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Die Kraft des Kristalls

Piezoantriebe: Winzlinge mit großem Potenzial
Die Kraft des Kristalls

Der Piezoeffekt lässt sich nicht nur für Sensoren nutzen, sondern auch umgekehrt als Antrieb. Dieser arbeitet sehr präzise, etwa in Pumpen oder in Kernspintomographen, da starke Magnetfelder ihm nichts anhaben können.

Piezokristalle und -keramiken haben sich zuerst in der Sensorik durchgesetzt. Geraten sie unter Druck, lässt sich eine Spannung abgreifen, die proportional zum aufgebrachten Druck ist. Wie so häufig lässt sich das Prinzip auch umgekehrt nutzen: Wird eine Spannung angelegt, verformt sich der Kristall – was sich als Antrieb nutzen lässt. „Wir unterscheiden zwischen Piezoaktoren und Piezomotoren“, erläutert Steffen Arnold, Leiter „Markt und Produkte“ bei der Karlsruher Physik Instrumente (PI) GmbH & Co. KG. „Die Motoren bestehen zwar auch aus einem oder mehreren Aktoren, erlauben aber prinzipiell unbegrenzte Stellwege.“ Bei den Piezoaktoren werde die Deformation der Keramik direkt für die Bewegung genutzt, was zu Stellwegen zwischen wenigen Mikrometern bis hin zu 1 mm mit mechanischer Hebelübersetzung führe, so Arnold weiter. „Prinzipiell unbegrenzte Stellwege erhält man durch die geschickte Kombination von Scher- und Klemm- oder Biegebewegungen, so dass mehrere Aktoren an einem bewegten Läufer entlang schreiten – auf diese Weise entsteht ein Linearantrieb.“

