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Ballonkatheter gegen verengte Gefäße

Therapie gegen Gefäßverengung
Was Ballonkatheter erreichen und was sich verbessern lässt

Was Ballonkatheter erreichen und was sich verbessern lässt
Prof. Bruno Scheller leitet am Universitätsklinikum der Universität des Saarlandes in Homburg die interventionelle Kardiologie (Bild: Rüdiger Koop/Universität des Saarlandes)
Nicht immer lassen Gefäße dem Blut genug Platz zum Fließen, sei es rund ums Herz oder im Bein – wo dann von der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit die Rede ist, auch Schaufensterkrankheit genannt. Vor rund 20 Jahren kamen als Therapieoption gegen solche Verengungen medikamentenbeschichtete Ballonkatheter ins Spiel. Wie sie sich von den ersten Studien an entwickelt haben und wohin die Reise gehen könnte, beschreibt einer der beiden Pioniere auf diesem Gebiet, Prof. Bruno Scheller, im Interview.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Inhaltsverzeichnis
Aktuelle Standardtherapie bei Gefäßverengungen
Vorteile medikamentenbeschichteter Ballonkatheter
Entwicklung dieser Medizinprodukte bisher
Perspektiven für die Weiterentwicklung beschichteter Ballonkatheter
Wirkstoffe für die Beschichtung
Augenmerk auf klinische Studien
Schwerpunkte für klinische Studien
Was nach den medikamentenbeschichteten Ballonkathetern kommt
Erfahrungen auf andere Medizinprodukte anwenden
Über Ballonkatheter mit Medikamenten

Herr Professor Scheller, was ist heute der Standard bei der Behandlung von Gefäßverengungen?

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Patienten mit verengten arteriellen Gefäßen per Katheter zu behandeln. Am häufigsten kommen Ballonkatheter und Stents zum Einsatz. Was die beste Wahl ist, hängt unter anderem vom Ort des Geschehens ab. Am Herz werden derzeit meist noch Drug Eluting Stents implantiert. Immer häufiger kommen aber auch die von uns entwickelten medikamentenbeschichteten Ballonkatheter, kurz DCB für Drug-coated Balloons, zum Einsatz. Bei Gefäßverengungen im Oberschenkel sind Stents grundsätzlich ebenfalls einsetzbar, allerdings sind die Gefäße hier von starken Muskeln umgeben, die einen Stent deformieren können. Hier sind DCB eindeutig im Vorteil – und auch dann, wenn sich ein zuvor mit Stent versorgtes Gefäß wieder verengt. Mit dem Ballon können wir es aufdehnen und gleichzeitig Medikamente wie Paclitaxel abgeben, die dafür sorgen, dass nicht erneut Zellen unkontrolliert wachsen und das Gefäßlumen wieder verengen.

Was spricht vor allem für die beschichteten Ballonkatheter, die Sie mit Professor Speck von der Charité entwickelt haben?

Lassen Sie mich mit den Stents anfangen: Ein Stent erreicht viel, aber er ist ein bleibendes Implantat. Das kann zu langfristigen Problemen führen, sogenannten Stent-assoziierten Ereignissen. Diese sind am Herzen mit 1,5 bis vier Prozent pro Jahr nicht sehr häufig, aber können vor allem bei jungen Patienten über die Jahre relevant werden. Bioresorbierbare Stents konnten dieses Problem erstmal nicht lösen. Ein Ballonkatheter hingegen tut seinen Dienst nur im Moment der Behandlung, dann entfernt der Mediziner ihn wieder. Ist die Oberfläche des Ballons mit Medikamenten beschichtet, werden diese bei der Ballondehnung in das Gewebe übertragen – vorausgesetzt, die Beschichtung ist effektiv. Die Wirkstoffe verbleiben dort bis zu mehreren Monaten und verhindern in der Folge eine erneute Verengung, ohne dass ein Implantat erforderlich wäre. Eine Limitation der alleinigen Ballondilatation ist allerdings das Auftreten von kleinen Rissen in der Gefäßwand, so genannten Dissektionen. Diese zu vermeiden oder zu begrenzen, ist derzeit ein Forschungsthema.

Wie haben sich die dafür verwendeten Medizinprodukte seit Einführung dieser Therapieform vor rund 20 Jahren verändert?

Die Ballonkatheter, die wir heute verwenden, sind im Prinzip die gleichen wie damals – dennoch liegen Welten dazwischen, weil sie sich mechanisch verbessert haben, sie sind flexibler geworden und meistern leichter Kurven im Gefäßverlauf. Das war anfangs im Vergleich zu dem relativ einfachen Einsetzen eines Stents ein echter Nachteil für die Ballonkatheter. Auch können wir heute Medikamente viel gezielter aufbringen und genauer dosieren, als das zur Zeit der ersten Studien möglich war. Statt wiederholt den Ballon in eine Lösung des Medikaments zu tauchen und die Flüssigkeit eintrocknen zu lassen, gibt es dafür heute kontrollierte Beschichtungsprozesse.

Wie lassen sich die heute verfügbaren Produkte weiterentwickeln?

Ein Aspekt, an dem auch wir arbeiten, sind die Oberflächen der Ballons und das Vermeiden der Geweberisse beim Aufdehnen. Auch die Idee der bioresorbierbaren Stents wollen wir nochmal aufgreifen, mit Blick darauf, sie an eine Ballonkatheter-Behandlung anzupassen. Weiterhin geht es darum, bei der Behandlung mit dem beschichteten Ballon möglichst viel Wirkstoff ins Gewebe zu bringen. Aus medizinischer Sicht ist auch zu schauen, wie sich die klinischen Indikationen besser definieren lassen: Wann bietet ein Stent, wann der Ballonkatheter die meisten Vorteile? Und bei der Wahl der Wirkstoffe gibt es ebenfalls Optionen.

