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Freier Welthandel gerät in Übersee häufig zum Hürdenlauf

Recht: Regulatorische Anforderungen an Medizinprodukte in den USA und Kanada
Freier Welthandel gerät in Übersee häufig zum Hürdenlauf

Einer der wichtigsten Märkte für deutsche Medizinprodukte liegt in Übersee. Der Markteintritt wird den Herstellern aber oft durch Handelshemmnisse und unterschiedliche regulatorische Anforderungen erschwert.

Deutschland ist nach den USA und vor Japan der weltweit zweitgrößte Exporteur von Medizinprodukten, rund 50 % der heimischen Produktion gehen in den Außenhandel. Einer der wichtigsten, da umsatzstärksten Märkte für deutsche Erzeugnisse liegt in Übersee – auch wenn dort nicht unerhebliche Handelshemmnisse überwunden werden müssen, vor allem in Gestalt unterschiedlicher regulatorischer Anforderungen an die Zulassung von Medizinprodukten. Ansätze zur Vereinheitlichung stecken derzeit noch in den Kinderschuhen.

Der Bereich Medizinprodukte umfasst nicht nur ein ausgesprochen breites, sondern auch ein äußerst anspruchsvolles Produktspektrum: Aus gutem Grund bewegt sich der Qualitätsanspruch hier international auf hohem Niveau, das nur mit entsprechenden Kontrollen und Regulierungsmechanismen erreicht werden kann. Im internationalen Vergleich stehen dabei insbesondere die USA im Ruf, besonders streng und das Zulassungsverfahren besonders langwierig zu sein. Das Prozedere in Kanada ähnelt zwar in vielerlei Hinsicht dem des großen Nachbarn, weist aber auch viele Gemeinsamkeiten mit europäischen Regelungen auf.
Den größten Unterschied dies- und jenseits des Atlantiks stellt die Regelung der Zuständigkeiten dar: Sowohl in den USA als auch in Kanada erfolgt die Zulassung durch staatliche Behörden – der Food and Drug Administration (FDA) in den USA und Health Canada in Kanada. In der EU wurde die Kontrolle über die Einhaltung der vorgegebenen Anforderungen nicht in staatliche Hand gelegt, sondern speziellen, von den Mitgliedsstaaten anerkannten Benannten Stellen (Notified Bodies) anvertraut. Diese werden jeweils vom Hersteller mit der Prüfung beauftragt und für ihre Leistung direkt bezahlt. Eine Zulassung in diesem Sinne gibt es nicht. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile: Die private Beauftragung und Bezahlung der Benannten Stellen steht im Verdacht, der gebotenen Unabhängigkeit der Prüfinstanz zu schaden, während dem staatlichen System Willkür, ausufernde Bürokratisierung und Überregulierung sowie unangemessene und unnötige Verzögerungen von Zulassungen angekreidet werden.
In punkto Komplexität und Risiken unterscheidet sich beispielsweise ein Skalpell gravierend von einem Herzschrittmacher. Dementsprechend werden beide unterschiedlichen Produktklassen zugeteilt, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Prüfungs- und Kontrollaufwand im Zulassungsverfahren. Dieses nach dem potenziellen Risiko eines Medizinprodukts abgestufte Vorgehen ist weltweiter Standard und findet sich auch in den USA und Kanada. Kanada hat sogar ein dem europäischen System vergleichbares Verfahren eingeführt: Die Einstufung in die vier Klassen erfolgt in jedem Einzelfall neu nach vorgegebenen Klassifizierungsregeln. In den USA dagegen holt die FDA Expertenrat ein und nimmt auf dessen Grundlage die Klassifizierung vor.
Für die erforderliche Zulassung der FDA kommen im Regelfall zwei unterschiedliche Verfahren zur Anwendung: Besonders qualitätskritische Produkte der Klasse III müssen das Premarket Approval Verfahren (PMA) durchlaufen, Produkte der Klassen I und II sind dem einfacheren Premarket Notification-Verfahren auf Grundlage von Section 510 (k) (sprich „five ten kay“) des Federal Food, Drug and Cosmetic Act unterworfen. Im Gegensatz zum Premarket Approval ist die Premarket Notification keine Produktzulassung, sondern eine reine Markt-Freigabe durch die FDA. Die meisten Produkte in Klasse I und etwa 10 % der Klasse II werden von der FDA zudem gänzlich von der Premarket Notification befreit (Premarket Notification Exempt). Diese Befreiungen kann die FDA aber jederzeit zurücknehmen.
Im Rahmen des Premarket Notification-Verfahrens muss der Hersteller nachweisen, dass sein Produkt mit einem bereits klassifizierten und legal im Markt befindlichen Produkt im Wesentlichen gleichwertig ist. Wichtig dafür ist, dass das Produkt für den gleichen Gebrauch beziehungsweise die gleiche Indikation bestimmt und genauso sicher und wirksam ist. Ist ein Produkt unter diesen Voraussetzungen nicht im Wesentlichen mit einem bereits klassifizierten Produkt gleichwertig, fällt es automatisch in die Klasse III und bedarf dann eines aufwändigen, förmlichen Premarket Approvals. Dies kann nur vermieden werden, indem der Hersteller beantragt, dass sein Produkt durch die FDA vorab offiziell in die Klasse I oder II umklassifiziert wird.
Wie die USA verfügt auch Kanada über zwei unterschiedliche Zulassungsverfahren: Für Produkte der Klasse I ist eine Medical Device Establishment License (MDEL) von Health Canada erforderlich, sofern die Produkte direkt vom Hersteller selbst vertrieben werden. Werden Klasse-I-Produkte dagegen mithilfe eines Vertriebspartners vermarktet, ist die MDEL des Distributors ausreichend. Die mit höheren Risiken behafteten Produkte der Klassen II, III und IV bedürfen dagegen einer Medical Device License (MDL). Die MDL ist eine originäre Produktzulassung und nicht, wie die MDEL, eine lediglich unternehmensbezogene Erlaubnis.
Die MDL ähnelt dem US-amerikanischen FDA 510 (k) Verfahren und erfordert vor allem bei Klasse III-Produkten in etwa den gleichen Aufwand. Die Zulassung von Klasse-IV-Produkten stellt sich hingegen in Kanada oftmals aufwändiger dar als in den USA, während die MDL für ein Klasse-II-Produkt wiederum schneller erlangt werden kann.
Unterschiede bestehen auch bei der Festlegung der Zulassungsvoraussetzungen. Hier ist das kanadische System dem europäischen ähnlich, indem es allgemeine Anforderungen für alle Arten von Medizinprodukten formuliert – etwa im Hinblick auf die chemischen oder biologischen Eigenschaften eines Produktes, auf seine Konstruktion oder den Strahlenschutz. Die USA gehen mit den so genannten Guidance Documents einen anderen Weg: Darin werden die Anforderungen für Produktgruppen wie Herzschrittmacher oder Koronarstents einzeln definiert. Eigene Grundsätze gelten in den USA auch für das beim Hersteller verbindlich vorgeschriebene Qualitätsmanagementsystem. Ein solches verlangt auch Kanada, stellt dabei jedoch im Wesentlichen auf die auch in der EU gültige Norm ISO 13485:2003 ab.
Dr. Dagobert Nitzsche Sibeth Partnerschaft, München

