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Kleine Schritte im Strahlengang

Kleinantriebe: Anwendungen in der Augenchirurgie und haptischen Systemen
Kleine Schritte im Strahlengang

Leistungsfähige Kleinantriebe helfen, im Mikroskop automatisch die richtige Sicht auf Netzhaut oder Hornhaut zu ermöglichen. Während hier die Größe zählt, spielen bei haptischen Geräten für die Aus- und Weiterbildung von Ärzten Drehmoment und Reproduzierbarkeit eine große Rolle.

Um das Sehvermögen eines Patienten zu verbessern oder wieder herzustellen, muss ein Chirurg die Strukturen im Auge klar erkennen können. Durch ein chirurgisches Mikroskop kann er sowohl die Cornea – die Hornhaut auf der vorderen Außenfläche des Auges – als auch die Retina erkennen, also die Netzhaut auf der inneren, rückseitigen Fläche des Augapfels. Beim Wechsel zwischen Hornhaut- und Netzhaut-Ansicht unterstützt den Mediziner ein spezielles Betrachtungssystem, das jedoch zusätzlichen Bauraum benötigt. Stundenlanges Operieren mit Blick durch ein höheres Mikroskop kann allerdings Rücken- und Nackenschmerzen verursachen.

Für die neue Generation des Augenchirurgie-Betrachtungssystems Merlin hatte sich die US-amerikanische Volk Optical Inc.daher vorgenommen, alle von den Chirurgen geforderten Leistungen mit einem möglichst kompakten Gerät zu erreichen. Ein Schwierigkeitgrad kam hinzu: Während herkömmliche Betrachtungssysteme entweder manuell bedient werden oder der Operateur die Linse per Fußschalter positioniert, erledigt das neue Merlin-System diese Aufgabe automatisch.
Wie bei herkömmlichen Lösungen besteht das automatisierte Betrachtungssystem aus zwei Teilen. Die Operationslinse befindet sich in der Linsenpositionierungseinheit (Lens Positioning Unit, LPU) und ermöglicht es, die Ebene der Netzhaut im Mikroskop abzubilden. Das zweite wichtige Element ist die Kondensorbaugruppe (Condensing Lens Assembly, CLA). Der Kondensor verkürzt die Brennweite der Mikroskop-Objektivlinse um etwa 2,5 cm. So kann der Chirurg die LPU in den Strahlengang hinein und wieder heraus bewegen, ohne das Mikroskop selbst nach oben und unten zu bewegen. Das ermöglicht ihm den schnellen Wechsel zwischen Hornhautansicht (ohne LPU) und Netzhautansicht (mit LPU).
Das automatisierte System sollte mit einem Motor ausgestattet werden, der diesen Wechsel ermöglicht, aber im bestehenden Gehäuse untergebracht werden konnte. Entsprechend klein musste der Motor sein. Auch sollte sich ein Getriebe aufsetzen lassen, um die benötigten Drehzahl- und Drehmomentwerte zu erreichen. Mit einer Servomotor-Encoder-Baugruppe wäre das nicht machbar gewesen. Stattdessen entschied man sich für einen 15-mm-Schrittmotor der Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG in Schönaich, kombiniert mit Controller-Einheit.
Schrittmotoren verhalten sich hochgradig deterministisch: ein Befehl, ein Schritt. Der Mikrocontroller ermittelt aus der Richtung und Anzahl der eingegebenen Impulse, wie die Kondensorlinse in den Strahlengang hinein oder aus ihm heraus bewegt wird. Der Motor wurde in dieser Anwendung mit einem Kunststoff-Planetengetriebe mit einem Untersetzungsverhältnis von 14:1 kombiniert. Das Getriebe ist mit einer Riemenscheibe verbunden, und die Linsenhalterung wird über einen Riemenantrieb bewegt. Ein optischer Sensor im Boden der Kondensorbaugruppe erfasst dabei die Position der Linsenpositionierungseinheit. Dann sendet der Controller den entsprechenden Verfahrbefehl an den Schrittmotor.
