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„Wir sind spät, aber nicht zu spät“

Endoprothesenregister Deutschland: Ab Mitte 2013 startet der echte Betrieb
„Wir sind spät, aber nicht zu spät“

Endoprothesen-Register gibt es in vielen Ländern der Welt, zum Teil seit vielen Jahren. Aus den Erfahrungen damit hat eine deutsche Initiative gelernt, deren System demnächst an den Start geht. Geschäftsführer Prof. Dr. med. Joachim Hassenpflug rechnet in etwa zwei Jahren mit ersten Resultaten.

Herr Professor Hassenpflug, das Endoprothesenregister Deutschland, kurz EPRD, soll schon bald Fragen zur Versorgungsqualität bei Implantaten in Hüfte oder Knie beantworten. Welche Faktoren bestimmen denn, wann künstliche Gelenke auszutauschen sind?

Viele Faktoren wirken zusammen, bis ein Wechsel einer Prothese ansteht. Derzeit wird in der Öffentlichkeit vor allem über die Qualität der Prothese selbst diskutiert. Aber natürlich spielen auch das Alter und der Gesundheitszustand des Patienten zur Zeit der Operation eine große Rolle. Manche rheumatische Erkrankungen und Osteoporose steigern zum Beispiel das Risiko für eine Wechseloperation. Umgekehrt sind die Erfolgsaussichten für Implantate bei jüngeren Menschen geringer als bei älteren, weil die Jungen ihre Gelenke stärker beanspruchen. Und natürlich trägt eine gute Versorgung im Krankenhaus zum langfristigen Erfolg der Operation bei.
In Deutschland werden Wechselraten von über 10 Prozent für den Austausch künstlicher Gelenke angegeben. Das klingt nach einem hohen Wert. Liegen die Wechselraten überall in dieser Größenordnung?
Die Angaben zu den Wechselraten in Deutschland muss man mit Vorsicht betrachten. Die Zahlen, die uns vorliegen, verraten lediglich, dass heute jährlich über 390 000 Prothesen in Hüfte oder Knie eingesetzt werden und davon bei rund 37 000 Operationen eine vorhandene Prothese ersetzt wird. Wie lange diese getragen wurde und warum ein Austausch notwendig war, wissen wir nicht. Es könnte also sein, dass wir heute eine gute Versorgung haben und die erfasste Wechselrate einem langfristigen Effekt zuzuschreiben ist – also Implantate nach langen Standzeiten gewechselt werden. Ob das so sein könnte, wurde schon in Studien mit einigen Tausend Patienten untersucht. Eine Hochrechnung von einer solchen vergleichsweise kleinen Fallzahl auf mehrere Hunderttausend Fälle führt aber nicht zu belastbaren Ergebnissen. Wie gut die Versorgungsqualität ist, werden wir also erst sagen können, wenn das Endoprothesenregister seine Arbeit aufgenommen hat.
Welche Daten werden im EPRD künftig erfasst und gespeichert?
Wir führen Daten aus verschiedenen Quellen zusammen: aus den Kliniken, von den Krankenkassen und von den Herstellern, die Details zu ihren Produkten in einer Datenbank abgelegt haben. Dort sind rund 30 000 Einzelteile beschrieben. Von den Krankenkassen wiederum werden wir zum Beispiel erfahren, welche Vorerkrankungen beim Patienten auftraten, wie lange er das Implantat trug und wie alt er bei den Operationen war. Selbstverständlich sind solche Daten pseudononymisiert und werden nur im Fall eines Rückrufes bei den Krankenkassen aufgearbeitet, um betroffene Patienten zu informieren.
Endoprothesenregister gibt es in anderen Ländern schon lange. Welche Erkenntnisse wurden daraus abgeleitet?
In manchen Ländern gab es Register schon in den 70er Jahren. Allerdings wurden zum Teil nicht alle Daten erfasst, die aus heutiger Sicht für eine Auswertung sinnvoll sind. In Skandinavien wurde zum Beispiel nur gefragt, ob Zement verwendet wurde oder nicht und das Implantat aus Metall, Kunststoff oder Keramik war. Es macht aber einen Unterschied, ob eine Werkstoffpaarung bei einer Kappenprothese oder einer kompletten Prothese aus Kopf und Stil eingesetzt wird. So hat jedes der bestehenden Register seine Defizite. Aus den skandinavischen Daten wissen wir aber, dass die Infektionsrate nach der Operation eine Rolle spielt, nur sind dazu leider noch keine Details erkennbar.
Was bedeutet das für das deutsche Register?
Wir haben von diesen Erfahrungen gelernt und wollen im EPRD so viele Informationen wie möglich erheben. Umgekehrt ist uns klar, dass ein Register nicht akzeptiert wird, wenn dafür viel zusätzlicher Aufwand getrieben werden muss. Daher greifen wir weitgehend auf Daten zurück, die ohnehin in den Kliniken oder auch bei den Kostenträgern erfasst werden und lassen diese zusammenfließen. Das ist ein weltweit einmaliger Ansatz.
Warum setzen die Arbeiten am Register in Deutschland so spät ein?
Wir sind spät, aber wir sind nicht zu spät dran. Um die solide Basis des EPRD werden wir international schon beneidet, obwohl das System noch in der Erprobung ist. Und man muss sehen, dass wir in der Startphase sehr zügig vorangekommen sind: Das Register wurde 2010 gegründet, und wir gehen schon Ende 2012 in die Erprobungsphase. Sobald diese abgeschlossen und alles, was noch haken könnte, behoben ist, starten wir Mitte 2013 mit dem echten Betrieb und rechnen in etwa zwei Jahren mit ersten Ergebnissen.
Wie werten Sie die Daten aus?
Alle Informationen fließen beim BQS-Institut zusammen und werden nach einem Schema bewertet, das unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie festgelegt wurde. Sobald dabei Auffälligkeiten erkennbar werden, müssen Fachleute die Ergebnisse interpretieren. Ihre Resultate werden jährlich veröffentlicht. Alle, die teilnehmen, bekommen dann die für sie relevante Auswertung in die Hand. Da diese Daten auch öffentlich zugänglich sein werden, gibt es keine Möglichkeit, irgendetwas zu verheimlichen.
Die Beteiligung an dieser Initiative ist freiwillig. Wie ist die Resonanz bisher?
Gut. Alle großen Hersteller haben Prothesen-Daten bereitgestellt, es fehlen nur einige kleine. Somit decken wir fast 95 Prozent der in Deutschland verwendeten Implantate ab. Für die Krankenhäuser bietet das EPRD die Möglichkeit für ein enges Feedback. Es wird deutlich werden, welche Erfolgsquoten die einzelnen Häuser haben. Und wer nicht teilnimmt, wird sich über kurz oder lang einem gewissen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sehen. Für die Patienten sind die Ergebnisse auch nützlich, und daher haben wir keine Bedenken, dass sie eine Verwendung ihrer Daten im EPRD ablehnen. Im Gegenteil, wir haben schon Anfragen von Patienten, die ihre Daten selbst angeben wollten.
Wenn Ursachenforschung betrieben wird, könnten eventuell auch Haftungsfragen berührt werden.
Unsere Aufgabe ist es nicht, Haftungs- oder Schuldfragen zu klären, dafür haben wir keinen gesetzlichen Auftrag. Wir werden lediglich helfen, die Faktoren zu erkennen, die zum Austausch eines Implantates führen. Die Konsequenzen daraus müssen Krankenhäuser, Hersteller und Kostenträger selbst ziehen. In Ländern, die bereits Register haben, hat sich die Vielzahl der eingesetzten Implantate allerdings im Lauf der Zeit reduziert, und die besten unter ihnen sind weiter verbreitet.
Was erhoffen Sie sich aus den Auswertungen der EPRD-Daten?
In Schweden hat sich die Wechselwahrscheinlichkeit nach Einführung der Register halbiert. So ein Effekt wäre auch für Deutschland wünschenswert. Und angesichts der Fallzahlen bei uns steckt darin neben den menschlichen Aspekten ein großes Einsparpotenzial. Jede dieser Operationen kostet um die 10 000 Euro. Wenn wir jährlich rund 18 000 Operationen weniger hätten, summiert sich das.
Gibt es Überlegungen, auch für andere Produktgruppen ein Register einzuführen?
Die gibt es. Doch halte ich es für sinnvoll, zunächst einmal diese neue Form des Registers für eine Produktart einzuführen und das System auszuprobieren, bevor man es auf andere Produkte überträgt. Wenn es so gut funktioniert, wie wir erwarten, lässt es sich sicherlich ausweiten.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Mehr zum Register: www.eprd.de

