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Blockchain bringt mehr Datensicherheit im Gesundheitswesen

Blockchain-Technologie
Mehr Transparenz und Datensicherheit

Blockchain-Technologie | Nicht erst durch den Boom der virtuellen Währung Bitcoin werden die Vor- und Nachteile der Blockchain heiß diskutiert. Welche Möglichkeiten birgt das Modell, das kryptografische Verfahren nutzt, für das Gesundheitswesen und die Medizintechnik?

Sabine Koll
Journalistin in Böblingen

Als ich kürzlich bei meinem Hausarzt war, wurde mir wieder einmal klar, dass unser Gesundheitssystem weit von der digitalen Vernetzung entfernt ist: Mein Doc überwies mich für ein CT zum Radiologen, der mir die Bilddaten auf einer CD (Wie antiquiert ist das? Mein Computer hat nicht mal mehr ein CD-Laufwerk) in die Hand drückte. Mein Hausarzt und auch der Orthopäde, an den ich weiter überwiesen wurde, zeigten keine großen Ambitionen, die Bilddatei zu öffnen („Das Öffnen dauert aufgrund der Größe viel zu lange.“), verließen sich lieber auf den Brief des Radiologen und ihre eigenen Untersuchungen – und stellten mir ein Rezept für Physiotherapie aus. Mittlerweile arbeiten der Physiotherapeut und ich das dritte Rezept ab. Die Zahl der Besuche bei den verschiedenen Playern in der Gesundheitskette kann ich nicht mehr genau nachvollziehen – aber (zu) viele waren dem geschuldet, dass unterschiedliche Informationen auf verschiedenen Seiten vorlagen und ich von einem zum anderen fahren musste, damit die Arzthelferinnen Überweisungen und Rezepte korrigierten und nachbesserten. Denn bei einem Kreuz an der falschen Stelle kann der Physiotherapeut nicht mit der Krankenkasse abrechnen. Das Papier wurde dafür mit einer Korrekturfolie bearbeitet. Ein neuer Stempel belegt, dass die Änderung auch von der richtigen Stelle erfolgte. Warum, so frage ich mich, kann dies alles nicht auf elektronischem Weg erfolgen – bis hin dazu, dass auch der Physiotherapeut die CT-Daten anschauen kann?

„Für Anwendungen dieser Art, die entweder mit Transaktionen verbunden sind oder aber eine hohe Datenintegrität erfordern, ist die Blockchain die ideale Technologie“, beantwortet Dr. Eberhard Scheuer meine Frage. Er ist Lehrbeauftragter der Universität Zürich für eHealth und gleichzeitig Präsident der Health Information Traceability (HIT) Stiftung, deren Ziel die Förderung der Digitalisierung von Gesundheitsdaten zum verbesserten Informationsaustausch zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen ist.

„Im deutschen Gesundheitswesen ist die Weitergabe von Daten immer noch eher die Ausnahme als die Regel und die mangelnde Interoperabilität ist dabei nach wie vor ein essenzielles Problem“, bestätigt auch Dr. Dirk Siegel, Partner beim Wirtschaftsprüfungs- und Consultingriesen Deloitte. „Gegenwärtig stehen sowohl die Hersteller als auch die Nutzer von IT-Systemen vor der Aufgabe, eine medienbruchfreie und sichere Kommunikation zu gewährleisten. Die Informationsweitergabe über Sektorengrenzen hinweg wird dadurch erschwert, dass Systeme unterschiedlicher Hersteller nicht oder nur mit erheblichem Aufwand miteinander kommunizieren können.“ Siegel ist sich sicher: „Die Blockchain bietet ein viel versprechendes, dezentrales Framework für eine verstärkte Integration von Patienten- und Gesundheitsinformationen über eine Reihe von Anwendungen und Akteuren.“

Bitcoin ist heute wohl die bekannteste Anwendung der Blockchain-Basistechnologie. Mit der Digitalwährung, um die der Hype groß ist, kann man beispielsweise auf der Internet-Reiseplattform Expedia Reisen oder bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic Flüge buchen. Auch Wikipedia hat bei seinem jährlichen Spendenaufruf Ende vergangenen Jahres Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptiert. Andere Internet-Riesen könnten bald eigene Kryptowährungen auflegen.

Neben Bitcoin existieren weitere Blockchain-Systeme wie etwa Ethereum für smarte Verträge (Smart Contracts) oder auch Hyperledger. „Für die Energiewirtschaft ist Blockchain schon ein echtes Thema, weil sie das Umgehen etwa von Strombörsen ermöglicht“, sagt Konstantin Graf, Senior Consultant und Teammanager Industrie 4.0 bei der Technologieberatung Altran. Die digitale Transaktionstechnologie ermöglicht es zwei oder mehreren Parteien, Geschäfte direkt miteinander abzuwickeln, ohne dass eine vermittelnde Instanz wie eine Bank oder ein Händler nötig ist. „Doch ich bin mir sicher, dass es auch in der Gesundheitsbranche und in der Medizintechnik bald Blockchain-Anwendungen geben wird“, betont Graf. „Überall dort, wo regulatorische Anforderungen und der damit verbundene Dokumentationsaufwand hoch sind, bietet die Blockchain große Chancen. Denn durch die dezentrale Datenhaltung lässt sich mit vergleichsweise geringem Aufwand Transparenz in punkto Rückverfolgbarkeit schaffen.