Ihr Stichwort
• Außenhandel
• Zulassungsverfahren
• Regulierungsmechanismen • Klassifizierungsregeln • Qualitätsmanagement

Pilot-Programm PMAP
Die vielen unterschiedlichen Regelungen stellen nicht gerade ein Förderinstrument für den internationalen Handel mit Medizinprodukten dar. Die Problematik ist auch längst erkannt, Ansätze zur Lösung stecken aber derzeit noch in den Kinderschuhen. So arbeitet die Global Harmonization Task Force (GHTF) bereits seit 1992 an einer Vereinheitlichung des Medizinprodukterechts. Bisher hat aber lediglich Australien damit begonnen, diese Standards in nationales Recht umzusetzen. Immerhin ist in jüngster Zeit auch in das Verhältnis der amerikanischen Nachbarn Kanada und USA Bewegung gekommen: Seit 2003 arbeiten beide Länder an einem Pilot Multi-Purpose Audit Program (PMAP), das seit dem Jahre 2006 versuchsweise in Kraft ist. Demnach können Hersteller eine Prüfung (Audit) ihres Qualitätsmanagementsystems über ausgewählte Organisationen durchführen und zertifizieren lassen. Dadurch sind die regulatorischen Anforderungen sowohl in den USA als auch in Kanada erfüllt.
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