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Einfaches 3D-Kopieren stellt klassische Geschäftsmodelle in Frage

3D-Druck: Technische, wirtschaftliche und rechtliche Ansätze schützen vor Schaden durch Kopien
Einfaches 3D-Kopieren stellt klassische Geschäftsmodelle in Frage

Einfaches 3D-Kopieren stellt klassische Geschäftsmodelle in Frage
Dr. rer. nat. Dr. oec. Bernd- Günther Harmann ist Geschäftsführer der Kaminski Harmann Patentanwälte AG in Vaduz/Liechtenstein
Gerade beginnen Unternehmen, sich mit rechtlichen Fragen des 3D-Drucks zu befassen. Um von der zu erwartenden Kopierlust nicht geschädigt zu werden, sondern sogar zu profitieren, sieht Dr. Dr. Bernd-Günther Harmann mehrere Ansätze.

Herr Dr. Harmann, 3D-Druck bietet Herstellern, Dienstleistern und Privatpersonen viele Möglichkeiten, Produkte zu vervielfältigen oder zu verändern. Wie gut passen heutige Gesetze in dieses Umfeld?

Grundsätzlich greifen alle bestehenden Gesetze auch dann, wenn sich eine Technik weiterentwickelt. Durch die Fortschritte bei den generativen Verfahren tauchen allerdings zum Teil Fragestellungen auf, zu denen noch keine Rechtsprechung existiert, das heißt, es fehlen Leitsätze, wie man die bestehenden Gesetze konkret anwenden muss – und das schafft mitunter Unsicherheiten für die handelnden Personen und auch Unternehmen.
Welche könnten das im Falle eines Medizinproduktes sein?
Betrachten wir ein patentgeschütztes orthopädisches Produkt, das der Anwender erwerben und kopieren möchte. Das Patentrecht erfasst nur Handlungen zu gewerblichen Zwecken, also nicht solche im Privatbereich. Bisher war diese Ausnahme von geringer Bedeutung, da das Herstellen von Produkten meist mit erheblichem Aufwand verbunden war. In der Zeit der 3D-Scanner und -Drucker sind die Möglichkeiten dafür aber gegeben. Was aber passiert nun, wenn der 3D-Drucker nicht beim Nutzer zu Hause steht, sondern dieser mit seinen Scandaten zu einem Dienstleister geht? Solange er in einem Druckshop nur das Gerät nutzt, kann man den Vorgang immer noch als rein private Vervielfältigung betrachten. Sobald aber der Betreiber des Shops hilft und zum Beispiel die Parameter für den Druck optimiert, könnte hierdurch die Grenze zur gewerblichen Nutzung überschritten sein. Damit könnte der Betreiber des Shops durch sein Handeln eventuell das Patent verletzen, und auch der Nutzer der kopierten Prothese nähme dann an der Patentverletzung teil. Nach welchen Kriterien hier die Grenze gezogen werden kann, ist noch nicht definiert. Und aufgrund der unterschiedlichen Rechtsordnungen in verschiedenen Ländern der EU – vom internationalen Bereich gar nicht zu reden – ist noch nicht klar, wo diese im grenzüberschreitenden Handeln liegen wird. Und selbstverständlich stellt sich auch die Frage nach der Haftung, wenn zum Beispiel an einer Zahnkrone, die vom Dienstleister nach den Scandaten des Zahnarztes ausgedruckt wurde, Schäden auftauchen.
In welchem Stadium befindet sich die Rechtsprechung zu solchen Fragen?
Das sind neue Fragen, zu denen derzeit nur verschwindend wenig Rechtsprechung vorliegt. Allerdings muss man sehen, dass es in anderen Feldern schon ähnliche Probleme gegeben hat. Nehmen wir das Urheberrecht, das mit dem Aufkommen digitaler Kopiermöglichkeiten im privaten Bereich neu geregelt werden musste. Es gibt also Erfahrungen dazu, mit welchen Instrumenten man diesen Entwicklungen begegnen kann. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir eines Tages eine EU-Richtlinie haben werden, die den Umgang mit dem 3D-Druck regelt.
Welche Folgen hat der aktuelle Wandel für die produzierenden Unternehmen?
