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„Kurze Wege von den CAD-Daten bis zum Operationssaal“

Experimente im OP: Bozzini-Lab am Fraunhofer IPA soll Entwicklung erleichtern
„Kurze Wege von den CAD-Daten bis zum Operationssaal“

Produkte für das OP-Umfeld testen und entwickeln Stuttgarter Forscher neuerdings in einem OP-ähnlichen Technikum. Laut Abteilungsleiter Dr. med. Urs Schneider kann das Konzept die Zusammenarbeit von Unternehmen und Ärzten verbessern.

Herr Dr. Schneider, Sie betreiben seit kurzem am Fraunhofer IPA ein Operationssaal-Technikum, das Bozzini-Lab. Mit welchem Ziel wurde es eingerichtet?

Wir entwickeln seit einigen Jahren mit Partnerunternehmen Instrumente und andere Produkte für das OP-Umfeld. Mit dem Operationssaal im eigenen Haus sind wir nun viel flexibler, was das Testen der Produkte angeht. Wir können mal eben aus dem Labor mit den CAD-Daten hinübergehen und den aktuellen Stand unter recht realitätsnahen Bedingungen testen. So bekommt man schneller einen Eindruck von eventuell erforderlichen Änderungen, als wenn man dafür einen Partner in der Klinik behelligen müsste.
Sie sind selbst Mediziner. Wie ähnlich ist die Arbeit im Technikum zu dem, was Sie aus der Klinik kennen?
Der größte Unterschied ist sicherlich, dass wir hier nicht steril arbeiten können – Operationen am Menschen sind also nicht möglich und auch nicht vorgesehen. Auch ist der Raum, in dem wir hier in Stuttgart die OP-Settings nachstellen, mit seinen derzeit 30 Quadratmetern kleiner, als ich mir das gewünscht hätte. Aber alles Wesentliche an OP-Ausstattung ist da und entspricht dem aktuellen Standard – sei es der Tisch mit verschiedenen Aufbauten, der C-Bogen nebendran oder die Beleuchtung. Auch der Einsatz eines Navigationssystems ist möglich. Und im Rahmen von Umbauten am Institut werden wir für die Zukunft mehr Platz bekommen.
Haben Sie die Ausstattung auf einzelne medizinische Fachrichtungen konzentriert?
Unsere bisherigen Projekte waren hauptsächlich im Bereich der allgemeinen und minimal-invasiven Chirurgie, der Neurochirurgie sowie der Orthopädie und Unfallchirurgie angesiedelt. Daher standen diese Gebiete im Vordergrund. Wir haben aber zum Beispiel einen Endoskopieturm zur Verfügung und können uns auch auf andere Fachrichtungen einstellen, indem wir weitere Accessoires ergänzen.
Wenn sich ein klinischer Partner an der Entwicklung beteiligt, ist natürlich der direkte Kontakt zu Fachärzten verschiedener Richtungen gegeben. Muss man darauf im Technikum verzichten?
Nein, denn ohne die Beteiligung von Medizinern kann eigentlich kein Projekt im Medizintechnik-Bereich erfolgreich sein. Deshalb stehen wir mit Ärzten verschiedener Disziplinen in engem Kontakt, und zum Teil fordern diese uns sogar auf, bestimmte Produkte weiterzuentwickeln – was wir zusammen mit Unternehmen in der Regel auch tun. Und für verschiedene Projekte hatten wir zum Beispiel einen Chirurgen von der Charité bei uns, einen Experten für Neurochirurgie aus Minneapolis und auch mal einen Orthopäden aus Regensburg. Im Vergleich zur Klinik kann man in diesem Vorgehen sogar einen Vorteil sehen: Tests im Technikum können auf Wunsch wirklich geheim bleiben, weil nicht mal eine OP-Schwester irgendetwas mitbekommt.
Wer hat Zutritt zum Bozzini-Lab?
Seitdem der Raum eingerichtet ist, also seit Herbst 2010, haben wir ihn zunächst vor allem für unsere Projekte genutzt, an denen auch Unternehmen beteiligt sind. Wenn aber jemand in den Räumen ohne uns, also quasi ‚unter sich‘, etwas ausprobieren will, kann er das Bozzini-Lab dafür auch mieten.
Für welche Projekte nutzen Sie das Technikum aktuell?
Für die minimal-invasive Bauchchirurgie wurden zum Beispiel ein automatisiertes Instrumentenwechselsystem, neue Lichtquellen sowie ein drahtloses Endoskop entwickelt. Derzeit arbeiten wir an einem Messsystem für die Unfallchirurgie und Orthopädie. Damit wollen wir den Zug am Bein während der Operation erfassen und dokumentieren. Die Kräfte, Momente und Winkel zu kennen, ist für den Arzt in diesem Umfeld sehr nützlich, es wurde bisher aber noch nie gemacht – was für mich als Mediziner eigentlich unverständlich ist. Darüber hinaus läuft ein Projekt mit sechs Partnern aus vier Ländern, in dem wir die Instrumente für den Einsatz neuer Hüftendoprothesen entwickeln, die eine neue Kombination aus Kunststoff plus Keramik verwenden. Gleiches gilt für ein Instrumentarium, um neue Wirbelsäulenimplantate einzusetzen.
Lassen sich auch größere Systeme testen?
Ja, und zwar deshalb, weil wir die Ausstattung modular aufgebaut haben. Wir können die Anordnung im Saal verändern, anders aufbauen und Elemente ergänzen oder weglassen. Das ist zum Beispiel für Unternehmen interessant, die OP-Saal-Systeme überarbeiten und alles bis hin zur Verkabelung in Frage stellen und verbessern wollen.
Das Bozzini-Lab ist nicht der einzige speziell für Experimente eingerichtete OP-Saal. Was ist das Besondere bei Ihnen in Stuttgart?
Wir konzentrieren uns darauf, die Zusammenarbeit zwischen Medizinern, Herstellern von Medizinprodukten und Entwicklern aus der Forschung optimal zu unterstützen.
Wollen Sie Ihr Experimentierfeld in Zukunft noch erweitern?
Abgesehen von der räumlichen Erweiterung laufen die organisatorischen und rechtlichen Vorbereitungen, die es uns ermöglichen sollen, nicht nur mit Demonstratoren und Dummies zu arbeiten, sondern schon in diesem Jahr auch Leichentests durchzuführen. Operationen an lebenden Tieren sind ebenfalls angedacht – das bedarf aber noch vieler Vorarbeiten und wird frühestens in drei Jahren möglich sein.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Das Bozzini-Lab ist ein Operationssaal-Technikum mit angrenzenden Laborräumen für technische Fragestellungen. Der Operationssaal am Stuttgarter Fraunhofer IPA ist 30 m² groß und mit einer erweiterbaren medizintechnischen Grundausstattung versehen. Der Arzt Philipp Bozzini entwickelte übrigens im 18. Jahrhundert ein starres Endoskop plus Beleuchtungsapparat. Kontakt: Dr. med. Urs Schneider,Tel. (0711) 970-3630 Dr. Ing. Jan Stallkamp, Tel. (0711) 970-1308
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