Verletzt sich ein Mensch am Rückenmark, führt dies innerhalb kurzer Zeit zu einem fortschreitenden Verlust von Nervengewebe. Dieser betrifft nicht nur die verletzte Stelle, sondern mit der Zeit auch weitere Teile des Rückenmarks und sogar das Gehirn. Die Magnetresonanztomographie ermöglicht detaillierte Einblicke in diese neurodegenerativen Veränderungen. Ein internationales Forscherteam um Patrick Freund vom Spinal Cord Injury Center der Universität Zürich und des Universitätsspitals Balgrist hat zum ersten Mal untersucht, wie der Abbau von Nervenzellen sowie Veränderungen der neuronalen Mikrostruktur während den ersten zwei Jahren nach der Rückenmarkverletzung verlaufen.
Geringer Nervenabbau, bessere Erholung
In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler 15 Patienten mit einer akuten traumatischen Rückenmarksverletzung zusammen mit 18 gesunden Studienteilnehmenden nach zwei, sechs, zwölf und 24 Monaten. In Gehirn und Rückenmark bestimmten sie jeweils das anatomische Ausmaß der Neurodegeneration, den Verlust an Myelin, wie die Isolationshülle der Nervenfasern heißt, sowie die degenerations- und entzündungsbedingte Ansammlung von Eisen im Nervengewebe.
Dabei zeigte sich, dass die Erholung der Patienten nach zwei Jahren in direktem Zusammenhang steht mit dem Ausmaß der neurodegenerativen Veränderungen sechs Monate nach der Verletzung. „Je geringer der gesamthafte Verlust an Nervengewebe am Anfang war, desto besser sind längerfristig die klinischen Fortschritte der Betroffenen“, sagt Patrick Freund.
Prognose der langfristigen Erholung
Überraschend war für die Forschenden, dass die neurodegenerativen Veränderungen im Gehirn und Rückenmark auch zwei Jahre nach einem Trauma fortschreiten. Im Gegensatz dazu erholen sich Patienten in den ersten sechs Monaten am stärksten, danach flacht diese Entwicklung ab. Dies deutet darauf hin, dass früh nach der Verletzung neurodegenerative und kompensierende Veränderungen miteinander konkurrieren und dass mit der Zeit aber die Neurodegeneration überwiegt.
Anhand der frühen, charakteristischen Nervenzellveränderungen lässt sich präzise vorhersagen, wie sich ein Patient mit Rückenmarksverletzung langfristig erholen wird. Die hochauflösende Bildgebung ermöglicht zudem, die durch die Rückenmarksverletzung verursachte Neurodegeneration von therapiebedingten positiven Veränderungen zu unterscheiden.
Neuroimaging-Experte Freund ergänzt: „Wir haben nun ein Werkzeug, um Effekte von Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen im Vergleich zu den rein verletzungsbedingten Veränderungen erstmals verlässlich ermitteln zu können. Klinische Studien lassen sich damit zukünftig effizienter und kostengünstiger durchführen.“
http://n.neurology.org/content/early/2018/03/07/WNL.0000000000005258