Max-Planck-Wissenschaftler erklären, warum wir bei Nebel langsamer fahren: Bei diesen Witterungsbedingungen ist die Sicht im zentralen Blickfeld deutlich vermindert, also dort, wo entfernte Objekte wahrgenommen werden.
Wie Menschen auf eine beeinträchtigte Sicht reagieren, ist ein zentrales Thema der Sehforschung. Frühere Studien zeigen, dass eine gleichmäßige Verringerung des Kontrasts im gesamten Blickfeld, wie beispielsweise bei einer beschlagenen Windschutzscheibe, eine Unterschätzung der Geschwindigkeit und damit eine schnellere Fahrweise zur Folge hat. Wie eine Veröffentlichung in eLife nun zeigt, belegen Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen die These erneut. Jedoch gingen sie noch einen Schritt weiter: Was passiert, wenn der Kontrast nur im Zentrum des Blickfeldes reduziert wird, wodurch Dinge in der Ferne schwerer erkennbar sind, wie es beispielsweise bei Nebel der Fall ist? Die Ergebnisse sind verblüffend und helfen, Einblicke in das menschliche Sehsystem zu gewinnen.
Für die Experimente konzipierte Paolo Pretto aus der Abteilung von Direktor Heinrich Bülthoff am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Projektionen für eine 3 m hohe und 7 m breite, gekrümmte Leinwand, die das gesamte Sichtfeld ausfüllt. Ein davor positioniertes Fahrzeug vermittelt erfahrenen Autofahrern das Gefühl einer realistischen Fahrsituation. Anhand verschiedener Versuche konnten Pretto und seine Kollegen nun erstmalig zeigen, dass ein vermeintlich kleiner Unterschied in der Kontrastveränderung bei Autofahren zu einer gegenteiligen Geschwindigkeitswahrnehmung und folglich zu einer gegenteiligen Handlung führt. So betrug bei guter Sicht die Durchschnittsgeschwindigkeit der Probanden ungefähr 85 Kilometer pro Stunde, bei starkem Nebel dagegen nur etwa 70 Kilometer pro Stunde. Bei einer gleichmäßigen Kontrastreduktion unterschätzten die Fahrer ihre Geschwindigkeit jedoch und fuhren schneller – das Tempo betrug hier durchschnittlich 100 Kilometer pro Stunde.
Basierend auf dieser und weiteren Studien entwickelten die Wissenschaftler eine neue Theorie der Geschwindigkeitswahrnehmung: Bei Nebel beispielsweise, ist die Sicht im zentralen Blickfeld – also dort, wo entfernte Objekte wahrgenommen werden – deutlich vermindert. Hier wird das eigene Tempo als relativ langsam wahrgenommen. Im peripheren Sichtfeld hingegen – und damit in der unmittelbaren Umgebung – als verhältnismäßig schnell. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass dieser Unterschied verantwortlich für die eigene Geschwindigkeitsüberschätzung sein musste – und konnten diese Theorie in weiteren Versuchen bestätigen.
Um Unfälle zu verhindern, tun wir also gut daran, unserem Sehsystem zu vertrauen, wenn es uns dazu veranlasst, bei Nebel langsamer zu fahren.
Weitere Informationen: tuebingen.mpg.de/startseite/detail/bei-nebel-ueberschaetzen-autofahrer-die-eigene-geschwindigkeit.html www.kyb.tuebingen.mpg.de/de/forschung/abt/bu/bewegungswahrnehmung-in-fahrsimulation.html
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