Inspiriert vom Infektionsapparat der Bakterien entwickeln Forscher ein neues biotechnologisches Werkzeug. Die „molekulare Nadel“ könnte in der Medizin Anwendungen finden – und tödliche Krankheiten wie diverse Formen von Krebs besiegen helfen.
Molekulare Maschinen sind Makromoleküle, die in Tier- oder Pflanzenzellen Bewegungen ausführen und damit bestimmte mechanische Funktionen erfüllen. So nutzen beispielsweise Bakterien winzige Nadeln, um Zellen anzubohren. Trotz ihrer komplexen Strukturen zählen molekulare Maschinen zu den ursprünglichsten Grundbausteinen des Lebens. Viele existieren schon seit Milliarden von Jahren und sind perfekt an ihre Umgebung und ihre jeweilige Funktion angepasst. Auch die größten Seuchen der Menschheitsgeschichte verdanken ihre tödliche Wirkung einer sehr erfolgreichen molekularen Maschine.
Perfekt ausgeklügelter Infektionsapparat
Das „Type III Secretion System“ (T3SS) so genannter gram-negativer Bakterien, zu denen die Erreger von Pest, Cholera und Typhus ebenso gehören wie Salmonellen, ist ein perfekt ausgeklügelter Infektionsapparat: Molekulare Strukturen, die hohlen Nadeln ähneln, ragen aus der Bakterienwand, torpedieren die Wand einer Wirtszelle und transportieren krankmachende Proteine in das Innere. Die Infektion breitet sich erfolgreich aus.
Ein internationales Forschungsteam rund um Thomas Marlovits vom Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie hat dieses Thema nun zusammen mit dem Hamburger Institute CSSB und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) sowie dem Bostoner MIT bearbeitet. Dabei konnte ein vereinfachter, aber funktionsfähiger „Bausatz“ dieser molekularen Maschine beschrieben und sogar nachgebaut werden, wie das Wissenschaftsjournal Nature Communications berichtet.
Auch stark vereinfachte Version funktioniert
Ziel der Forscher war es, den Wirkungskreis des komplexen T3SS-Systems von Salmonellen so zu vereinfachen, dass man es synthetisch nachbauen kann. „Auf welche grundlegenden Bausteine kann man das komplex regulierte System reduzieren, ohne die Funktion zu stören?“ Das war für Thomas Marlovits die zentrale Frage hinter seiner aktuellen Forschung.
Das Team stellte dafür sehr vereinfachte und für Bakterien typische Genabschnitte – so genannte „Genetic Islands“ – her und ersetzte dabei die bakterieneigene DNA durch synthetische Bausteine. Sie konnten anhand biochemischer Methoden und präziser Elektronenmikroskopie nachweisen, dass auch eine vereinfachte Version von T3SS funktionsfähig ist. Thomas Marlovits ist begeistert. „Wir haben damit nicht nur ein spannendes biotechnologisches Instrument entwickelt, sondern es eröffnet sich auch die Frage nach der Notwendigkeit und Austauschbarkeit von hochkomplexen, genetisch kodierten Wirkungskreisen.“
Wirkstoff in die Zelle schleusen
Auch für die Medizin könnten sich dafür zahlreiche Anwendungen ergeben. „Gerade in der Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten könnte das T3SS System etwa zum Einsatz kommen, um einen bestimmten Wirkstoff in eine Zelle zu schleusen, oder aber als molekularer Schalter fungieren. Doch vorerst wollen wir weiter an dem System forschen, um zu sehen wie T3SS in bestimmten Umgebungen funktioniert,“ fasst Thomas Marlovits zusammen.
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