Er nennt Beispiele: „Bei Implantaten oder bei Medikamenten lässt sich mit Blockchain-Technologie nachweisen, dass es sich bei diesen zweifelsfrei um Originale und nicht um Fälschungen handelt.“ Ein heißes Anwendungsfeld ist laut Graf die additive Fertigung von Bauteilen oder Medizinprodukten: In der Blockchain lassen sich die Daten der verwendeten Werkstoffe oder auch die Nutzung der verwendeten CAD-Daten hinterlegen. „Dabei werden allerdings nicht die CAD-Daten selbst in der Blockchain gespeichert, sondern nur deren Sicherheitsmerkmale in so genannten Hash-Werten wie etwa der Kennung eines RFID-Chips“, erklärt Graf.

Das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2) in Leipzig sieht auch die Bonusprogramme der Krankenkassen und die sichere Remote-Steuerung von Medizinprodukten als möglichen Anwendungsfall für die Blockchain: Der Patient, die Krankenkasse und Sportvereine oder Fitnessstudios wären bei Bonusprogrammen ein Teil des Netzwerks und würden die Blockchain sukzessive bei der Teilnahme an bonusrelevanten Aktivitäten ergänzen.

Bei Medizinprodukten wie implantierbaren Insulinpumpen oder Herzschrittmachern besitzt die Blockchain laut WIG2 das Potenzial, das Gefahrenpotenzial einer Manipulation der übertragenen Daten durch Cyberkriminelle zu reduzieren. Aktuell werden zur Authentifizierung meist Passwörter oder eine zweistufige Methode mit Passwort und mobilem TAN-Verfahren eingesetzt. Beide Authentifizierungsmethoden basieren auf einer zentralen Verwaltung von Zugangsinformationen und werden Ziel von Angriffen.

Dezentrale Zusammensetzung von Zugangsinformationen

„Im Gegensatz dazu baut die Blockchain auf eine dezentrale Zusammensetzung von Zugangsinformationen. Der Datenblock wird stetig durch die Rechenleistung aller am Netzwerk beteiligten Systeme erweitert“, argumentiert Maximilian Schwarz, Leiter Intrepreneurship und Forschungsnahe Beratung des WIG2 Instituts. „Der längste verfügbare Datenblock stellt somit immer den aktuellen Authentifizierungscode dar. Eine Nachbildung des zur Authentifizierung benötigten Datenblocks ist deutlich erschwert bis unmöglich – abhängig von der Ausgestaltung des Blockchain-Netzwerks.“ Die Anwendung der Blockchain-Technologie in der Remote-Steuerung von Medizinprodukten unterstützt laut WIG2 Healthcare Futurists in Pilotprojekten mit Medizinproduktherstellern.

Den Projektcharakter will ein Online-Marktplatz für persönliche Gesundheitsinformationen im Frühsommer dieses Jahres hinter sich lassen: Für Mai plant die HIT Foundation mit Sitz im Schweizerischen Zug den Start einer auf Blockchain basierenden Plattform, welche Gesunde, Patienten, informationssuchende Organisationen – Marktforscher, akademische Institutionen oder Krankenhäuser – sowie Service- und Bonus-Provider sicher zusammenbringen will. „Viele Gesundheits-Apps sammeln heute Daten, die mehrfach ausgewertet und weiterverkauft werden – ohne dass der User oder Patient dies weiß“, so Scheuer. „Wir versetzen mit der Plattform den Datenerzeuger in die Position, dass er bestimmen kann, wer zum Beispiel welche Blutzucker-Daten bekommt und unter welchen Bedingungen.“

Experten sprechen daher auch von einer Demokratisierung des Gesundheitswesens durch die Blockchain. „Patienten können bestimmte Datenattribute mit Gesundheitsdienstleistern auf Bedarfsbasis teilen, sodass der Patient die Verantwortung mitträgt“, sagt Deloitte-Partner Siegel.

Der User des Schweizer Online-Marktplatzes erhält für jede Daten-Transaktion, in die er einwilligt, Tokens als Zahlmittel. „Auch die Anonymität dieser Patientendaten können wir per Blockchain garantieren“, erklärt HIT-Präsident Scheuer. Er stellt klar: „Personenbezogene Daten oder auch Röntgenbilder werden niemals direkt in der Blockchain gespeichert, höchstens Verweise, vergleichbar mit Internet-Links, dazu. Für die Übertragung großer Datenmengen ist die Kryptotechnologie weder konzipiert noch im Hinblick auf die Infrastruktur ausgelegt. Ziel und Zweck ist die schnelle Abwicklung von Transkationen.“ Doch selbst dies werde durch die steigende Menge an Blockchain-Transaktionen immer schwieriger. „Die Skalierbarkeit lässt zunehmend zu wünschen übrig“, kritisiert Scheuer.