Zunächst muss man sich darüber im Klaren sein, dass es diesen Wandel gibt. Menschen werden in zunehmendem Maß von der Möglichkeit des Kopierens Gebrauch machen. Das kann bisherige Geschäftsmodelle in Frage stellen und Veränderungen beim Patent und Designschutz erforderlich machen. Erfreulicherweise gibt es aber Mittel und Wege, dem zu begegnen. Und je mehr dieser Wege man gleichzeitig beschreitet, desto sicherer kann man sich sein, mit einem Produkt langfristig Geld zu verdienen.
Welche Ansätze empfehlen Sie?
Es gibt drei Handlungsstränge: den technischen, den wirtschaftlichen und den rechtlichen. Technisch kann ich mein Produkt so entwickeln, dass es das Scannen möglichst erschwert. Nehmen wir wieder das Beispiel Orthopädie, vielleicht eine Handorthese. Ist deren Material so beschaffen, dass der Laserstrahl eines Scanners winkelabhängig unterschiedlich tief in den Kunststoff eindringt, dann können nur schwer genaue Daten der Oberfläche ermittelt werden und jede Kopie wird vom Original etwas abweichen. Auch innenliegende tragende Elemente aus Materialien, die im 3D-Drucker nicht ohne weiteres gefertigt werden können, machen das Kopieren problematisch.
Wie sähe ein neues Geschäftsmodell aus?
Die Kopierlust lässt sich zum Geschäftsmodell ummünzen. Dann wird das Geld nur zum Teil klassisch mit dem Verkauf physischer Standard-Produkte verdient. Als zweites Standbein kommt der Verkauf von Originaldaten hinzu: So kann sich der Nutzer in gesichertem rechtlichen Rahmen und mit wenig Aufwand eine qualitativ hochwertige Kopie erstellen und diese sogar individualisieren – was sich für den klassischen Hersteller niemals gelohnt hätte. Dessen Rolle verändert sich: Er hat weniger mit Fräsen und Spritzgießen zu tun, dafür mehr mit Software und Daten. Patent- und Designschutz für die Funktionalität und die ästhetische Gestaltung der Orthese dürfen allerdings nicht entfallen, sondern ergänzen das Gesamtkonzept.
Hat sich schon ein Bewusstsein für solche Umstellungen entwickelt?
Diese Phase setzt gerade ein, und wir empfehlen Unternehmen, sich dazu von Experten beraten zu lassen. Größere Betriebe haben die Kompetenz im Haus, kleinere greifen auf externe Anwälte zurück. Von einem Techniker wäre es sicher zu viel erwartet, sich mit allen Details, die sich gerade erst ergeben, auszukennen. Denn die Möglichkeiten sind teilweise atemberaubend, wie der Pharmabereich zeigt.
Welche Umwälzungen stehen da an?
An einigen Universitäten, zum Beispiel Glasgow und Central Lancashire, arbeiten Forscher daran, den 3D-Druck in der Medikation einzusetzen. Die Idee ist, einen Trägerstoff für eine individualisierte Tablette zu nutzen, die alle für einen Patienten zur fraglichen Tageszeit erforderlichen Wirkstoffe in der richtigen Dosis enthält. Morgens grün, mittags rot, abends blau – oder für Menschen mit Sehschwäche dreieckig, kreis- oder kugelförmig. Der Arzt würde dem Patienten eine Datei mitgeben, die ein Apotheker oder im Extremfall er selbst in einen 3D-Drucker einspeist. In Analogie zum Druckshop entsteht so ein Geschäftsmodell, das den Patentschutz im Pharmabereich gefährden könnte. Das würde die Medikation revolutionieren. Das ist allerdings auch eine Chance. Denn der Bau entsprechender 3D-Drucker könnte eine neue Nische für Medtech-Unternehmen sein. Und wir dürfen uns überraschen lassen, welche Ideen sonst noch entstehen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Über Kaminski Harmann Patentanwälte: www.khp-law.li Rechtliche Aspekte berücksichtigt auch der VDI-Statusreport „Additive Fertigungsverfahren“: www.vdi.de/statusadditiv
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