Forscher haben ein exaktes Diagramm eines Stücks Mäusenetzhaut erstellt. Es zeigt alle Nervenzellen und ihre Verbindungen – und brachte einen neuen Zelltyp ans Licht sowie Verschaltungen, die Reaktionen einzelner Zellen erklären könnten.
Das menschliche Gehirn besitzt etwa 100 Milliarden Nervenzellen, und jede ist über Tausende von Kontakten mit anderen Zellen verbunden. Schon lange vermuten Wissenschaftler, dass die Essenz unseres Seins – was wir fühlen, denken, woran wir uns erinnern – in diesen Kontakten gespeichert ist. Doch wie lässt sich das Geheimnis dieser Verbindungen entschlüsseln? „Schon der winzigste Würfel Gehirnmasse beinhaltet tausende Nervenzellen mit hunderttausenden Kontakten“, sagt Moritz Helmstaedter, Erstautor der von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts (MPI) für medizinische Forschung (Heidelberg), des MPI für Neurobiologie (Martinsried) und des MIT (Massachusetts) im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie.
Die Neurobiologen ließen sich von diesen Zahlen jedoch nicht abschrecken: Sie haben alle Nervenzellen und Verbindungen aus einem Stück Mäusenetzhaut kartiert. Obwohl der Netzhautwürfel gerade einmal einen Zehntel Millimeter Kantenlänge hatte, kamen darin knapp 1000 Nervenzellen mit rund einer halben Million Verbindungen vor. „Wir brauchten ungefähr einen Monat, um die Daten zu gewinnen, und vier Jahre, um sie zu analysieren“, sagt Moritz Helmstaedter. Ein Grund dafür ist die extrem aufwendige Analyse der elektronenmikroskopischen Bilder des Hirngewebes: Die hauchdünnen Fortsätze der Nervenzellen müssen über lange Strecken verfolgt und Verbindungen zwischen ihnen erkannt werden.
Die Netzhaut wandelt nicht einfach nur Bilder in elektrische Signale um, sondern trennt und filtert die Bildinformationen vor der Weitergabe an das Gehirn. Entsprechend komplex ist das Netzwerk der Nervenzellen in diesem kleinen Neurocomputer. Durch die Kartierung des Netzhautstücks stießen die Wissenschaftler nun auf einen bislang unbekannten Zelltyp, der zur Klasse der Bipolarzellen gehört, aber dessen Funktion zurzeit noch unklar ist. An anderer Stelle enthält das erstellte Verbindungsdiagramm Verschaltungsmuster, die erklären könnten, warum manche Zellen auf eine ganz bestimmte Art auf Reize reagieren. „Diese Ergebnisse zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, obwohl wir mit dieser Arbeit gerade einmal 0,1 Prozent der Netzhaut einer Maus analysiert haben“, so Helmstaedter. Wie viele andere Neurobiologen ist er davon überzeugt, dass die Entschlüsselung der Gesamtheit der Verbindungen im Nervensystem (Connectom) eines Lebewesens die Hirnforschung revolutionieren wird.
„Unser Ziel ist es, das ganze Connectom eines Mäusegehirns zu analysieren und zu verstehen“, sagt Winfried Denk, der gerade im Begriff ist sein Labor vom MPI für medizinische Forschung in Heidelberg ans MPI für Neurobiologie in Martinsried zu verlegen.
Weitere Informationen: www.neuro.mpg.de www.neuro.mpg.de/helmstaedter
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