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Flächen auch in unzugänglichen Tiefen präzise erfassen

Digitalisierung: Software optimiert Scandaten für 3D-Druck von Prothesen
Flächen auch in unzugänglichen Tiefen präzise erfassen

Mit Hilfe des 3D-Drucks lassen sich individuell angepasste Prothesenschäfte kopieren. Vorausgesetzt, die Form des Schafts lässt sich exakt in CAD-Daten überführen. Auf dem Weg dahin hilft eine Software, die Scandaten zu verarbeiten.

Generative Fertigungsverfahren bieten auch in der Medizin- und Orthopädietechnik Alternativen zu konventionellen Herstellungsverfahren. Ob Dentaltechnik, Implantate oder Prothesenbau: Biokompatibler Kunststoff und druckbares Metall spielen hier ihre Vorteile aus. Wirtschaftlich interessant wird der 3D-Druck, wenn es um individuelle Teile oder eine Kleinstserie geht.

Muss ein Bauteil exakt zu einer Körperpartie passen, wurde bisher sukzessive und mit handwerklichem Geschick angepasst. Das aber ist ein zeitaufwendiger Prozess, der Erfahrung und Know-how voraussetzt. In Verbindung mit optischen Technologien zur Digitalisierung von Geometrien bieten sich nun neue Möglichkeiten, Arbeitsabläufe anders zu strukturieren. Scans von Körperpartien und deren Modellierung in einer Software können die Anpassungsprozesse straffen. Das spart Zeit und kann die Kosten senken.
„Was natürlich der Traum wäre: Der Patient kommt, man scannt das Körperteil ein und gibt es weiter an der Drucker – fertig ist die Prothese“, sagt Jannis Breuninger vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Und bremst im nächsten Satz die Euphorie: „Allerdings funktioniert das so nicht. An der Digitalisierung haben sich in den letzten zehn Jahren schon einige Leute die Zähne ausgebissen.“
Der Produktdesigner forscht in Stuttgart zu den Möglichkeiten von Digitalisierungstechniken in Kombination mit additiv fertigbaren Prothesen. Zentrales Projekt ist momentan eine wasserfeste Beinprothese.
„Beim Erstaufbau einer passenden Schaftform sind immer noch die Orthopädietechniker mit ihrem Know-how und ihrer Erfahrung gefragt“, berichtet er. Denn die Geometrie des Beinstumpfs ist nicht gleich die Geometrie des passenden Schafts: Das Gewebe muss an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark in der Prothese komprimiert werden. Wo sind Muskeln, wo Fettgewebe, wo sensible, druckempfindliche Bereiche? „Diese Fragen lassen sich nur von einem Experten beantworten“, sagt Breuninger.
Sein Ansatz, den 3D-Druck zu nutzen, greift aber einen Prozessschritt später. Existiert eine passende Prothese, ließe sich der einmal von Hand angepasste Schaft digitalisieren, reproduzieren und in eine Zweitprothese integrieren. Man überspringt dabei das aufwendige Anpassen, indem man das entscheidende Teil exakt kopiert.
Bei der Duwe-3D AG in Lindau, die seit vielen Jahren mit optischer und taktiler Koordinatenmesstechnik arbeitet und die Software Polyworks vertreibt, hat Jannis Breuninger einen solchen angepassten Schaft testweise mit dem Metra-Scan-Gerät von Creaform digitalisiert. Die Schwierigkeit, einen Oberschenkelschaft auf diese Weise zu digitalisieren, ist die Tiefe der Fassung, denn bei 15 bis 20 cm Tiefe kommen optische Messgeräte an ihre Grenze.
Eine lückenlose Digitalisierung ist dennoch möglich, denn die Scan-Daten lassen sich in der Software Polyworks bearbeiten. Als universelle Softwareplattform in der Koordinatenmesstechnik unterstützt diese viele optische und taktile Digitalisiersysteme. Entwickelt wird sie seit über 15 Jahren von der kanadischen Innovmetric Software Inc und hat sich in der Automobil- und Zulieferindustrie bereits bewährt.
Nach der Vernetzung zu einem Polygonmodell werden in der Software Löcher geschlossen und unregelmäßige Partien mit Ausreißern geglättet. Für die weitere Konstruktion der Prothese müssen die Daten dann noch in mathematisch definierte Kurven und Flächen umgewandelt werden.
Die Software Polyworks eignet sich besonders gut für die Rückführung von Freiformflächen. Als Basis für Nurbs-Patches (Nonuniform rational B-Splines) dient ein automatisch, halbautomatisch oder manuell erzeugtes Kurvennetzwerk, das auf das Polygonmodell gelegt wird. Aus den Kurvenschnittpunkten erzeugt Polyworks dann automatisch Nurbs-Flächen. Nach etwa zehn Minuten kann man den vollständig rückgeführten Prothesenschaft im IGES- oder Step-Format exportieren und in einem CAD-Programm in die Prothese integrieren.
Eine modulare Bauweise soll es ermöglichen, ohne zusätzlichen Aufwand auf verschiedene Bauteilgruppen zurückzugreifen: Je nach Kundenwunsch und Anforderungen an eine Prothese lassen sich so individuelle Kombinationen anfertigen.
Der Schwerpunkt von Breuningers Arbeit liegt aber auf Freizeitprothesen und wasserfestem Material – wofür sich das druckbare Material eignet, denn es ist sowohl haltbar als auch wasserfest.
Konstruktives Herzstück der neuen Prothese wird ein Sprunggelenk sein, welches ein natürliches Gangbild und einen hohen Tragekomfort sicherstellt. Aber auch der gesamte Fuß kann abgewinkelt werden. Die Prothese eignet sich dadurch besonders gut zum Schwimmen, auch Flossen lassen sich tragen. „Eine wasserfeste Prothese kommt aber nicht nur für Wassersportler in Frage“, so Jannis Breuninger, „auch im Alltag, beispielsweise beim Duschen, erhöht ein widerstandsfähiges Material die Lebensqualität!“
Ob die Ergebnisse seiner Forschung am Fraunhofer IPA bald für Patienten zugänglich sein werden, hängt auch von der Akzeptanz der Digitalisierung und Drucktechnik in der Branche ab. Die digitale Prozesskette und die Weitergabe an passende CAD-Software bis zum 3D-Druck jedenfalls funktionieren, wie Jannis Breuninger gezeigt hat.
Arne Kleinknecht Duwe-3D, Lindau

FDM : Enorme Potenziale für die Orthopädie
Im Fused Deposition Modelling (FDM) sieht Jannis Breuninger von der Abteilung Biomechatronische Systeme am Stuttgarter Fraunhofer IPA enorme Potenziale für die Orthopädie. „Durch den FDM-Druck ist Individualisierung nicht länger mit hohen Kosten verbunden“, erklärt er. Allerdings müssen Drucker und Endprodukt aufeinander abgestimmt werden. Mit dem Unternehmen Hypecask haben die Forscher einen an das Druckverfahren angepassten Prothesenfuß entwickelt und für den 3D-Drucker Delta Tower Parameter wie Materialstärke und Schmelztemperatur angepasst. „Normalerweise werden beim FDM-Druck Stützstrukturen benötigt. Um Zeit zu sparen und Kosten zu senken, haben wir eine Geometrie entwickelt, die ohne diesen Zusatz auskommt“, erläutert Breuninger. Das Ziel ist es, den Herstellungsprozess so weit zu optimieren, dass er in der Orthopädie eingesetzt werden kann. op Kontakt: Jannis Breuninger, E-Mail: Jannis.Breuninger@ipa.fraunhofer.de

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