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Neue Spielregeln für die Branche

Wiederaufbereitung: Recast der Richtlinie über Medizinprodukte
Neue Spielregeln für die Branche

Neue Spielregeln für die Branche
Einwegprodukt oder nicht – die Sicherheit des Patienten muss bei dem viel diskutierten Thema der Wiederaufbereitung erste Priorität vor allen anderen Aspekten haben Bild: BVMed
Die Wiederaufbereitung von Einwegmedizinprodukten ist in der EU bisher nicht eindeutig verboten oder erlaubt, weil in der gültigen Medizinprodukte-Richtlinie eine Spezifikation fehlt. Die Lücke soll nun geschlossen werden. Die Entwurfsphase sorgt für Kontroversen.

Seit September 2012 liegt ein Vorschlag der EU-Kommission für die Medizinprodukte-Verordnung (Medical Devices Regulation – MDR) vor, der in Artikel 15 erstmals die Wiederaufbereitung von Einwegprodukten (Single-Use Devices – SUD) thematisiert. Seit September 2013 existierte ein Kompromissvorschlag des für Gesundheitsfragen zuständigen ENVI-Ausschusses, über den das EU-Parlament Ende Oktober entschieden hat – zugunsten stärkerer Kontrollen für Medizinprodukte. Im Vergleich zur Kommissionsfassung sind in Artikel 15 Änderungen zu finden, die teils für Unruhe sorgen.