Im praktischen Betrieb erweist sich diese Lösung, die in enger Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Faulhaber-Schwestergesellschaft Micromo entwickelt wurde, als sehr zuverlässig, sodass der einwandfreie Betrieb des teuren Chirurgie-Equipments über lange Jahre gewährleistet sein dürfte. Das Merlin-System ist seit Sommer 2011 im Vertriebsprogramm, und mehrere Dutzend Systeme sind im praktischen Einsatz. Die Rückmeldungen waren nach Angaben von Volk Optical sehr positiv.
Neben Geräten, die patientenschonende Operationen ermöglichen, ist auch die Aus- und Weiterbildung der Operateure ein wichtiges Thema und ein Einsatzgebiet für Antriebe mit speziellen Eigenschaften. Denn in der Ausbildung helfen haptische Systeme den Medizinern, indem sie klare und realistische Sinneswahrnehmungen vermitteln. Gleichzeitig lassen sie Rückschlüsse darauf zu, wie viel Kraft ein Chirurg aufgewendet hat und wie umfangreich seine Schnitte sind.
Als Spezialist auf dem Gebiet der Chirurgie-Simulation gilt das kanadische Unternehmen Quanser, das neben anwendungsspezifischen OEM-Produkten auch allgemeine Haptiksysteme für die Forschung konstruiert. Die neueste Entwicklung ist das High Definition Haptic Device (HD2), ein Parallelmechanismus mit sechs Freiheitsgraden (x, y, z, Rollen, Nicken, Gieren). Dieser mechanisch ausbalancierte, reibungsarme Roboter besteht aus zwei miteinander gekoppelten Auslegern mit je fünf Gelenken und kann über einen großen Arbeitsbereich Bewegungen in hoher Auflösung ausführen. Er hat einen Roll- bzw. Nickbereich von jeweils ± 90°, der Drehbewegungen um die Querachse ermöglicht. Drehbewegungen um die vertikale Achse sind im Gierbereich um ± 180° möglich. Um das Reaktionsvermögen des Systems zu maximieren, ordnete das Entwicklerteam die erforderlichen Motoren nicht auf dem Stellgliedarm, sondern im Gehäuse an.
Die Auswahl geeigneter Motoren war jedoch keineswegs trivial: Sie sollten ein hohes Ausgangsdrehmoment liefern, aber zugleich sehr reibungs- und haftreibungsarm arbeiten sowie eine sehr niedrige Massenträgheit aufweisen. Damit Haptikgeräte effektiv arbeiten, müssen sie natürlich eine kontinuierliche Sinneswahrnehmung liefern, was für die Motoren ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit bedeutet.
Um eine geeignete Lösung zu finden, arbeiteten die Simulationsexperten eng mit den US-amerikanischen Antriebsspezialisten von Micromo zusammen. Gemeinsam wurde eine Spezialeinheit gesucht, die exakt auf die Applikationsanforderungen abgestimmt sein sollte.
Die Wahl fiel schließlich auf einen Motor mit modifizierter Spule, mit dem sich ein sehr hohes Ausgangsdrehmoment erzeugen lässt. Er entwickelt zwar keine besonders hohen Drehzahlen, aber das ist bei den Haptikgeräten auch nicht erforderlich. Die entscheidenden Faktoren sind vielmehr ein hohes Drehmoment und die nicht selbsthemmende Kraftübertragung, weshalb der Benutzer die Reibung überwinden und das Haptikgerät betätigen kann. Die Motoren wurden zudem mit hochauflösenden optischen Encodern ausgestattet. Diese liefern die präzisen Feedbackgrößen, um eine realitätsnahe taktile Wahrnehmung zu erzeugen. Die Kleinantriebe tragen auf diese Weise wesentlich zur fundierten Aus- und Weiterbildung in der Chirurgie bei.
  • Andreas Seegen Dr. Fritz Faulhaber, Schönaich
  • Ellen-Christine Reiff Fachjournalistin in Stutensee
Weitere Informationen Über den Antriebshersteller Faulhaber: www.faulhaber.de Über den Mikroskophersteller Volk Optik: www.volk.com Über den Haptik-Anbieter Quanser: www.quanser.com
Kleinantriebe tragen zur Ausbildung der Mediziner bei

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