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Polymergleitlager macht das Prothesengelenk leichter und leiser

Gleitlager
Leichter und Leiser mit dem Polymergleitlager im Prothesenkniegelenk

Gleitlager aus Hochleistungspolymeren bringen ihren Schmierstoff mit, sind leichter und leiser als Bronzelager, in denen Spiel auftritt. Daher entschied sich der Hersteller von Prothesenkniegelenken, Otto Bock, nach ausführlichen Tests für die Lösung aus Kunststoff.

Stefan Loockmann-Rittich
Igus, Köln

Eine Prothese muss individuell an den Träger angepasst sein und den Körper bei motorisch anspruchsvollen Aufgaben wie dem Laufen unterstützen. Um diesen Anforderungen natürlich wirkend und für den Prothesenträger so angenehm wie möglich gerecht zu werden, entwickelt die Duderstädter Otto Bock SE & Co. KGaA seit vielen Jahren innovative Produkte wie das C-Leg: Als es 1997 in den Markt eingeführt wurde, war es weltweit das erste mikroprozessorgesteuerte Kniegelenk, das Bewegungen in Echtzeit misst. So kann der Prothesenträger zum Beispiel bei Waldspaziergängen den Blick nach vorne richten und muss nicht permanent den Boden im Auge behalten.

Prothesenträger wünschen sich belastbare Produkte

Um solche Produkte entwickeln zu können, arbeitet Otto Bock sehr eng mit Prothesenträgern zusammen, mit dem Ziel, deren Bedürfnisse zu verstehen. Im Alltag sind harmonische Bewegungsabläufe gefragt, gute Dämpfungseigenschaften sowie eine dem natürlichen Gelenk mindestens gleichwertige Belastbarkeit.

Einige der Lagerstellen in Prothesenkniegelenken wurden früher mit Bronzelagern ausgestattet. Allerdings stellten die Experten von Otto Bock fest, dass hier bei kleinen Schwenkbewegungen Passungsrost auftreten kann. Das kann Kniegelenke schwergängig machen und für den Prothesenträger ein Risiko sein.

Auf der Suche nach einer Alternative wurden verschiedene Materialien getestet. Letzten Endes entschied sich der Prothesenspezialist für Polymergleitlager vom Typ Iglidur, die die Kölner Igus GmbH herstellt. Sie sind für den Einsatz bei hoher Reibung optimiert und haben sehr geringe Verschleißwerte. „Die Gleitlager bestehen aus einem Gemisch von Basispolymeren, Fasern und Füllstoffen sowie Festschmierstoffen“, sagt Ulf Hottung, bei Igus Branchenmanager für Medizintechnik. Die Festschmierstoffe sind als mikroskopisch kleine Partikel millionenfach in dem festen Material eingebettet. „Dies reicht aus, um ihre unmittelbare Umgebung ausreichend zu schmieren, und es macht externe Schmiermittel wie Öle und Fette überflüssig.“

Was die Lager leisten können, wurde bei Otto Bock im eigenen Testlabor unter die Lupe genommen. Prothesenkniegelenke, in denen Iglidur-Gleitlager verbaut waren, wurden unter Last gebeugt, um Erkenntnisse hinsichtlich des Verschleißverhaltens von Komponenten unter realistischen Bedingungen zu erhalten.

Doch die Entscheidung fiel bei Otto Bock nicht nur deshalb zugunsten der Iglidur-Lager, weil diese korrosionsfrei sind. Sie brachten auch weitere Vorteile für Prothesenknie- und -hüftgelenke: Im Gegensatz zu Bronzelagern macht ihnen Schmutz und Staub nichts aus. Auch Geräusche, die bei zunehmendem Spiel der Bronzelager auftreten, konnten durch Polymergleitlager signifikant reduziert werden.

Im polyzentrischen, also mehrachsigen Prothesenkniegelenk 3R60 beispielsweise führte der Einbau von Iglidur-Gleitlagern dazu, dass der zur Verfügung stehende Einbauraum bestmöglich ausgenutzt werden konnte. „Es liegen hier mehrere Lagerstellen dicht beieinander, und die nutzbaren Wanddicken sind schmal, so dass der Einsatz von Wälzlagern bei dieser Geometrie nicht möglich ist“, erklärt Andreas Schuh, Experte für fluidische Steuerungssysteme bei Otto Bock. Schuh befasst sich seit vielen Jahren mit der Entwicklung von Prothesenkniegelenken und hat verschiedene Lagerelemente ausführlich getestet und bewertet.

Neben dem Bauraum spielt auch das Gewicht eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung. Eine schwere Prothese kann für den Träger zum Hindernis statt zur Hilfe werden. „Es wird um jedes Gramm gekämpft. Mit ihrem geringen Gewicht spielen die Gleitlager hier einen Vorteil gegenüber Metalllagern aus“, verdeutlicht Andreas Schuh.

Dass die Polymergleitlager pflegeleicht sind und weder Wartung noch zusätzliche Schmierung benötigen, hat für Otto Bock auch Kostenvorteile: Der Verzicht auf Schmierung führt laut Schuh dazu, dass die Prothesenkniegelenke nicht so schmutzanfällig sind. „Es werden somit keine Abdeckkappen oder zusätzliche Dichtelemente benötigt, um die Lagerstellen vor Schmutz und Wasser zu schützen.“ Gleitlager sind kostengünstiger als vergleichbare Produkte aus Metall. Für ihren Einsatz ist keine Härtung der Achsen notwendig. Dadurch verkürzt sich der Herstellungsprozess, was wiederum die Kosten senkt.

Neben zahlreichen Normteilen, die in einer großen Auswahl an Werkstoffen erhältlich sind, fertigen die Kölner Kunststoffspezialisten auch individuelle Bauteile. Otto Bock beispielsweise setzt in einem der meistgefragten mechanischen Gelenke mit pneumatischer Steuerung – dem Typ 3R78 – einen Kolbenring ein, der wegen seiner besonderen Geometrie nicht im Standardsortiment erhältlich ist. Für solche Fälle werden mit verschiedenen Herstellverfahren in Köln zunächst kostengünstig Prototypen gefertigt, die anschließend in Stückzahlen von 1 bis zu Serien von mehreren Millionen produziert werden.

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