Die Transaktionsdauer in Public Blockchains erhöht sich

Laut Altran-Berater Graf dauerte es vor Weihnachten teilweise bis zu eine Stunde, bis eine Transaktion über die Ethereum-Blockchain verifiziert war: „Das alles ist noch Work in Progress, die kryptografischen Methoden müssen sich für Anwendungen in der Industrie und im Gesundheitswesen noch weiter entwickeln.“

Auch die HIT Foundation setzt bei ihrem Online-Daten-Marktplatz auf Ethereum. In der Anfangsphase hat sie laut Scheuer noch überlegt, eine eigene Blockchain aufzubauen. „Aber das erfordert einen Riesenaufwand. Und derzeit sind die Transaktionsvolumina, die wir haben werden, über bestehende Public Blockchains wie Ethereum noch sehr gut abbildbar“, so Scheuer. „Wie sich dies in den kommenden Jahren entwickeln wird, muss man allerdings sehen.“

Eine spezielle Art sind so genannte Private oder Permission Based Blockchains, also genehmigungsbasierte Blockchain-Systeme. Public Blockchains wie Bitcoin erlauben grundsätzlich jedem die Teilnahme an ihrem Verwaltungsprozess. Dazu gehört vor allem der Betrieb von Netzknoten, die eine Validierung von Transaktionen durchführen. Bei Permission Based Blockchains hingegen werden diese Netzknoten durch eine zentrale Autorität nach vorher definierten Regeln ausgewählt. „Diese Form der Blockchain wird von den meisten Projekten im Gesundheitswesen favorisiert, um Governance und Kontrolle über die Daten zu haben“, weiß Scheuer. Altran-Berater Graf gibt zu Bedenken: „Für Blockchain-Puristen ist das keine wirkliche Blockchain.“ „Ich hoffe sehr, dass Regulatoren die Chancen der Blockchain erkennen und nicht mangels Unkenntnis hindernde Regeln oder gar ein Verbot formulieren“, so Scheuer.

Deloitte mahnt indes regulatorische Überlegungen an: So bedürfe das hohe Level der in der Blockchain gespeicherten Metadaten einer sorgfältigen Abwägung. „Die Kombination aus demografischen Informationen mit Standortdaten könnte in der Theorie zu einer Triangulierung einer bestimmten Einzelperson führen“, gibt Siegel zu Bedenken. Er nennt ein Beispiel: „Das Potenzial, eine Einzelperson mit einer seltenen Erkrankung zu identifizieren, könnte in einer ländlichen Gegend im Vergleich zu einem dicht bevölkerten, urbanen Zentrum größer sein. Diese Bedenken könnten teilweise durch eine private Blockchain gemindert werden.“

Das Blockchain-Ökosystem im Gesundheitswesen
Grafik: Deloitte

Weitere Informationen

Zur Health Information Traceability Foundation:

www.hit.foundation

Positionspapier „Blockchain. Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen“ der Fraunhofer-Gesellschaft:

http://hier.pro/pLrE8

Zur Technologieberatung Altran:

www.altran.com

Whitepaper von Deloitte „Blockchain. Einsatz im deutschen Gesundheitswesen“:

http://hier.pro/8mG1Y

Whitepaper des Wissenschaftlichen Instituts für Geundheitsökonomie und Gesundheitsystemforschung (WIG2) „Blockchain: Die Demokratisierung des Gesundheitswesens?“:

http://hier.pro/ok7Il


So funktioniert die Blockchain

Nach der Definition der Experten des Wissenschaftlichen Instituts für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2) in Leipzig ist die Blockchain zunächst eine digitale, dezentrale Datenbank, die durch die Kombination verschiedener kryptografischer Techniken gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu heute üblichen Prozessen werden die Daten und Transaktionen dezentral gespeichert. Durch den direkten Kontakt zwischen den beteiligten Akteuren wird ein Intermediär überflüssig.

Der Begriff Blockchain drückt übersetzt so viel wie eine logisch miteinander verbundene und sich aufeinander beziehende Aneinanderreihung von Daten in einzelnen Datenblöcken aus. Das bedeutet, durch die in die Blockchain eingetragenen Informationen entsteht eine Kette an (Daten-)Blöcken, welche linear fortlaufend hinzugefügt werden. Blöcke können dabei weder gelöscht noch geändert werden. Jeder Block beinhaltet die Prüfsumme des vorherigen Blocks.

Die Verwaltung der Blockchain erfolgt durch alle im Netzwerk befindlichen Computer durch ein so genanntes Peer-to-Peer Netzwerk.

Um Daten in der Blockchain im Nachhinein zu manipulieren, müssten über 51 % der Kopien – vorhanden auf allen im Netzwerk beteiligten Computern – geändert werden. „Die Manipulation einer Blockchain wäre somit auf spieltheoretischer Basis mit hohen Kosten verbunden und aus wirtschaftlicher Sicht (im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwägung) nicht lohnenswert“, so Julia Winkler, Referentin Business Development des WIG2 Instituts.

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