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Patient Engagement hilft, Medizinprodukte patientengerecht zu entwickeln

Patient Engagement
Patient Engagement hilft, Medizinprodukte patientengerecht zu entwickeln

Was ist Patient Engagement? Patienten sollten schon früh bei der Entwicklung eines Medizinproduktes zu Wort kommen. Der Dienstleister Admedicum unterstützt Unternehmen dabei, die Stimme der Patienten hörbar zu machen. Für die Medizintechnik ist das ein neuer Ansatz.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Wie oft spricht der Entwickler eines Medizinproduktes mit einem Patienten? Viel zu selten – sagen die Fachleute der Admedicum Business for Patients GmbH & Co KG aus Köln. Sie beraten Unternehmen zu allen Fragen der Produktentwicklung und vermitteln für Medizinproduktehersteller den noch ungewohnten Kontakt zu Patienten. Was diese über Medizinprodukte im Alltag berichten, lässt sich auswerten – nicht erst, wenn das Produkt auf dem Markt ist, sondern so früh, dass Wünsche in die Entwicklung einfließen können.

Tradition hat die Idee, den Patienten stärker in die Entwicklung mit einzubeziehen, in der Pharmaindustrie. „Natürlich gab es auch da anfangs eine gewisse Skepsis, wenn jemand aus einem Unternehmen Kontakt zum Beispiel mit Patientenverbänden gesucht hat“, berichtet Sherille Veira, die derzeit bei Admedicum den Bereich „Patient Engagement“ für Medizinprodukte aufbaut. Das Argument, das für die Kontaktaufnahme spricht: Direkter kann Feedback nicht sein.

Pharmaindustrie nutzt bereits Patient Engagement

„In der Pharmaindustrie war und ist es ein großes Problem, dass nur etwa die Hälfte der Patienten ein Medikament so einnimmt, wie es der Arzt vorgesehen hat“, erläutert Philipp von Gallwitz, Mitgründer und Geschäftsführer von Admedicum. „Da muss man sich erstens fragen, warum das so ist – das können nur die Patienten sagen –, und zweitens in Erfahrung bringen, was zu tun wäre, um den Patienten zu helfen oder sie von der Bedeutung der vorgegebenen Dosierung zu überzeugen.“ Der Gedanke lässt sich aber auch auf Medizinprodukte übertragen.

Dass das funktioniert, hat sich am Beispiel eines speziellen Rollstuhls gezeigt. Zwei Patientinnen, die an einer neuromuskulären Erkrankung leiden, waren in ihrem Alltag auf das Hilfsmittel angewiesen und waren mit Details, die ihnen Schmerzen bereiteten, nicht zufrieden. Am Ende entstand aus Diskussionen mit einem Konstrukteur ein Unternehmen, das Rollstühle herstellt, deren Sitze sich kippen und neigen und millimetergenau an den Wunsch des Nutzers anpassen lassen. Das marktreife Produkt war auf der Rehacare 2018 zu sehen.

Usability-Test ist zu spät, um Patienten noch einzubeziehen

So ein Vorgehen ist in der Medizintechnik aber nicht Standard. „Bisher hören wir im Zusammenhang mit Medizinprodukten vor allem von Kontakten zwischen Unternehmen und Ärzten“, sagt Veira. Der Patient tauche frühestens auf, wenn Usability-Tests an Prototypen anstünden. „Aber dann ist es für grundsätzliche Verbesserungsvorschläge meist zu spät.“

Das, was da eventuell am Produkt noch fehlt, fällt in die Kategorie der „unmet needs“, denen Veira und ihre Kollegen von Admedicum seit etwa vier Jahren auf der Spur sind. Für manche Produktarten erschließt sich der Gedanke, die Patienten einzubeziehen, natürlich besonders leicht: zum Beispiel bei Rehatechnik, Hilfsmitteln oder Produkten für die Orthopädie. „Das nennen wir Real World Evidence“, sagt Veira. Im persönlichen Kontakt sammeln die Fachleute von Admedicum dann einen ersten Eindruck, sprechen mit Patientenorganisationen, Influencern aus der Social-Media-Welt oder auch Patienten, die bei Veranstaltungen das tun, was der Influencer im Netz macht – Tipps geben, von den eigenen Erfahrungen berichten. Diesen ersten Eindruck gilt es dann mit einer größeren Anzahl von betroffenen Patienten abzugleichen, gegebenenfalls auch digital.

