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Kunststoff lässt Knorpel wachsen

Fluorpolymere: Erfolgreicher Einsatz als Trägermaterial von Zellmatrizen
Kunststoff lässt Knorpel wachsen

Dank ihrer Biokompatibilität haben Fluorpolymere schon seit vielen Jahren eine starke Position in der Medizintechnik. Bei dem Biotechnikunternehmen Genzyme kommt PVDF unter anderem als Trägermaterial für die Aufzucht künstlicher Knieknorpel zum Einsatz.

Für die international tätige Verigen AG hat der Schweizer Spritzgussdienstleister Gemü GmbH aus Rotkreuz ein Medizintechnikteil aus Kunststoff gestaltet, auf dessen Ober-fläche künstliche Knorpel gezüchtet werden können. Ein Muster des Kunststoffteils für die Knorpelzüchtung, auch Matrix-induced Autologous Chondrocyte Implantation – kurz Maci genannt – war vorhanden, nicht aber der GMP-gerechte Herstellungsweg sowie die entsprechende Dokumentation für die Zulassung.

Innerhalb kurzer Zeit entstand ein neuer Herstellungsprozess für das Medizinprodukt. Bei der Suche nach dem passenden Kunststoff für die Zellenproduktion fiel die Wahl auf Polyvinylidenfluorid (PVDF). Ausschlaggebend waren dabei die Biokompatibilität von PVDF sowie seine Eignung als Trägermaterial für Zellmatrizen.
Der patentrechtlich geschützte Maci-Ansatz bietet den Angaben zufolge eine zweckmäßigere Behandlungsmethode als die traditionelle autologe Knorpelzellen-Implantation (ACI) mit Carticel. Beide Verfahren beginnen mit einer Biopsie gesunden Knorpelmaterials vom Knie des Patienten durch einen orthopädischen Chirurgen. In einem Zelllabor gewinnen Techniker daraus Millionen weiterer Zellen. Diese neuen Zellen werden dann dem Chirurgen geliefert, der sie in die betroffene Stelle implantiert. Dadurch soll die Produktion weiteren Knorpels und somit die Regeneration angeregt werden.
Bei der Maci-Methode werden die Zellen des Patienten im Labor auf eine Collagen-Membran gegeben, die dann vom Chirurgen in den Bereich des Knorpeldefekts eingepasst und ohne Nähen befestigt wird. Im Gegensatz zur Carticel-Methode ist es bei Maci überflüssig, ein Stück der Knochenhaut wieder über die implantierten Zellen zu nähen.
Die Fixierringe aus Kunststoff sind bereits erfolgreich im Einsatz. „Die Erfahrungen im Herstellen von Kunststoff-Materialien und die entsprechenden modernen Einrichtungen für die Reinraumfertigung haben uns überzeugt, mit dem Schweizer Unternehmen zusammen zu arbeiten“, erläutert Dr. Wilfried Wächter, der damals als Herstellungsleiter und internationaler Produktionsmanager von Verigen das Projekt bei Gemü in Auftragen gegeben hatte. „Die Zusammenarbeit verlief hervorragend“, erzählt er weiter. „Ich hätte nie gedacht, in so kurzer Zeit dieses komplizierte Verfahren fertig zu haben und das sogar mit der kompletten Dokumentation“. Diese war besonders für die Genehmigung durch die Arzneimittelbehörde wichtig.
Inzwischen wurde Verigen von Genzyme aufgekauft. Das amerikanische Unternehmen aus Cambridge/Massachusetts, das auf dem Gebiet der Biotechnologie tätig ist, hat bereits die Entwicklung eines Nachfolgemodells des Fixierringes in Auftrag gegeben. Dabei wurde zwar die Form verändert, dem Werkstoff PVDF blieb man aber aufgrund seiner überzeugenden Eigenschaften treu: Er ist biokompatibel, nicht toxisch, geruchs- und geschmacklos. Im Vergleich mit anderen Polymeren verfügt er über eine stark verminderte entzündliche Fremdkörperreaktion sowie eine geringe Reaktionsfähigkeit aufgrund der inhärenten Molekülstruktur.
Auch bei der Herstellung von Dialysewasser kommen die Fluorkunststoffe zum Einsatz: Um die Gefahr von Überreaktionen und Fieber zu reduzieren, wird auf Pharmawasser gemäß US-Pharmakopoe gesetzt. Dieses wird in speziellen Filter- und Entkeimungsverfahren von Keimen und anderen Verschmutzungen befreit und muss anschließend ohne Qualitätsverluste zum Patienten transportiert werden. Dadurch sind die Dialysewasser-Aufbereitungsanlagen inklusive der angeschlossenen Ringleitungen und Systeme in der Europäischen Union gemäß Richtlinie 93/42/EWG als Medizinprodukte der Klasse IIB zu klassifizieren und einer entsprechenden Konformitätsbewertung zu unterziehen. Um die Gefahr der Anhaftung von Mikroorganismen zu bannen, gelten spezielle Gestaltungsrichtlichien für die Anlagen. Auch an die zu verwendenden Materialien sind hohe Anforderungen gestellt, wobei PVDF sich hier ideal eignet: Aufgrund seiner hohen maximalen Dauergebrauchstemperatur von +140° C kann es problemlos dampfsterilisiert werden. Die geringe Oberflächenrauheit von Bauteilen aus PVDF macht es ideal für Reinigungsprozesse. Außerdem korrodiert PVDF nicht.
Seine Eigenschaften machen PVDF auch zum idealen Werkstoff für die Gestaltung von vielen minimal invasiven medizinischen Produkten. Wegen seiner hohen Beständigkeit wird es beispielsweise zu Implantaten mit textilen Strukturen verarbeitet. Dazu gehören künstliche Bänder, Bauchnetze oder auch Halterungen der künstlichen Hornhaut.
Philipp Tholen Leiter Bereich Medizintechnik bei Gemü, Rotkreuz/Schweiz

Ihr Stichwort
• Künstlich gezüchtete Knorpel
• Polyvinylidenfluorid (PVDF)
• Biokompatibiliät • Kunststoff-Fixierringe • Reinraumfertigung
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