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Implantate sind gut – vom Tissue Engineering darf man träumen

Implantate und Tissue Engineering
Weniger Infektionen an Implantaten sind das Ziel

Weniger Infektionen an Implantaten sind das Ziel
Prof. Dr. Georg Matziolis ist Chefarzt am Deutschen Zentrum für Orthopädie in den Waldkliniken Eisenberg und besetzt dort den Lehrstuhl für Orthopädie der Universität Jena Bild: Waldkliniken Eisenberg
Um moderne Implantate weiter zu verbessern, wünscht sich der Orthopäde Prof. Georg Matziolis Fortschritte in Sachen Infektionsprävention und größere Toleranz bei den Einbaubedingungen. Mehr verspricht er sich langfristig aber von den Fortschritten im Tissue Engineering.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Professor Matziolis, welche Biomaterialien sind für die Orthopädie wichtig?

Unter dem Begriff Biomaterialien fasse ich Werkstoffe zusammen, die wir in den Körper einbringen können. Als Orthopäde begegnen mir diese vor allem in Form von Implantaten, die dauerhaft im Körper ihre Funktion erfüllen sollen – wir sprechen hier also von Metalllegierungen, Kunststoffen und Keramik. Wichtig und spannend, aber zahlenmäßig weniger vertreten sind biologisch aktive Materialien: Sie werden zum Beispiel für resorbierbare Implantate oder Schrauben verwendet. Auch Produkte mit funktionalisierten Oberflächen, die das Gewebe im Körper oder in einem Kulturgefäß zu bestimmten Reaktionen anregen sollen, gehören dazu. Damit sind wir dann schon im Bereich des Tissue Engineering.

Wie bewerten Sie die verfügbaren Biomaterialien aus medizinischer Sicht?

Wir haben ein großes Spektrum sehr gut funktionierender Produkte zur Verfügung. Im Bereich der Implantate sind diese allerdings schon ausgereifter als in der verhältnismäßig jungen Disziplin des Tissue Engineering oder bei den funktionalisierten Oberflächen.

Bei welchen Eigenschaften haben Metall, Kunststoffe und Keramik als Implantatwerkstoff jeweils die Nase vorn?

Metalle sind in ihrer Entwicklung wohl am weitesten ausgereizt. Der vor allem in Deutschland geführten Diskussion um Metallallergien versucht man mit hypoallergenen Implantaten zu begegnen, bei denen eine Beschichtung den Austritt von Metallionen verhindern soll. Die Frage, die es dabei noch zu klären gilt, ist, wie man das Abplatzen einer solchen Beschichtung dauerhaft verhindert. Bei den Kunststoffen haben die quervernetzten Polyethylen-Werkstoffe große Fortschritte gebracht, weil sie den Abrieb an den Gleitflächen im Implantat senken. Der letzte entscheidende Schritt war hier die Stabilisierung mit Vitamin E, die der Alterung des Kunststoffes vorbeugt. Das bieten heute alle großen Hersteller an. Bei Keramik der vierten Generation haben wir keine Probleme mit Abrieb und es treten auch nur noch sehr selten Brüche auf. Klinisch relevant ist allerdings, dass Gelenke mit Keramik quietschen können – und obwohl dieses Phänomen seit Jahrzenten bekannt ist, verstehen wir immer noch nicht exakt, wodurch es verursacht wird. Sobald wir das wissen, könnten wir Fortschritte machen.

Welche Ansatzpunkte sehen Sie für weitere Verbesserungen?