Auch individuelle Formulierungen werden berücksichtigt

„Der persönliche Weg ist immer dann interessant, wenn es darum geht, Dinge zu erfahren, die sich nicht in messbaren Zahlen ausdrücken lassen“, sagt von Gallwitz. Es gebe zwar schon Ansätze, aus großen Datenmengen über künstliche Intelligenz Informationen zu erschließen. Das werde für eng umrissene Termini und konkrete Fragen eines Tages sicher sehr wichtig. Allerdings seien bislang trotz zahlreicher Versuche großer Anbieter keine wiederholbaren und belegbaren Ergebnisse zu erzielen gewesen. „Das, womit wir hier zu tun haben, betrifft eher die Gefühle, die Erlebnisse und Eindrücke, die ein Patient im Umgang mit Produkten hat. Diese wird jeder mit anderen Worten umschreiben – und es braucht den direkten Kontakt mit den Menschen, um daraus Erkenntnisse abzuleiten“, so von Gallwitz.

Das funktioniert laut Veira sogar dann, wenn es um ein Großgerät für die Diagnostik geht. Auch so etwas wird von Patienten bewertet, sie machen positive oder negative Erfahrungen damit, tauschen sich untereinander aus und werden im Folgenden eine Diagnostik gemäß dem Rat des Arztes akzeptieren oder eben auch ablehnen.

Beim Patient Engagement werden Erwartungen abgefragt

Bei Hilfsmitteln wie einem Exoskelett gibt es ebenfalls viel vom Patienten zu erfahren. „So ein komplexes Produkt braucht ein Patientenbegleitprogramm, um es später im Alltag nutzen zu können. Um dieses Programm zu erstellen, braucht der Hersteller viele Hintergrundinfomationen, die nur der Patient ihm geben kann“, sagt von Gallwitz. Da geht es um mögliche Ängste, die mit der Nutzung des Gerätes verbunden werden, um Bedenken zur Sicherheit, um die Integration des Gerätes in den Alltag, um die gewünschte Leistungsfähigkeit: Bei was zum Beispiel soll das Exoskelett den Patienten unterstützen? „Und ganz ehrlich: Ein Patient erwartet, dass er zu einem Medizinprodukt eine alltagstauglichere Beschreibung bekommt als man das üblicherweise für einen Computer oder Unterhaltungselektronik erlebt“, betont der Geschäftsführer.

Patient Engagement dreht sich nicht nur um Usability-Themen

Was beim Patient Engagement zur Sprache kommt, gehe weit über das hinaus, was in einer Untersuchung zur Gebrauchstauglichkeit erfasst wird. „Patient Engagement ist früh sinnvoll, weit vor einem Usability-Test“, erläutert Sherille Veira. Die Überlegungen drehen sich dann auch um mehr als die regulatorisch geforderte sichere Bedienung, die bei Usability-Tests geprüft wird.

Für Unternehmen, die mehr über die Wünsche der Patienten an ihr Produkt erfahren wollen,

  • strukturiert Admedicum im ersten Schritt die vorliegenden Informationen,
  • übernimmt im weiteren Verlauf die Rolle des Vermittlers,
  • sammelt Feedback,
  • erhält gegebenenfalls Hinweise auf weitere mögliche Indikationsbereiche für ein Produkt und wertet diese aus und
  • macht auf dieser Basis Vorschläge für die weitere Entwicklung.

„Wir sehen uns als Dienstleister für die Entwicklung“, fasst Sherille Veira zusammen. In diesem Umfeld gebe es viele Möglichkeiten. Aber auch für die Post Market Surveillance, die in Zusammenhang mit der Medical Device Regulation (MDR) eine größere Rolle spielen wird, seien die Rückmeldungen der Patienten interessant – für diesen Aspekt gibt es laut von Gallwitz schon Lösungen, allerdings seien die Hersteller da noch zurückhaltend.

