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Knorpelschaden am Knie mit Schalldiagnose erkennen

Schallemissionsanalyse
Knorpelschäden am Knie mit Schalldiagnose erkennen und Arthrose eventuell vorbeugen

Knorpelschäden am Knie mit Schalldiagnose erkennen und Arthrose eventuell vorbeugen
Prof. Dr. rer. medic. Udo Wolf leitet den Studiengang Physiotherapie am Fachbereich Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda Bild: Hochschule Fulda
Eine Methode aus der Werkstoffuntersuchung wird auf Einsatzmöglichkeiten in der Medizin angepasst: An der veränderten Schallemission sollen sich Knorpelschäden am Knie Arthrose besonders früh erkennen lassen. Über die bisherigen Entwicklungen berichtet Udo Wolf, Professor für Physiotherapie am Fachbereich Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Professor Wolf, wie entstand die Idee, mit der Schallemissionsanalyse Gelenke zu untersuchen?

Aus einer zufälligen Begegnung zwischen Hochschul-Mitarbeitern, die an benachbarten Messeständen ausstellten und mit Besuchern ins Gespräch kamen. An diesem Tag vor über zwanzig Jahren ging es darum, ob sich die Schallemission eines Gelenks nicht als diagnostisches Merkmal nutzen lässt. Wie wir inzwischen gesehen haben, war an diesem Gedanken etwas dran.

Wo stehen Sie mit dem Ansatz heute?

Nach langen Jahren der Vorarbeit haben drei Wissenschaftler das Unternehmen Bonedias gegründet und ein Gerät entwickelt, mit dem in diesem Jahr eine große klinische Studie starten soll. Was wir aus vorklinischen Versuchen schon wissen, ist, dass die Reibung im Gelenk charakteristische Schallmuster hervorruft, die sich bei gesunden Gelenken und solchen mit krankhaften Veränderungen unterscheiden. Damit bietet sich die Schallemissionsanalyse als mögliches Diagnoseverfahren an – zusätzlich zu bildgebenden Verfahren und eventuell als Unterstützung bei der Physiotherapie. Dass das grundsätzlich am Menschen funktioniert, haben wir schon gesehen.

Welche Ergebnisse sind zu erzielen?

Wir messen die Schallemission während der Bewegung unter alltäglicher Last. Dafür bringen wir einen Schallaufnehmer am Knie an. Während der Proband ein paar Kniebeugen macht, zeigt sich, inwieweit die Schallmuster von denen eines gesunden Gelenks abweichen. Wenn wir unsere Ergebnisse mit MRT-Aufnahmen desselben Gelenks vergleichen, erreichen wir eine Übereinstimmung von 95 Prozent. Unter den verbleibenden Fällen sind die am interessantesten, die wir zunächst als „falsch positiv“ klassifiziert haben. Hier müssen wir sehen, ob die Messung der Schallemission eventuell sensitiver als das MRT ist und die veränderten Muster auf minimale, im Bild noch nicht zu erkennende Veränderungen im Knorpel zurückzuführen sind – deren Fortschreiten man durch die frühe Erkennung mit geeigneten Therapien eventuell beeinflussen könnte.

Für welche Anwendungen ist die Messmethode geeignet?

Wir haben uns bisher auf das Kniegelenk konzentriert. Weitere Überlegungen und Untersuchungen beziehen sich auf das Hüftgelenk und die Osteoporose des Oberschenkelknochens.

Welche Vorteile bietet die Schallemissionsmessung gegenüber Ultraschalluntersuchungen oder MRT?

Die Schallmuster lassen sich schnell erfassen, das Verfahren ist nicht invasiv und es wird keine Strahlung eingesetzt. Das Messgerät lässt sich nach einer kurzen Schulung gut bedienen – und wir vermuten wie gesagt, dass die Schallmuster sogar früher auf Schäden am Knorpel hinweisen als das bisher über die Bildgebung nachweisbar ist. Damit ließe sich zum Beispiel die Korrektur der Beinachse unterstützen.

Wann spielt die Beinachse eine Rolle?

