Disease Interception verfolgt das Ziel, Krankheiten bereits in ihrer Entstehungsphase entgegenzuwirken. Dafür müssen Prozesse, die mit einer Krankheitsentwicklung in Verbindung stehen, zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt entdeckt und durch eine gezielte Intervention aufgehalten oder sogar umgekehrt werden. Als besonders wertvoll erweist sich das Abfangen – so die wörtliche Übersetzung zu Interception – von Erkrankungen, wenn sich diese über einen längeren Zeitraum entwickeln und in einem fortgeschrittenen Stadium nur noch schlecht oder gar nicht mehr behandelbar sind. Typische Beispiele dafür sind bestimmte Krebsformen oder die Alzheimer-Krankheit.
Um Anhaltspunkte für einen drohenden symptomatischen Krankheitsausbruch zu erkennen und Zusammenhänge zwischen einzelnen Faktoren und Krankheiten zu erkennen, müssen große Datenmengen digitalisiert, gesammelt und ausgewertet werden. Auch künstliche Intelligenz kann hier nützlich sein.
Prävention wirft auch rechtliche Fragen auf
Abgesehen von der technischen Seite gibt es aber auch rechtliche Fragen, die mit diesem Ansatz aufgeworfen werden. Diese erforscht das Institut für Sozial- und Gesundheitsrecht (ISGR) der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zusammen mit der Universitätsmedizin Essen in einem 24-monatigen Projekt. Es ist am 1. Juli 2021 gestartet, und das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) fördert es mit rund 170.000 Euro.
„Ein Schwerpunkt des Projekts liegt auf dem Leistungsrecht“, erklärt Projektmitarbeitern Lara Wiese. Denn die überwältigende Mehrheit der in Deutschland lebenden Personen ist gesetzlich krankenversichert. Damit hängt die Verfügbarkeit von bestimmten medizinischen Maßnahmen faktisch davon ab, ob diese im Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthalten sind.
Geklärt werden soll, wie sich Disease Interception in das System des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) – dem Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung – insgesamt einfügt. Es stellt sich die Frage, ob und auf welcher Grundlage gegenwärtig entsprechende Leistungen beansprucht werden können. Mit Blick auf die Zukunft soll geklärt werden, ob für eine langfristige umfassende Implementierung dieses Ansatzes ein expliziter Regelungsbedarf besteht.
Kooperation mit dem Smart Hospital in Essen
Neben dem krankenversicherungsrechtlichen Bereich sollen auch die medizinische Versorgungspraxis und Forschung in den Blick genommen werden, die sich bereits mit dem Konzept der Disease Interception befasst. Dazu kooperiert das Projektteam unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Huster eng mit der Universitätsmedizin Essen (UME). Über das Konzept des Smart Hospital versucht sie bereits, die im Krankenhaus erhobenen Daten zur Verbesserung der Versorgung zu nutzen – im Sinne der möglichst frühzeitigen Erkennung von Krankheitsrisiken und -anzeichen.
Die Themen: Datenschutz, Zertifizierung, Aufklärung, Einwilligung
Das rechtliche Problemfeld von Disease Interception reicht vom Datenschutz über komplizierte Zertifizierungsverfahren für Geräte, Verfahren oder Apps bis hin zu Fragen der Aufklärung und informierten Einwilligung. „Dank der Unterstützung von Dr. Anke Diehl, Chief Transformation Officer der Universitätsmedizin Essen, und durch die Einbindung sowohl von ärztlichem Personal als auch von Patientinnen und Patienten können die mit dem Konzept der Disease Interception verbundenen Chancen, aber auch Schwierigkeiten aus der Perspektive des Rechts und der medizinischen Praxis beleuchtet werden“, so Stefan Huster.
Die Vernetzung von Medizinrecht und Medizin dient als Grundlage dafür, die Bedürfnisse und tatsächlichen Begebenheiten der Praxis realitätsnah zu untersuchen und zu bewerten. Zudem will das Projektteam konkrete, praktikable Lösungs- oder Verbesserungsvorschläge erarbeiten. „Die Ergebnisse sollen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, Krankenhäusern sowie sonstigen Stakeholdern im deutschen Gesundheitssystem eine erste Orientierung bieten, welche Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Konzept der Disease Interception zu bewältigen sind“, so Stefan Huster. „Sowohl gegenwärtig bei seiner Entwicklung und ersten Anwendung als auch perspektivisch, wenn seine umfassende und breitflächige Zugänglichmachung, insbesondere als Leistung der GKV, angezeigt erscheint.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Lara Wiese
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie
Institut für Sozial- und Gesundheitsrecht (ISGR)
Juristische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: lara.wiese@rub.de