Herr Erdmann, Herr Pittini, welchen Einfluss hat das Produktdesign auf die Nachhaltigkeit eines Medizinprodukts?
Raimund Erdmann: Zur Nachhaltigkeit sind die Methoden des Human Centered Design (HCD) geeignet. Dadurch können in einer technologischen Konzeptphase bereits erste Modelle mit den Anwendern und den Produktionsmöglichkeiten abgeklärt und daraus die Anforderungen aus dem Markt mit den regulatorischen Risiken getestet werden. Mit diesen frühen Erkenntnissen lassen sich zum Beispiel erste Aussagen zu Material und Produktionsmethoden und deren Energiebilanz erstellen und optimieren. In Zusammenarbeit mit Johnson & Johnson haben wir beispielsweise den ganzen Lebenszyklus bis zur Wiederverwendung vorgeschlagen.
Welche Möglichkeiten gibt es, Materialkreisläufe in der Medtech-Industrie zu schließen?
Raniero Pittini: Produkte sollten – wenn immer es möglich ist – ohne Downcycling in einen sortenreinen Kreislauf zurückgeführt und in gleichartiger Produktqualität weiterverwertet werden können. In den Impfzentren beispielsweise gab es in den letzten Jahren ein hohes Aufkommen von Glas, Metall und Kunststoffen. Diese Bauteile ließen sich relativ einfach in einen sortenreinen Materialkreislauf zurückführen.
Erdmann: Mit diesem Potenzial zum Recycling und unseren Erkenntnissen der Benutzerfreundlichkeit starteten wir die Zusammenarbeit. Wir befragten zuerst die Anwender in Spitälern und Arztpraxen, um ein besseres Verständnis zum Ablauf der Anwendung sowie der Entsorgung zu bekommen. Daraus entstanden die Konstruktionsprinzipien für das „Design for disassembly“. Die Konstruktion zum Auseinanderbauen von Produktsystemen ist für uns seit den 1960er Jahren ein wichtiges Anliegen.
Sie haben in diesem Jahr in der Schweiz eine Circular Economy Initiative ins Leben gerufen? Was ist das Ziel?
Pittini: Patientinnen und Patienten verlangen immer häufiger nach Lösungen für eine fachgerechte Entsorgung der verwendeten Produkte, wie beispielsweise Autoinjektoren. Ein entsprechendes Angebot zur Circular Economy ist in der Pharma- und Medizintechnik-Industrie längst überfällig.
Erdmann: Dabei haben Großunternehmen wie die Schweizer Pharmaindustrie bereits die Kreislaufwirtschaft als Innovationsstrategie auf dem Radar. Bei Johnson & Johnson läuft seit vier Jahren beispielsweise die Initiative Zero Carbon, bei der die Carbon-Footprint-Erkenntnisse dokumentiert werden.
Im Konsortium arbeiten sie aktuell auch an dem neuen Medikationssystem für Johnson & Johnson. Wie wird dabei das Kreislaufmodell umgesetzt?
Erdmann: Das materialgerechte Konstruieren verbunden mit unserer Erfahrung zur Gebrauchsqualität hilft, die wesentlichen Fragen zur Nachhaltigkeit schon früh im Entwicklungsprozess zu stellen. Bei Einwegprodukten wie dem Autoinjektor lassen sich zum Beispiel Elektronikbauteile sowie Logistikmaterialien wiederverwenden.
Nachhaltige Medizinprodukte, von Anwendern getestet und bewertet
Wie läuft der Recyclingprozess der Autoinjektoren ab?
Erdmann: Die Infrastruktur der Nationalen Postdienste sammelt in den einzelnen Ländern die gebrauchten Medikationssysteme ein. Ein Logistikunternehmen organisiert den Transport hin und wieder zurück. Dann müssen die Produkte auseinander gebaut werden.
Pittini: Wir haben dafür eigens ein Robotik Center entwickelt, in dem eine Bilderkennung die Injektoren unterschiedlicher Hersteller separiert. Anschließend zerlegt der Roboter die Produkte in ihre Einzelteile und sortiert diese. Die einzelnen Bauteile werden abschließend gesammelt und lassen sich wieder in den sortenreinen Herstellungsprozess für Glas, Metall, Kunststoff zurückführen.
Welche Aufgaben übernimmt dabei Erdmann Solutions?
Erdmann: Durch die langjährige Zusammenarbeit generieren wir spezifisches Wissen, das Lösungen für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen ermöglicht. Daraus entstand das von uns entwickelte Robotik-System.
Wer ist noch am Projekt beteiligt?
Erdmann: Die Patientinnen und Patienten haben bereits mit Eigeninitiative zu den gestarteten Sammlungen der gebrauchten Autoinjektoren beigetragen. Die Medizinische Community unterstützt unser Vorhaben durch das Informieren der Patienten und mit eigenen Sammelinitiativen in Arztpraxen und Spitälern. Dadurch können die Arztpraxen und Spitäler ihre Abfallbewirtschaftung entlasten. Unsere Förderprojekte zur Circular Economy werden ebenfalls durch beteiligte Branchen, Apotheker, Recycling-Organisationen, Herstellerfirmen, Medizinische Praxen, Patientenorganisationen und Forschungsprogrammen unterstützt.
Und woran arbeiten Sie aktuell?
Pittini: Aktuell bauen wir den robotisierten Disassembly Prototypen an unserem Standort in Neuhausen am Rheinfall. Die bereits gesammelten Autoinjektoren helfen uns, die gewünschte Sortenreinheit mit dem minimierten Aufwand zu erreichen.
HCD und Circular Economy Initiative
Human-Centered Design (HCD) ist der Überbegriff und die Arbeitsweise für anwenderorientierte Entwicklungsprozesse. Diese generieren mit Prozessmodellen und heuristischen Designmethoden Nähe zum anwendergerechten Workflow. Im Zentrum von HCD bei der Erdmann Solutions AG stehen die Menschen und deren Bedürfnisse zur Gebrauchsqualität des Produktes.
Das Schweizer Design- und Entwicklungsbüro hat eine nationale Kooperationsplattform für Circular Economy (CE) in der Medizintechnik- und Pharmaindustrie ins Leben gerufen. Die kollaborative Plattform ist als gemeinnützige Organisation konzipiert. Sie soll die Zusammenarbeit und Innovation für das Kreislaufwirtschaft-Modell fördern, das auf Human-Centered-Design-Konzepten basiert.
Alle Interessenten aus der Life-Science-Branche und Partner aus Design-Standardisierungsorganisationen sind dazu eingeladen, sich der Circular Economy Collaboration Plattform anzuschließen.
Kontakt zu den Design- und Entwicklungsexperten:
Erdmann Solutions AG
Stahlrain 2
CH-5200 Brugg
www.erdmann.ch
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