Über das Endoprothesenregister
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) hat den Aufbau des Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) initiiert und das Projekt gemeinsam mit dem AOK-Bundesverband, dem Verband der Ersatzkassen e.V. (VDEK), dem Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) und dem BQS Institut für Qualität und Patientensicherheit (BQS-Institut) vorangetrieben.
Im EPRD fließen vor allem Daten zusammen, die ohnehin schon in Deutschland erhoben wurden: die patientenbezogenen Abrechnungsdaten der Krankenkassen und die Daten aus der gesetzlichen Qualitätssicherung, die Krankenhäuser zur Verfügung stellen müssen. Diese Informationen werden mit Angaben zu den jeweils verwendeten Implantate verbunden. Dafür stellt der BVMed gemeinsam mit seinen Mitgliedsunternehmen Implantat-Daten bereit, so dass alle auf dem deutschen Markt verfügbaren Implantattypen erfasst sind. Neu ist lediglich, dass in den beteiligten Krankenhäusern jedes Einzelteil der verwendeten Endoprothese vor der Operation mit einem Barcode-Scanner erfasst wird. Dieser Schritt dient dazu, die Angaben den Implantat-Daten zuzuordnen.
Die Beteiligung am EPRD ist für Hersteller, Krankenhäuser und Patienten freiwillig. Patientendaten werden pseudonymisiert, so dass Einzelpersonen nur von der eigenen Krankenkasse identifiziert werden können – was im Fall eines Rückrufs aufgrund von bekannt gewordenenen Mängeln an der Prothese erforderlich sein könnte.
Aufgebaut und betrieben wird das EPRD von der neutralen und unabhängigen Deutschen Endoprothesenregister EPRD gGmbH mit Sitz in Berlin. Die gemeinnützige Gesellschaft wurde am 22. Dezember 2010 als hundertprozentige Tochter der DGOOC gegründet. Die zentrale Registerstelle befindet sich am BQS Institut für Qualität und Patientensicherheit. Dort fließen die Datenstränge von Krankenhäusern und Krankenkassen zusammen. BVMed, VDEK und der AOK-Bundesverband unterstützen das Register finanziell.

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