Ebenfalls kontinuierliche Stellwege lassen sich mit einem piezokeramischen Aktor erreichen, der in Ultraschallschwingungen versetzt wird und so einen Läufer in Bewegung setzt, fährt der Karlsruher fort. Dieses Prinzip hat auch die Dortmunder Elliptec Resonant Actuator AG umgesetzt. „Wir setzen ein Piezoelement ein, um unseren schlüsselförmigen Resonator vibrieren zu lassen“, berichtet der für die Technik zuständige Vorstand Dr. Michael Schlüter. Die Spitze des Resonators führe dabei eine ellipsenförmige Bewegung aus, die sich in eine konstante Bewegung umsetzen lasse. „Dies führt ebenfalls zu einem prinzipiell unbegrenzten Stellweg, zudem kann man sowohl vorwärts als auch rückwärts antreiben.“
Piezoantriebe sind heute in einem breiten Spektrum verfügbar. Bei der Schönaicher Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG erhält man etwa die sogenannten Piezo-Legs des schwedischen Kooperationspartners Piezomotor Uppsala AB. „In der Standardversion hat der Antrieb eine Kraft von zehn Newton, lässt sich aber bis hinauf zu 300 Newton skalieren“, erläutert Michael Schneider, zuständig für Vertrieb und Service bei Faulhaber. Zudem ließen sich die Antriebe, die dem Trägheitsprinzip folgend quasistatisch mit einem nicht-resonanten Motor arbeiten, parallel verschalten und bei Bedarf kundenspezifisch anpassen. Auch PI in Karlsruhe gibt für seine Schreitantriebe des Typs Piezo-Walk Kräfte zwischen 20 N mit Biegeaktoren und mehr als 500 N mit Scheraktoren an. „Bei den reinen Aktoren sind zudem im zweistelligen Bereich mehrere Kilonewton möglich“, sagt Steffen Arnold, „und das bei einer Bewegungsauflösung im Sub-Nanometer-Bereich.“
Filigraner arbeiten die Piezo-Ultraschallmotoren der Karlsruher, die aber immerhin auch noch Kräfte zwischen 10 und 20 N und Geschwindigkeiten bis 0,5 m/s liefern. Bei den Resonanz-Piezoantrieben von Elliptec spiele dagegen die Kraft von 0,2 N eine eher untergeordnete Rolle, wirft Michael Schlüter ein. „Unsere Motoren sind vor allem auf den Bereich hochdynamischer Positionieranwendungen in Massenmärkten ausgelegt.“ Die Endgeschwindigkeit von 0,3 m/s werde bereits nach weniger als 0,01 s erreicht, das Abbremsen bis zum Stillstand erfolge noch deutlich schneller. Dadurch ließen sich beispielsweise innerhalb einer Sekunde einhundert verschiedene Positionen exakt ansteuern, etwa für Pipettiervorgänge.
Positionieren im Nanometerbereich
„Piezoantriebe zeichnen sich generell durch Präzision und hohe Stellgeschwindigkeiten aus – und eignen sich damit vor allem für hochdynamische und hochpräzise Anwendungen“, benennt Elliptec-Vorstand Michael Schlüter die wesentlichen Vorteile dieser Antriebsart. Denn die Auslenkung von Piezokeramiken sei fein steuerbar, ergänzt PI-Mitarbeiter Steffen Arnold. „Auslenkungen unterhalb eines Nanometers – entsprechend einem Tausendstel Mikrometer – sind realisierbar.“ Zudem arbeiteten diese Kleinantriebe zuverlässig und verschleißfrei. „Die Bewegung der Keramik beruht auf reversiblen Verschiebungen in der Kristallstruktur, zunächst sind deshalb keine mechanischen Komponenten wie Mutter-Spindel-Systeme oder Getriebe erforderlich.“ Darüber hinaus seien die Keramiken vakuumkompatibel und nichtmagnetisch.
Für Matthias van Spankeren, Geschäftsführer der Ime GmbH in Rottweil, liegen die Stärken der Keramikmotoren außerdem in der Leistungsdichte. „Will heißen: Sie liefern die höchste Kraft pro Volumen.“ Ime vertreibt in Deutschland die Piezoantriebe der israelischen Nanomotion Ltd.
Einen damit zusammenhängenden weiteren Vorteil nennt Michael Dreher, Geschäftsführer der SI Scientific Instruments GmbH in Gilching. „Bei den von uns angebotenen piezoelektrischen Motoren der amerikanischen New Scale Technologies Inc., insbesondere der SQL-Serie, sind Größe und Energieeffizienz das entscheidende Kriterium.“ Vergleichbare Elektromotoren hätten eine wesentlich geringere Energieeffizienz, was bei batteriebetriebenen Produkten von großer Bedeutung sei.
Durch einen Aufbau des Piezoelements aus einer Vielzahl dünner Schichten ließen sich die üblicherweise sehr hohen elektrischen Spannungen ebenfalls auf wenige Volt reduzieren, ergänzt Elliptec-Chef Schlüter. „So können wir einfachere und preiswertere Ansteuerelektroniken verwenden und – wenn zugleich wie bei unserem X15G ein preisgünstig und massentauglich herstellbares Antriebskonzept genutzt wird – die Vorteile im Bereich Präzision und Dynamik auch in großen Massenmärkten kosteneffizient umsetzen.“ Diese Bereiche seien bislang die Domäne von zwar preisgünstigen, aber langsamen und ungenauen Gleichstrom- und Schrittmotoren.
Potenzial scheint für die Piezo-Technologie also reichlich vorhanden zu sein. „Allein die zunehmende Miniaturisierung eröffnet neue Einsatzfelder wie Mikropumpen aller Art – etwa tragbare Insulinpumpen –, Fokussiereinheiten in Endoskopen, Stelleinheiten oder Roboterarme für Kernspintomographen“, sagt SI-Geschäftsführer Michael Dreher. Aufgrund der geringen Anzahl der eingesetzten Materialien bei den New-Scale-Motorserien würden sich diese zudem gut auch für den Vakuum- und Tiefkühlbereich eignen.
„Vor allem in Anwendungen mit starken Magnetfeldern, wie sie beispielsweise in Kernspintomographen vorliegen, sind Piezoantriebe sicher eine hervorragende Lösung“, ergänzt Elliptec-Vorstand Michael Schlüter. Jedoch werde die Anzahl der eingesetzten Antriebe hier auf eher kleinere Stückzahlen begrenzt bleiben. „In medizinischen Endverbraucherprodukten ist die Anzahl der Einsatzmöglichkeiten ungleich höher, die sich mit neuen Produktideen auftun.“ Große Stückzahlen ergäben sich hier eventuell aus Einwegkonzepten, so Schlüter weiter. „Das vermeidet Querkontaminationen und macht eine Sterilisation der Geräte unnötig.“
Auch die Kombination mehrerer Piezoantriebe bietet Potenzial, da sich auf diese Weise mehrdimensionale Positionieranwendungen preisgünstig realisieren lassen. „Mit sechs Motoren kann beispielsweise ein Laserstrahl für Bearbeitungs- und Behandlungsaufgaben schnell und einfach in drei translatorischen und drei rotatorischen Bewegungsrichtungen positioniert werden.“ So lasse sich auch auf unebenen Oberflächen schnell eine Vielzahl an Behandlungen oder Bearbeitungen durchführen – mit genau kontrollierter Bearbeitungsposition und -richtung, so der Elliptec-Chef abschließend. „Das eigentliche Antriebs- und Positioniersystem passt dabei bequem in ein Handgerät.“
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen

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