Welche Wirkstoffe spielen hier eine Rolle?

Die Idee der Beschichtung ist sowohl bei den so genannten Drug Eluting Stents als auch bei den Ballonkathetern umgesetzt worden. Allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Bei den Stents hat sich das Immunsuppressivum Sirolimus durchgesetzt, bei den Ballonkathetern das Krebstherapeutikum Paclitaxel, das das Zellwachstum hemmt. Aber das sind nicht die einzigen denkbaren Medikamente. Wir haben allerdings gelernt, dass es wichtig ist, bei den klinischen Studien dazu sehr genau hinzuschauen. Nicht jeder theoretische Vorteil einer Substanz lässt sich in einem klinischen Vorteil abbilden.

Was hat den Blick auf die Studien geschärft?

Es gab eine Veröffentlichung zu einer Meta-Studie, die die Behandlung mit dem medikamentenbeschichteten Ballonkatheter in den Beinen in ein schlechtes Licht gebracht hat. Im Nachhinein zeigte sich, dass die Aussagen über eine angeblich erhöhte Sterblichkeit nach dieser Behandlung nicht haltbar waren, sondern die Schlussfolgerung auf methodische Fehler zurückging. Eine der Lehren aus dieser Diskussion ist allerdings, dass letztlich qualitativ hochwertige klinische Forschung Grundlage jeglichen medizinischen Fortschritts darstellt. Aus der Diskussion um diese Meta-Studie haben wir gelernt, dass die langfristige vollständige Nachbeobachtung der Patienten essenziell ist.

Welche Aspekte gilt es stärker zu berücksichtigen?

Die gesamte Therapie einschließlich der Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktionen spielen eine wichtige Rolle – das wurde hier ganz klar. Eine erfolgreiche Behandlung wie im vorliegenden Fall mit medikamentenbeschichteten Ballonkathetern hat den Gesundheitszustand der Patienten soweit verbessert, dass sie seltener an präventiven Untersuchungen teilgenommen haben. In der Folge hatten Sie eine schlechtere medikamentöse Sekundärprävention. Solche möglichen Zusammenhänge, die mit dem Erfolg oder Misserfolg der Therapie an sich nichts zu tun haben, sollten im Studiendesign mit bedacht werden

Welche Entwicklungen könnten eines Tages den medikamentenbeschichteten Ballonkatheter ablösen?

Es gibt heute meines Wissens noch keine medizintechnische Idee dazu. Was wir aber ändern sollten, ist der Zeitpunkt, an dem wir uns mit dem Problem der Gefäßverengung befassen. Heute greifen wir spät ein, meist erst wenn es schon zu Symptomen gekommen ist. Wir behandeln die Spitze des Eisberges, nicht die zugrundeliegende Erkrankung. Besser wäre es, aktiv zu werden, bevor Atherosklerose zu klinischen Symptomen führt. Mir schwebt eine möglichst frühe lokale Behandlung gefährdeter Gefäßabschnitte vor. Dafür sind natürlich andere Formen der lokalen Medikamentengabe erforderlich. Den klinischen Vorteil eines derartigen Vorgehens nachzuweisen, wird allerdings keine einfache Aufgabe sein.

Was lässt sich aus den Erfahrungen mit medikamentenbeschichteten Ballonkathetern für andere Medizinprodukte ableiten, die Wirkstoffe abgegeben?

Für mich war die wichtigste Erkenntnis, dass man ein Ziel konsequent verfolgen muss. Als wir die Idee des DCB in der Fachwelt vorstellten, war die Reaktion unisono, dass dies nicht funktionieren wird. Nachdem wir den Wirksamkeitsnachweis im Großtiermodell hatten, sagte man uns, dass es unmöglich im Menschen wirken könne. Als wir die ersten klinischen Daten publizierten, sogar im New England Journal of Medicine, war die Reaktion, dass niemand einen DCB braucht, da es ja Drug Eluting Stents gibt. Wichtig für uns war, dass wir streng wissenschaftlich gearbeitet und vor allem bei den klinischen Studien seriöse Forschung betrieben haben. Leider gab es gerade bei den DCB eine Reihe negativer Beispiele schlecht gemachter Studien, die überwiegend nur Marketingzwecken der entsprechenden Firmen dienten. Mit so etwas kommen wir aber bei Kombinationsprodukten nicht wirklich voran.


Ein Stent weitet ein verengtes Gefäß wieder auf. Tritt dennoch wieder eine Verengung auf, hilft die Behandlung mit einem mit Paclitaxel beschichteten Ballonkatheter: Der Wirkstoff hemmt das Zellwachstum
(Bild: Zarathustra/stock.adobe.com)

Über Ballonkatheter mit Medikamenten

Der mit Medikamenten beschichtete Ballonkatheter zählt bei verengten Blutgefäßen heute zu den anerkanntesten Therapiemethoden. Weit über eine Million Patienten wurden inzwischen damit behandelt. Entwickelt haben das Verfahren Professor Bruno Scheller von der Universität des Saarlandes und Professor Ulrich Speck von der Berliner Charité. Seit 2003 – damals erstmals im Rahmen einer klinischen Studie in Homburg – ist der medikamentenbeschichtete Ballonkatheter im Einsatz. Seit über 20 Jahren forschen Scheller und Speck mit ihren Gruppen gemeinsam daran, die Methode weiter zu optimieren. Die europäische Fachgesellschaft für Kardiovaskuläre und Interventionelle Radiologie (Cirse) verlieh den Forschern hierfür im Herbst 2021 den „Exzellenz- und Innovations-Preis“.

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