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„Es geht nicht nur um Helligkeit“

Beleuchtung: Biologische Wirkung wird bisher nicht genutzt
„Es geht nicht nur um Helligkeit“

Es ist wichtig, gut zu sehen, was man tut – egal, ob in der Industrie oder im Gesundheitsbereich. Dazu braucht man genug Licht. Wenn es nicht die richtige Spektralzusammensetzung hat, leidet jedoch die Aufmerksamkeit, wie der Arzt und Ingenieur Dr. Plischke erläutert.

Herr Dr. Plischke, was ist Licht – und welche Bedeutung hat es für den Menschen?

Seit es Lebewesen auf der Erde gibt, haben diese sich – unter anderem – an das Sonnenlicht mit seiner spektralen Zusammensetzung und wechselnden Intensität angepasst. Das gilt auch für unsere Augen. Die dortigen Rezeptoren, die Zapfen und Stäbchen, ermöglichen uns, im Hellen oder in der Dämmerung unsere Umwelt zu erkennen und darauf zu reagieren. Ein erst vor zehn Jahren entdeckter, dritter Rezeptorentyp wiederum – eine spezielle retinale Ganglienzelle – ist besonders empfindlich für den Blauanteil im Tageslicht. Was dieser Zelltyp empfängt, synchronisiert den Stoffwechsel mit dem Rhythmus von Tag und Nacht. Und wenn wir einen Jetlag erleben, sind es diese Rezeptoren, die uns wieder in den richtigen Takt bringen.
Was passiert, wenn sich die Menschen vorwiegend im Kunstlicht aufhalten?
Solange das künstliche Licht vom Lagerfeuer oder der Glühbirne kam, waren praktisch keine Einflüsse auf den Rhythmus der Menschen zu bemerken. Das liegt daran, dass diesen Lichtquellen der wirksame Blauanteil fehlt, sie in der Regel nicht hell genug leuchten, um eine Reaktion im Stoffwechsel auszulösen – und meist nur dazu dienten, nach einem Tag unter freiem Himmel vor dem Schlafen ein paar Dinge zu erledigen. Anders wirkt Kunstlicht, wenn sich Menschen zumeist drinnen aufhalten. Dann fehlt der Lichtreiz, der am Tag die Konzentration des Schlafhormons Melatonin niedrig hält. Man wird am Tag also schnell müde, kann aber nachts nicht mehr gut schlafen.
Was kann man im Alltag dagegen tun?
Möglichst lange bei Sonnenlicht – oder zumindest im Hellen – draußen sein, damit die Synchronisierung erhalten bleibt. Und nachts Leuchten mit Blauanteil vermeiden.
Wie ist die heutige Beleuchtungssituation am Arbeitsplatz zu bewerten?
Die geltenden Normen schreiben 500 Lux auf dem Tisch vor. Das ist sehr gut, was das Sehen angeht. Die biologische Wirkung auf den Tag-Nacht-Rhythmus wird in den Normen jedoch nicht berücksichtigt. Daher arbeiten wir derzeit an einer Vor-Norm, die neben der Helligkeit auch die Lichttemperatur einbezieht – also die Mischung der spektralen Anteile des Lichts. Die Vor-Norm beschreibt sogar dynamische intelligente Beleuchtungssysteme.
Was ist damit gemeint?
Statisches Licht ist das, was wir heute haben: ein Leuchtmittel, eine gleichbleibende Lichttemperatur, ein Schalter oder Dimmer. Eine dynamische Beleuchtung hingegen kann je nach Tages- oder Jahreszeit die Lichtstärke verändern und auch die Lichttemperatur – also einen variablen, biologisch wirksamen Blauanteil abstrahlen. Für Menschen, die bei Kunstlicht arbeiten, bleibt damit die Synchronisation des Tag- Nacht-Rhythmus erhalten. Man kann mit dem richtigen Licht sogar einem Aufmerksamkeitstief entgegenwirken. Als intelligent bezeichnen wir dann Systeme, die eine auf das Individuum abgestimmte Einstellung ermöglichen. So etwas könnte für Schichtarbeiter interessant werden. Sie leiden durch die wechselnden Arbeitszeiten quasi dauerhaft an einem Jetlag. Ideal wäre ein System, dass ihnen genug Licht zum Arbeiten gibt, ihre Tag-Nacht-Synchronisation aber weniger stört, als das bei heutigen Lösungen der Fall ist.
Gibt es heute schon die Technik dafür?