Den Hauptkritikpunkt des BVMed fasst Elke Vogt, Leiterin Referat Verbraucherschutz/Medizintechnik, zusammen: „Mit den Formulierungen des ENVI-Ausschusses würde dem Hersteller die Entscheidung aus der Hand genommen, sein Produkt als Einwegprodukt zu bestimmen. Denn darin wird angenommen, dass alle Medizinprodukte Mehrwegprodukte sind, es sei denn, sie sind offiziell als Einmalprodukt gelistet.“ Für die Aufnahme in diese Liste müsste der Hersteller den Nachweis erbringen, dass sein Produkt nicht aufbereitbar ist. Erst dann erfolgt im Rahmen eines sogenannten delegierten Rechtsaktes durch ein noch einzurichtendes Medical Device Advisory Committee (MDAC) die Aufnahme in die Liste (Art. 15b) – von der das Produkt auf Antrag eines Aufbereiters auch wieder entfernt werden kann (Art. 15c). Obwohl der ENVI-Vorschlag die Aufbereitung von SUD verbietet, sieht das Konzept gleichzeitig vor, den Aufbereiter eines SUD als Hersteller zu betrachten. „Das ist widersprüchlich und schwer verständlich“, findet Elke Vogt. Der Kommissionsvorschlag, bei dem die Aufbereitung von SUD erlaubt ist, sei insgesamt praxistauglicher. „Der Aufbereiter eines Einwegprodukts muss eindeutig als Hersteller auf dem Etikett erscheinen, nicht mehr der Originalhersteller. Damit trüge jeder die Verantwortung, für das, was er tut.“
Der aus der (Medical Device Directive – MDD) heraus bestehende Spielraum wurde in der EU sehr unterschiedlich ausgelegt, mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen für Hersteller, Aufbereiter und Betreiber. „Der ENVI-Vorschlag würde hier eine echte Harmonisierung bringen“, erklärt Dr. Volker Lücker, Fachanwalt für Medizinrecht, „gerade weil er es eben nicht zulässt, dass einzelne Länder mit einem Opt-Out ausscheren, wie es im eher kompromissähnlichen Vorschlag der Kommission noch vorgesehen war.“ Der Wegfall eines generellen Wiederaufbereitungsverbots durch einzelne Mitgliedsstaaten im ENVI-Vorschlag wird wohl vor allem Frankreich stören, wo die Wiederaufbereitung von SUD seit 2001 gesetzlich verboten ist. Deutschland lässt die Wiederaufbereitung von SUDs hingegen zu und reguliert das Vorgehen national durch Richtlinien und Standards, an erster Stelle die Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (Krinko) beim Robert Koch-Institut und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Ein aufbereitetes SUD gilt hier nicht als erneut Inverkehr-gebracht, die Haftung liegt nach der Wiederaufbereitung beim Betreiber. In Schweden wird ein wiederaufbereitetes SUD als In-Haus-Herstellung betrachtet, der Aufbereiter als In-Haus-Hersteller – mit allen Konsequenzen bei Haftungsfragen. Der Patient ist dort zudem über die Verwendung eines SUD zu informieren, er muss darin einwilligen.
Die Wiederaufbereitung von SUD spaltet die Industrie – etwas überspitzt formuliert – in diejenigen, die den Herstellern von SUD vorwerfen, dass sie sich der Wiederaufbereitung nur aus ökonomischen Gründen widersetzen. Die Gegenseite hält das Risiko für die Patientensicherheit für zu hoch. Beides ist zu pauschal. Klar ist, dass die Wiederaufbereitung von SUD angesichts des ökonomischen Drucks auf das Gesundheitssystem ein Weg ist, Kosten zu sparen und auch kontaminierte Abfälle zu verringern. Solange die Funktion eines SUD vollumfänglich erhalten bleibt und gleichzeitig gewährleistet ist, dass die Aufbereitung auch die Hygiene des Produkts komplett wiederherstellt, spricht prinzipiell auch nichts dagegen. Demgegenüber steht allerdings, dass die Aufbereitung komplexer SUDs problematisch sein kann, wenn sie beispielsweise ein enges Lumen aufweisen oder Betätigungsmechanik und Material auf einen einmaligen Gebrauch ausgelegt sind.
Aufbereiter, die sich an die oben genannte Krinko-Empfehlung halten, arbeiten zweifellos auf hohem Niveau. Die Frage ist allerdings, ob das in der Praxis immer so stattfindet. Und selbst bei professioneller Aufbereitung gibt es kritische Momente, denn ein Aufbereiter erfährt nicht automatisch von Änderungen eines Produktes. Ein Desinfektionsmittel kann zwar beim Referenzprodukt, mit dem die Wiederaufbereitung validiert wurde, adäquat wirken. Wird ein anderes Material verwendet, kann sich das aber ändern, das Desinfektionsmittel seine Wirksamkeit verlieren oder es kommt im schlimmsten Fall zu unbeabsichtigten, nicht kalkulierbaren Änderungen von Produkteigenschaften.
Die Frage, die sich alle stellen müssen, ist letztlich, ob eine Aufbereitung von SUDs dem Patienten gegenüber medizinisch und ethisch vertretbar ist, begleitet von der juristischen Frage, wer die Verantwortung übernimmt. Ist der MDR-Entwurf vom EU-Parlament verabschiedet, müssen sich noch Rat und Parlament einigen. Da die Ratsformulierungen nicht bekannt sind, ist derzeit unklar, wie weit diese beiden Gremien inhaltlich voneinander entfernt sind. Die Neuwahlen im März 2014 könnten das Prozedere zudem verzögern. „Unabhängig davon, wann und wie die neue Verordnung tatsächlich kommt, wird die darauffolgende Übergangsphase eine spannende Zeit. Denn vieles, was im ENVI-Vorschlag schon sehr konkret klingt, gibt es in der Realität noch gar nicht“, so Dr. Lücker. Neben dem MDAC fehlen noch die Referenzlabore, die Wiederaufbereitungsprozesse validieren sollen, und auch die Sicherheits- und Qualitätsstandards, an die sich die Aufbereiter halten sollen. Bei allem, was hier noch zu tun ist und getan wird, sollte die Patientensicherheit im Vordergrund stehen.
Ramona Riesterer Fachjournalistin in Stuttgart
Wiederaufbereitung muss für den Patienten medizinisch und ethisch vertretbar sein

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