Der aus meiner Sicht wichtigste Punkt wäre eine bessere Infektionsprophylaxe. Heutige Implantate sind technisch so weit ausgereift, dass sie hohe Standzeiten erreichen können. Aber wir beobachten trotz schonender Operationsverfahren und verbesserter Prophylaxe eine konstant hohe Infektionsrate in der Zeit relativ kurz nach dem Eingriff, was dann oft Revisionsoperationen erforderlich macht. Das lässt sich teilweise dadurch erklären, dass wir immer bessere Detektionsmöglichkeiten haben und die Patienten auch immer älter sind. Aber es zeigt sich auch, dass allein die Anwesenheit eines Fremdkörpers schon bei einer geringen Anzahl von Bakterien zur Entzündung führt. Keramik scheint dabei weniger Infektionen zu begünstigen als Polyethylen. Die Infektionsraten zu verringern, würde sich aber lohnen. Gute Ergebnisse haben Beschichtungen mit Silber gezeigt oder ein Hydrogel auf der Oberfläche des Implantates, das in der ersten Zeit Antibiotika freisetzt. Anstrengungen in dieser Richtung sollten wir unbedingt fortsetzen.

Wie einfach ist der Umgang mit den Higtech-Materialien bei der Operation?

Implantate, wie sie heute auf den Markt kommen, haben sehr gute Eigenschaften – was sich unter Laborbedingungen nachweisen lässt. Diese Eigenschaften werden allerdings nur erreicht, wenn beim Einbau der Implantate sehr viele Randbedingungen in einem sehr engen Korridor bleiben. Das ist im OP nicht immer machbar. Dort herrschen nicht die trockenen und sauberen Bedingungen wie im Labor: Blut und Gewebe können zwischen Grenzflächen modularer Implantate gelangen. Und wenn alte Patienten versorgt werden, kann eventuell nicht die vom Hersteller vorgegebene Fügekraft für eine Verbindung zwischen Schaft und Kopf aufgebracht werden, weil sonst das Risiko eines Bruchs im Knochen zu groß wäre. Dann habe ich zwar ein Implantat verwendet, das zwischen Kopf und Pfanne kaum Abrieb aufweist, aufgrund der niedrigeren Fügekraft aber zwischen Schaft und Kopf Abrieb erzeugt. Wünschenswert wären also Implantate, die auch in einem breiteren Korridor von Einbaubedingungen ihre guten Eigenschaften zeigen. Das englische Wort „forgivingness“ bezeichnet das gut – vielleicht kann man da im Deutschen von Toleranz sprechen.

Wird hierzu ausreichend geforscht?

Die Hersteller kümmern sich um die Themen Infektion und um Forgivingness: Verbesserungen könnten ihren jeweiligen Marktanteil steigern. Auch das Erfassen der Daten zum Beispiel im Deutschen Endoprothesenregister baut einen gewissen Druck auf. Das Register gibt es erst seit wenigen Jahren, und hier fallen die früh auftretenden Ausfälle von Implantaten besonders auf.

Wo sehen Sie für die nächste Zeit die größten Potenziale?

Bei der regenerativen Medizin ist in den vergangenen 20 Jahren insbesondere die Knorpeltherapie nicht-verschleißbedingter Defekte in der klinischen Routine angekommen. Aber man darf weiter von Fortschritten träumen – und das tue ich. Seitens der Patienten ist das Interesse groß. Noch können wir nicht viel anbieten, aber ich gehe davon aus, dass wir vorankommen werden mit Matrizes aus körperähnlichen Materialien, die Wachstumsfaktoren freisetzen und das Gewebe so beeinflussen, dass wir vielleicht eines Tages ganz auf Implantate verzichten können.

Welche Perspektiven sehen Sie für Biomaterialien in der Medizin?

Solange wir die regenerative Medizin noch weiterentwickeln müssen, wird uns bei Biomaterialien eine verbesserte Wirkstofffreisetzung voranbringen. Das sehe ich aber weniger als technisches Problem. Vielmehr müssen bei solchen Produkten die Vorgaben des Arzneimittelgesetzes mit umfangreichen Zulassungsstudien erfüllt werden – der Hersteller hat aber nur einmal, nämlich wenn das mit Wirkstoffen beschichtete Implantat eingebaut wird, die Chance, diesen Aufwand zu refinanzieren. Die Sicherheit für die Patienten muss natürlich gegeben sein, so dass man die Studien nicht einfach auslassen kann. Aber mein Eindruck ist, dass der Kostenaspekt Hersteller abschreckt, auf diesem Gebiet rasch voranzuschreiten.

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