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Die Welt in der Hand

Motion-Control-Technologie: Lormer ermöglicht taubblinden Menschen Zugang zu Informationen
Die Welt in der Hand

Dunkelheit und Stille sind die ständigen Begleiter taubblinder Menschen, die moderne Kommunikationsmittel bisher nicht ohne fremde Hilfe nutzen konnten. Dank moderner Bewegungssteuerung und Antriebstechnik wurde ein Gerät entwickelt, das Taubblinden das Tor zur Welt der Informationen öffnet: der Lormer.

In Deutschland leben etwa 5000 taubblinde Menschen – Menschen, die weder sehen noch hören und deshalb in den meisten Fällen auch kaum sprechen können. Um die Welt zu begreifen und zu kommunizieren, sind sie ausschließlich auf ihren Tastsinn angewiesen. Die wichtigste Kommunikationsform für diese Menschen ist – neben der Blindenschrift (Braille) – das so genannte Lormen, ein Tastalphabet, das im 19. Jahrhundert von Hyronimus Lorm, selbst taubblind, entwickelt wurde. Dabei wird die Handinnenfläche an bestimmten Stellen berührt. Diese Berührungspunkte und -linien sind jeweils Buchstaben oder Buchstabenkombinationen zugeordnet, die zu Wörtern und Sätzen zusammengefügt werden.

Der Software-Entwickler Thomas Rupp ist während seines Zivildienstes mit taubblinden Menschen in Kontakt gekommen und hat seitdem intensiv nach einer Lösung für dieses Problem gesucht. Das Ergebnis seiner Arbeit ist der Lormer, ein Gerät, mit dem taubblinde Menschen ohne fremde Hilfe jeden maschinenlesbaren Text lesen, das Internet nutzen und durch eine integrierte Spracherkennung und -ausgabe mit anderen kommunizieren können.
Der Lormer ist ein an einen normalen PC angeschlossenes Gerät, das Bewegungen, wie sie beim Lormen oder anderen Fingeralphabeten angewandt werden, fast wie ein Mensch ausführen kann. Während die Hand des Taubblinden auf einer gepolsterten Auflage ruht, bewegt eine darüber angebrachte computergesteuerte Mechanik einen abgerundeten Stift, der die Buchstaben in die Handinnenfläche zeichnet. Mit Hilfe einer ebenfalls von Rupp entwickelten Software kann der Lormer jede beliebige dreidimensionale Bewegung aufzeichnen, einer bestimmten Bedeutung wie einem Buchstaben oder einem Zeichen zuordnen und wiedergeben. Jede Bewegung kann dabei individuell auf die Handgröße angepasst, gespeichert und wiedergegeben werden. Dazu legt die Software für jeden Nutzer ein eigenes Profil an, in dem Handgröße und persönliche Einstellungen wie die Geschwindigkeit oder auch Texte gespeichert werden. Dieses Profil kann durch einen Fingerabdrucksensor vor unberechtigten Zugriffen geschützt werden.
Entscheidenden Anteil an der Entwicklung des ersten Lormer-Prototypen haben die kompakten und präzisen Schrittmotorsteuerungen und Kleinstmotoren der Hamburger Trinamic Motion Control GmbH & Co. KG. Die Steuerung der Motoren, die den Stift des Lormers millimetergenau bewegen können, erfolgt über die Skript- und Protokollsprache TMCL (Trinamic Motion Control Language). Besonders wichtig ist beim Lormer, dass sich die Trinamic-Steuerungen nicht nur im Stand-Alone Betrieb, sondern auch im Direct-Mode über einen angeschlossenen PC steuern lassen. Eine speziell von Thomas Rupp entwickelte Software erleichtert dabei die Integration der MCL-Komponenten in Microsoft.NET Framework unter MS Vista.
Das Antriebssystem des Lormers, der mittlerweile ein europäisches Patent hält, besteht aus einem Dreiachs-Modul von Trinamic, dem Standardprodukt TMCM-310/SG, sowie drei an die Treiberstufen des Moduls optimal angepassten Trinamic-Schrittmotoren. Wie alle Module ist auch die hier verwendete Steuerung auf Basis der von Trinamic selbst entwickelten Integrierten Schaltungen aufgebaut. Ein übergeordneter PC sendet im Direkt-Modus TMCL-Befehle wie „Bewege auf Position 300,4578,713“ über die RS-232 Schnittstelle an das Modul. Diese berechnet dann das zu den Koordinaten passende Fahrprofil für die drei Motoren. Ein spezieller Motion-Controller übernimmt dabei die präzise und echtzeittreue Vorgabe der Position. Die Motoren werden gemäß dem berechneten Profil bestromt – verlustleistungsarme Trinamic-Treiber übernehmen dabei die Energiezufuhr und die Diagnose eventueller Fehlfunktion – und bewegen den Lormer-Stift in einem Koordinatensystem in X-, Y- und Z-Richtung. Zur Bestimmung der Ausgangsposition (Koordinatenursprung) nutzt der Lormer das auf den Trinamic-Standardprodukten bereits hardwareseitig implementierte Stallguard-Feature. Diese patentierte Funktion erlaubt eine sensorlose Erkennung des Motorstillstandes und reduziert Kosten und Komplexität des Gesamtsystems durch das Einsparen der Endschalter, bei gleichzeitiger Erhöhung von Präzision und Zuverlässigkeit. Thomas Rupp dazu: „Das TMCM-310/SG hat es ermöglicht, meine Anwendung schnell, intuitiv und effizient zu entwickeln. Mit meiner zusätzlichen Software lassen sich auch komplexe Anwendungen schnell in Windows-basierte Applikationen integrieren.“
Die wichtigsten Funktionen des Lormers können vom Taubblinden selbst über ein Gamepad mit Force Feedback bedient werden. Dabei wird durch unterschiedliche Vibrationen signalisiert, wann der Buchstabe, das Wort oder der Satz zu Ende sind. Auf dem gleichen Weg werden auch Befehlsbestätigungen oder Statusmeldungen an den Nutzer übermittelt. Durch Darstellung auf dem Monitor und eine zusätzliche Sprachausgabe können auch Hilfspersonen den Lormer bedienen. Dank der integrierten Sprachausgabe und Erkennung lassen sich auch in ein Mikrofon gesprochene Texte direkt in Lormbewegungen übersetzen. Der Taubblinde kann auf die gelormten Texte reagieren und in einen direkten Dialog treten. Dazu gibt er seine Antwort über die Tastatur ein.
Das Gerät soll in Serie gefertigt werden, sobald Thomas Rupp dafür einen Partner gefunden hat. Trinamic-Geschäftsführer Michael Randt: „Unsere Produkte werden in verschiedener Anwendungen eingesetzt. Viele dieser Anwendungen sind aufregend und innovativ. Der Lormer ist die Umsetzung einer aus dem erlebten Bedarf entstandenen Idee – über eine solche Applikation eines unserer Produktes freue ich mich besonders.“
Tobias Wendlandt Applikationsingenieur bei Trinamic Motion Control, Hamburg
Taubblinde können den Lormer über ein Gamepad bedienen

Ihr Stichwort
• Antriebstechnik
• Bewegungssteuerung
• Tastalphabet • Protokollsprache • Schrittmotoren
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