilgutmanagement von robotischen Systemen profitieren könnten.

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Was muss sich an Robotern ändern, um sie im OP besser nutzen zu können?

Bisher stand bei OP-Robotern die Frage im Vordergrund, wie sich bestimmte Aktionen, die ein Chirurg ausführt, automatisieren lassen. Das hat zu Lösungen geführt, die Vorteile gegenüber der rein manuellen Arbeit bringen. Allerdings gehe ich davon aus, dass ein Roboter auch mehr Aufgaben übernehmen könnte, als nur eine bestimmte Bewegung besonders präzise auszuführen. Um solche Einsatzmöglichkeiten für Robotik zu erkennen, muss man das bisherige Vorgehen erweitern. Statt vor allem zu fragen „Was macht der Chirurg?“, kommen vermehrt das „Wie“ und das „Warum“ hinzu. Wenn man Mediziner genau beobachtet und sie befragt, wird deutlich, dass es bei einer Operation zwar darum geht, zum Beispiel einen Gewebebereich zu entfernen. Wie das im Einzelnen passiert, ist zum Teil von Traditionen und Vorbildern abhängig. Auch das muss man berücksichtigen. Es geschieht Drumherum aber noch mehr: Manche Handgriffe führt ein Chirurg zum Beispiel aus, um tastend Informationen dazu zu sammeln, welches Gewebe er wie einzuordnen hat. Auch da könnte ein Roboter unterstützen – und das ist ein Thema, an dem wir in Freiburg arbeiten.

Was würde einen Roboter dazu befähigen?

Um solche Aufgaben zu übernehmen, sind zahlreiche Sensoren erforderlich, die es an sich heute schon gibt. Wir fangen also nicht bei der Grundlagenforschung an. Die großen Datenmengen, die all diese Sensoren liefern, wenn man sie neu zusammenstellt, müssen aber aufbereitet werden. Und zwar so, dass der Chirurg in jedem Moment die für ihn wichtigen Informationen erhält. So, dass sie für ihn leicht verständlich dargestellt sind. Um das zu erreichen, bieten maschinelles Lernen oder auch künstliche Intelligenz viel Potenzial.

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Wie weit sind die Arbeiten gediehen und um welchen Einsatzbereich geht es?

Wir planen, in den nächsten Jahren ein System auf den Markt zu bringen. Es soll die Sensorik des Roboters so nutzen, dass die Ergebnisse den Workflow des Chirurgen unterstützen. Es ist für ‚die Chirurgie‘ gedacht, ohne einen bestimmten oder den ersten denkbaren Einsatzbereich schon definieren zu wollen. Wir arbeiten an einer Plattform, die sich in vielen Fachbereichen einsetzen lassen wird. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die laparoskopische Chirurgie. Dafür gibt es etablierte Systeme. In unsere Lösung ist zwar ein Roboter integriert, aber der Mediziner wird sie direkt am Patienten einsetzen können, ohne Telemanipulator. Vom Know-how zu Chirurgieinstrumenten, das Aesculap in den B.-Braun-Konzern einbringt, profitieren wir dabei stark. Mit unseren Ideen wird sich diese Expertise in neuen Produkten niederschlagen.

Sind heutige Roboter für solche Aufgaben in der Medizin geeignet?

Ja und nein. Klammern wir spannende Formen wie schlangenähnliche Kontinuumsroboter aus, bleiben vor allem Industrieroboter mit sechs oder sieben Achsen. Diese sind sehr präzise, steif und gut steuerbar. Allerdings ist der OP, in dem sich Menschen bewegen, wo alles steril sein muss und der Roboter überall anecken könnte, im Grunde für den Roboter ungeeignet. Um ihn dort trotzdem zu nutzen, müssen Ingenieure komplett umdenken. Das macht für mich aber den Spaß bei solchen Applikationsentwicklungen aus.

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Was muss anders gedacht werden?

Im medizinischen Umfeld muss man zum Beispiel die elektrische Sicherheit anders betrachten. Auf einmal spielen Leitfähigkeit und Widerstand im Roboterarm eine Rolle, man unterhält sich über Ableitströme. Auch wenn man die funktionale Sicherheit aus der Industrie neben die Erstfehlersicherheit in der Medizin stellt, gibt es im Detail Unterschiede. Die entsprechenden Partikularnormen Norm 2-77 und 2-78 zur IEC 80601 für Reha- und Chirurgieroboter zu kennen, hilft sehr bei der Argumentation mit der Benannten Stelle.

Was sind die Perspektiven für OP-Roboter-Systeme?

Bei Robotern im OP sind wir noch am Anfang. Heute operiert der Arzt, und Assistenz durch einen Roboter ist möglich, insgesamt aber noch die Ausnahme. In der Forschung sehen wir schon Projekte, die darauf abzielen, dass Roboter Funktionen autonom erledigen. Ein Beispiel dafür ist das Verbinden zweier Gefäße mit einer Naht. Wenn mehrere Einzelschritte automatisiert laufen können, ist es theoretisch denkbar, diese eines Tages zu kombinieren – zur vollautomatisierten Operation. Technisch möglich wäre das vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren. Ich bezweifle aber, dass das gewünscht wird.

Welche Roboteranwendungen würden Sie persönlich reizen und warum?

Grundsätzlich finde ich Pflegeroboter spannend. Denn wenn es darum geht, in einem Pflegeheim zum Beispiel ein Getränk zu reichen, ist die Bewegung des Glases von einer Position zur anderen das geringste Problem. Vorher zu klären, wer überhaupt etwas trinken möchte, was es sein darf, wie der Roboter das herausfindet und wo die Hand das Glas wann entgegennehmen kann – das sind Herausforderungen, die industrielle Anforderungen in den Schatten stellen. Aber das wird uns als Gesellschaft in Zukunft beschäftigen.


Weitere Informationen

Die B. Braun New Ventures GmbH in Freiburg ist ein 2020 gegründetes Start-up innerhalb des B.-Braun-Konzerns und beschäftigt heute etwa 40 Mitarbeiter. Der Standort ist nur wenige hundert Meter von der Uniklinik Freiburg entfernt, was die enge Zusammenarbeit mit den Medizinern vereinfacht.

https://bbraun.com


Kontakt zur B.Braun New Ventures GmbH:
B. Braun New Ventures GmbH
Berliner Allee 2
79110 Freiburg im Breisgau
E-Mail: info_newventures@bbraun.com

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