Wenn eine Arthrose lokal begrenzt auftritt und der geschädigte Knorpelbereich durch eine veränderte Beinachse geschont werden kann. Die Korrektur kann durch Einlagen oder einen chirurgischen Eingriff erfolgen – wobei sich im Vorfeld mit der Schallanalyse ermitteln ließe, welche Achsenveränderung die günstigsten Ergebnisse erzielt.
Auch wenn es angesichts irreversibler Knorpelschäden widersinnig klingt, gibt es eine Evidenz für die aktive Bewegungstherapie bei Arthrose: Mit Hilfe der Schalldiagnostik könnten Bewegungen optimiert werden, um den Patienten Erleichterung zu verschaffen. Auf lange Sicht könnte das den Zeitpunkt, zu dem eventuell eine Endoprothese gebraucht wird, nach hinten verschieben oder die Operation sogar ganz vermeiden helfen.

Was waren die größten Herausforderungen auf dem Weg zur Messung?

Ich würde sagen: die Konstruktion des Schallaufnehmers, der zudem am Knie nicht verrutschen darf, sowie die Definition geeigneter Filtervorgänge. Den Schall, den wir aufnehmen, kann man sich vorstellen wie das Instrumentenstimmen eines Orchesters – aus dem wir störende Signale entfernen wollen, ohne die relevanten zu beeinflussen.

Wie sehr unterscheidet sich das Gerät, mit dem Patienten untersucht werden, von der industriell genutzten Technik?

Was wir heute brauchen, passt in eine Tasche. Dazu gehört noch der Computer, an dem die Signale ausgelesen und bewertet werden.

Welche Pläne haben Sie zu einer möglichen Markteinführung des Verfahrens?

Die Technik im Gerät von Bonedias ist patentiert. Es hat das CE-Kennzeichen und ist als Medizinprodukt zugelassen. Es werden weitere klinische Studien durchgeführt, um präzise Angaben zum Indikationsbereich machen zu können. Dazu werden wir innerhalb von drei Jahren mehr sagen können. Eine Vertriebspartnerschaft mit einem etablierten Unternehmen aus der Medizintechnik ist sinnvoll.

Wie zufrieden sind Sie generell mit Medizinprodukten, die für die Physiotherapie verfügbar sind?

Die Geräte, die für unsere Arbeit in Frage kommen, sind vor allem Trainingstherapiegeräte, Geräte für die Elektrotherapie und apparative Diagnostik. Eine wirklich positive Entwicklung ist, dass die Hersteller mehr Kooperationen mit Therapeuten eingehen und viele Anregungen aufgegriffen haben, was die Geräte im Umgang mit den Patienten besser anwendbar macht. Was mich aber stört, ist, dass wir oft neue Geräte zum Beispiel für die Diagnostik vorgestellt bekommen, zu denen es keinerlei klinische Studien gibt. Diese müssten aber spätestens dann vorliegen, wenn ein Gerät auf dem Markt angeboten wird. Das wollen wir bei unserem Gerät besser machen.

Welche Art von Geräten würden Sie sich wünschen?

Für die Bewegungsanalyse wäre ein Gerät für die Ultraschalltopometrie wünschenswert, das die Daten telemetrisch auf den Computer überträgt. Diese Art der Untersuchung ist viel präziser als eine Videoanalyse. Etwas Vergleichbares gab es schon eine Zeit lang, allerdings noch mit Kabeln. Eine modernere Version eines solchen Gerätes wäre für die Physiotherapie meiner Ansicht nach wünschenswert.


Bitte ein paar Kniebeugen – wenn sich das Gelenk bewegt, entstehen typische Schallmuster, die das Gerät erfasst
Bild: Bonedias

So wird der Schall gemessen

Im Gelenk reiben bei Bewegung unter Last korrespondierende Gelenkoberflächen, und die Synovialflüssigkeit – umgangssprachlich auch als Gelenkschmiere bezeichnet – umströmt die Strukturen. Beide Faktoren führen dazu, dass Geräusche entstehen.

Krankhafte Veränderungen am Gelenkknorpel beeinflussen die Kontur der Gelenkoberflächen, machen die Oberflächen rauer und verändern die Viskosität der Synovialflüssigkeit, in der dann auch Partikel verteilt sein können. Das verändert die Schallemission des Gelenks bei Bewegung.

Die entstehenden Signale lassen sich mit einem Gerät erfassen, das die Bonedias GmbH & Co. KG mit Sitz im hessischen Greifenstein entwickelt hat. Das Unternehmen haben drei Wissenschaftler gegründet. Ihr Gerät ist patentiert, trägt das CE-Kennzeichen und ist als Medizinprodukt zugelassen.

www.bonedias.de

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