Ja. Allerdings ist das Hintergrundwissen dazu noch ganz unterschiedlich ausgeprägt. Das ist kein Wunder, schließlich ist das Forschungsgebiet gerade zehn Jahre alt. Inzwischen gibt es neben Grundlagenwissen aber schon einige Studien zum Einsatz von dynamischem Licht in Schulen oder in Heimen für Demenzkranke, die eindeutige Ergebnisse zeigen. Schüler sind morgens beim richtigen Licht wacher und aufmerksamer, die Demenzkranken tags aktiver und nachts weniger unruhig. Wir wissen also, dass Licht den Menschen positiv beeinflussen kann. Die Problematik bei den Schichtarbeitern ist allerdings so komplex, dass noch Jahre der Forschung vor uns liegen, bis wir genau wissen, wie wir die Technik hier am besten einsetzen.
Welchen Fortschritt kann denn die Arbeit an der Vor-Norm jetzt schon bringen?
Wir müssen denjenigen, die Licht einsetzen, und denen, die die Systeme planen, genug Informationen an die Hand geben. Sie müssen zunächst von den biologischen Wirkungen des Lichts überhaupt etwas erfahren. Dann muss man wissen, wie man die vorhandene Technik einsetzt, auch in Zusammenhang mit anderen Systemen in der Gebäudetechnik. Es gibt Wechselwirkungen mit anderen Elementen im Raum, zum Beispiel der Wandfarbe oder der Möblierung, die Lichteffekte verstärkt oder verschluckt. Schließlich muss man sich noch mit der Frage der Energieeffizienz befassen.
Welche Risiken birgt falsch eingesetztes Licht?
Wenn eine Anlage zum Beispiel nach einem Stromausfall ohne Prüfung, ob die Tageszeit noch richtig eingestellt ist, einfach wieder eingeschaltet wird, könnte das Beleuchtungsprogramm zeitversetzt zur tatsächlichen Tageszeit laufen. Das würde das Gegenteil dessen bewirken, wozu die Anlage programmiert wurde.
Und das Thema Energieeffizienz?
Nach den derzeit geltenden Normen sind Beleuchtungssysteme effizient, wenn sie die visuellen Bedürfnisse an die Lichtstärke bei möglichst geringem Energieverbrauch erfüllen. Das biologisch wirksame Licht trägt zur guten Sicht jedoch nicht bei – Strahlung in den entsprechenden Wellenlängen fällt also derzeit unter die Kategorie „Verlustwärme“. Dieser Widerspruch zwischen Energieeffizienz und gesundheitsfördernder Wirkung muss diskutiert werden. Das passiert gerade, auch auf internationaler Ebene. Eine neue Norm würde natürlich den Energieverbrauch an sich nicht ändern. Es bestünde dann aber Konsens, dass es einen guten Grund gibt, biologisch wirksames Licht einzusetzen.
Welche Rolle spielen Beleuchtungssysteme im Gesundheitsbereich?
Im Prinzip gilt das, was schon zum Thema Arbeitsplatz gesagt wurde: Es gibt trotz ausreichender Lichtstärke Verbesserungspotenzial. Nicht gerade im OP, wo eine dynamische Beleuchtung zwar die Aufmerksamkeit der Chirurgen fördern würde. Ihre Farbwahrnehmung wäre aber durch die wechselnde Lichttemperatur beeinträchtigt, was das Erkennen von Gewebestrukturen erschwert und daher nicht sinnvoll ist. Hilfreich könnte dynamisches Licht wiederum im Aufwachraum sein, wo der Patient aus der Narkose gewissermaßen mit einem Jetlag erwacht. Seiner inneren Uhr fehlen ein paar Stunden. Dass sich das mit entsprechendem Licht mildern lässt, wissen wir – auch wenn wir es noch nicht durch Studien belegen können.
Ist Beleuchtung auch ein Thema für die Hersteller von Medizinprodukten?
Ja. Es gibt eine Reihe von Umständen, bei denen Licht die Untersuchung oder die Behandlung positiv beeinflussen kann. Angenehmes blaues Licht senkt den Blutdruck und beruhigt, was im Umfeld einer Kernspintomographie genutzt werden könnte. Da Menschen in der Farbempfindung in Nuancen zum Teil unterschiedlich reagieren, wäre es optimal, wenn es empfohlene Einstellungen für die Beleuchtung gäbe, diese aber auf Wunsch der Patienten individuell verändert werden könnten.
Welche Entwicklungen erwarten Sie für die nächsten fünf Jahre?
Wir werden in diesem Zeitraum sicherlich die Vor-Norm bis zur Norm weiterentwickelt haben. Dann wird sich auch in breiten Einsatzgebieten etwas ändern. Als erstes werden das die Verhältnisse an den Arbeitsplätzen in der Industrie sein. Ich rechne auch in Unternehmen allgemein mit Verbesserungen. Die Umstellung im Gesundheitsbereich wird sicher länger dauern, da hier vor allem eine Kostenoptimierung angestrebt wird. Wer aber eine Klinik ausbaut oder neu errichtet, kann auf der Basis der neuen Norm ganz anders planen – und es gibt einige, die das nutzen werden.