Patient Engagement kann Rekrutierung für Studien vereinfachen

Ein Vorteil sei es bereits, wenn es trotz aller erforderlichen Vorgaben für ein Studien-Design gelinge, mit Hilfe von Patientenkommentaren die Hürden für die Teilnahme an einer Studie zu verringern. Vielleicht enthält das ursprüngliche Studiendesign Details, die für einen Betroffenen mit unzumutbarem Aufwand verbunden wären und die man anders gestalten kann. „Das wird die Rekrutierung von geeigneten Patienten deutlich erleichtern.“

Ähnliches gelte für die Nutzenbewertung von Medizinprodukten. „Die Lebensqualität wird in diesem Zusammenhang noch zu wenig erfasst“, sagt von Gallwitz. „Dabei könnte gerade sie einen Zusatznutzen für Patienten bedeuten, den man gegenüber Behörden im Rahmen der Nutzenbewertung dann natürlich auch belegen können muss.“

Es gibt also eine Reihe von Ansatzpunkten, wo es für einen Medizinproduktehersteller sinnvoll sein könnte, genau zu erfahren, was Patienten vom Produkt halten. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart gab es im Sommer 2019 bereits einen ersten Workshop, an dem auch Vertreter aus der Medizintechnik-Industrie beteiligt waren. „Das Feedback war positiv“, berichtet Veira.

Weitere Aktivitäten wie Vorträge und Workshops sind daher in Planung. Admedicum hat sich in diesem Feld aber ausdrücklich auf die Unterstützung von Unternehmen bei der Entwicklung spezialisiert. „Marketing für Medizinprodukte ist definitiv nicht unser Thema“, betont Veira.


Über Patient Engagement

Wie stark mischt ein Patient eigentlich mit, wenn es um seinen Genesungsprozess geht? Wo wird er nach seiner Meinung gefragt und trägt dazu bei, die Versorgung insgesamt zu verbessern? Um diese Fragen geht es beim Patient Engagement. Da persönliche Eindrücke und Vorlieben im Vordergrund stehen, die nicht immer leicht in Worte zu fassen sind, ist das Erfassen und Bewerten der Kommentare eine mitunter schwierige Aufgabe. Krankenhäuser schreiben bereits für ihre Qualitätssicherung fest, dass Erfahrungen der Patienten berücksichtigt werden müssen.

Die Pharmaindustrie nutzt Patient Engagement zur Verbesserung der Produkte. Es gibt laut Admedicum-Geschäftsführer Philipp von Gallwitz auf europäischer Ebene bereits erste Überlegungen dazu, wie man Patienten für den Aufwand, der ihnen durch ihre Auskünfte entsteht, finanziell entschädigen könnte. Schließlich investieren sie ihre Freizeit, um zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beizutragen.

Gemäß den Vorgaben aus dem Heilmittelwerbegesetz ist die Kommunikation beim Patient Engagement geregelt: Werbliche Aktivitäten sind untersagt. Für den Umgang der Unternehmen mit Patienten gibt es darüber hinaus viele freiwillige Verhaltensmaßregeln (Codes of Conduct), die den Rahmen für den Austausch festlegen. Für die Medizintechnik-Branche ist das Patient Engagement weitestgehend Neuland.


Über Admedicum

Die Fachleute bei Admedicum sind seit 2015 in Deutschland aktiv und für Industrieunternehmen beratend tätig. Sie stellen den Kontakt zu Patienten, Patientenverbänden oder Influencern her.

Die Gründer von Admedicum bringen Berufserfahrung aus langjährigen Tätigkeiten in der Pharmaindustrie mit und sind gewohnt, den intensiven Kontakt mit Patienten zu suchen. Diesen Ansatz wollen sie nun mit derzeit sieben festen und einer Reihe freier Mitarbeiter in den Bereich der Medizinprodukte übertragen.

Admedicum ist in der EU in England, Italien, Spanien, den Niederlanden und Deutschland aktiv.

Admedicum Business for Patients GmbH & Co KG
Industriestr. 171
50999 Köln

www.admedicum.com

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