Ihr Stichwort
      • Biologische Wirkung des Lichts
      • Dritte Lichtrezeptoren im Auge
      • Kunstlicht
      • Vor-Norm DIN V 5031-100
      • Licht und Gesundheit

Das Auge und das Licht
Bis zum Jahr 2001 wussten die Menschen, dass sie mit zwei Sorten von Rezeptoren im Auge sehen. Die Zapfen erkennen die Farbe, die Stäbchen melden die Helligkeit. Dann wurden die so genannten dritten Lichtrezeptoren im Auge entdeckt: Diese haben eine andere Aufgabe als die visuelle. Sie reagieren auf den Blauanteil im Sonnenlicht und geben dem Stoffwechsel die Signale, um sich auf „Tag“ oder „Nacht“ einzustellen. Das betrifft zum Beispiel die Melatoninkonzentration, die bei Licht niedrig ist und nach Einsetzen der Dunkelheit steigt. Da es das Einschlafen fördert, wird Melatonin auch als Schlafhormon bezeichnet. Im nächtlichen Modus passiert in den Körperzellen aber noch mehr. Dann ist die richtige Zeit für die Zellteilung oder auch die Regeneration.
Die dritten Rezeptoren sind im Auge so angeordnet, dass sie das Licht der Sonne gut auffangen können. Dieses fällt unter natürlichen Bedingungen von oben und von vorn ins Auge. Darauf müssen auch künstliche Beleuchtungssysteme Rücksicht nehmen.
Im Alter kommt das im Verlauf der Evolution perfektionierte System jedoch ins Wanken. Die Linse trübt sich, das Auge wird insgesamt gelber: Damit gelangt weniger Licht und vor allem weniger blaues Licht bis zu den dritten Rezeptoren. Ab etwa 75 Jahren verschlechtern sich daher die Möglichkeiten der Tag-Nacht-Synchronisation. Dieses Wissen lässt sich in Seniorenheimen oder anderen Einrichtungen durch entsprechende Beleuchtungskonzepte nutzen.
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