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E-Health: Gesundheit digital – die Dänen machen es vor

Mobile Health
Gesundheit digital – die Dänen machen es vor

Gesundheit digital – die Dänen machen es vor
Der Sensor am Schuh erfasst Daten, mit denen sich der Gang eines Patienten charakterisieren lässt. So kann die Entwicklung der Parkinson-Krankheit objektiv bewertet werden Bild: Astrum IT
Mobile Health | Der Zugriff auf digitale Daten und ihr Austausch sollen die Behandlung der Patienten verbessern und dem Arzt kontinuierlich Daten liefern. Manches, wenn auch nicht alles, läuft in Dänemark derzeit besser als in Deutschland, wo unter anderem fehlende Schnittstellen die Entwicklung bremsen.

Jens Fuderholz Fachjournalist in Fürth

Goethes Faust fragte sich, was die Welt wohl im Innersten zusammenhält. Die Antwort des 21. Jahrhunderts würde vielleicht lauten: Infrastruktur. Ob Straßen, Strom und Wasser oder das Internet, ohne diese geht nichts – auch nicht in der Medizin.
Die Digitalisierung verlangt aber in fast allen Industrien und Lebensbereichen eine veränderte, wenn nicht gänzlich neue Infrastruktur. Sie ist auch der Grund, wieso zum Beispiel Dänemark beim Thema E-Health seinen Nachbarn Deutschland derzeit weit hinter sich lässt. Das Land im Norden liegt bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben, gemessen am BIP, seit Jahren auf einem der Spitzenplätze. Das Geld fließt vor allem in die Bereiche E-Health, im Speziellen in die Telemedizin. Bis 2025 wird Dänemark etwa 1000 Euro pro Einwohner allein für neue, modernste Krankenhäuser ausgeben. Die Infrastruktur sollte also stimmen.
„Eine Lösung ist aber nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird“, sagt Christian Graversen. Er ist Direktor des dänischen E-Health-Clusters Welfare Tech. „Die Leute müssen bereit sein, ihre Daten zu teilen. Die Informationen müssen außerdem regelmäßig aktualisiert werden.“ Für ein funktionierendes E-Health-System müssten die Daten also nur so sprudeln – wie in Dänemark.
In Deutschland, wo Datenschutzbedenken traditionell so hoch sind wie in kaum einem anderen Land, wäre das natürlich schwierig. Und es gibt sogar ein weiteres, großes Problem: die in den letzten Jahren durch proprietäre IT-Lösungen entstandenen Barrieren. In Dänemark können Kommunen beispielsweise ihre IT-Systeme selbst wählen. Wichtig ist nur, dass gesammelte Daten zum Austausch in einem bestimmten, standardisierten Format zur Verfügung gestellt werden. Etwas, was in Deutschland bisher noch nicht funktioniert. Hier fehlt ein solch übergreifender Standard.
Proprietäre Schnittstellen müssen Standards weichen
„Die proprietären Lösungen müssen zukünftig durch standardisierte Schnittstellen aufgebrochen werden, damit neue und effektive E-Health Lösungen auch in Deutschland zum Einsatz kommen können.“ So sieht es Ralph Steidl, Geschäftsführer der im Januar 2017 neu gegründeten Portabiles Health Care Technologies GmbH, Nürnberg.
Steidl verfügt über langjährige Erfahrung im Umsetzen von E-Health-Lösungen, die den ambulanten und stationären Sektor vernetzen. Bei der Astrum IT GmbH war er zuletzt vor allem an der Entwicklung von E-Gait beteiligt. Diese sensorbasierte Ganganalyse macht die Symptome von Morbus Parkinson objektiv messbar – der nach Alzheimer zweithäufigsten neurodegenerativen Erkrankung. Neben Astrum IT sind die Abteilung Molekulare Neurologie des Universitätsklinikums Erlangen und der Lehrstuhl für Mustererkennung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am Projekt beteiligt. Hieraus ist schließlich das Unternehmen Portabiles Healthcare Technologies entstanden.
Der für die Ganganalyse verwendete Sensor übermittelt Gangsignale und biometrische Rohdaten darüber, wie viel und vor allem wie sich der Patient bewegt – anonymisiert, beim Arzt müssen sie wieder einem Patienten zugeordnet werden. Und hier zeigt sich das Schnittstellenproblem: Viele Anbieter von Stammdatensoftware für Praxen und Krankenhäuser verwahren sich gegen Schnittstellen, über die ein Messgerät Daten an ihre Software übermitteln kann. Im schlimmsten Fall müsste der Arzt, der die mobile Datenerfassung nutzen wollte, sämtliche Daten des Patienten für jede externe Lösung separat eintragen. Steidl: „So scheitern viele gute Konzepte daran, dass sie die Ärzte zu viel Zeit kosten.“
Das Projekt Ganganalyse zeigt jedoch auch, wie E-Health im Idealfall aussieht: Der Patient hat praktisch keinen Mehraufwand, ein kleiner Sensor wird am äußeren hinteren Viertel des Schuhs befestigt – in ein paar Jahren verschwindet er womöglich komplett im Schuhwerk. Der Arzt bekommt die aufbereiteten Daten zur Verfügung gestellt. Er muss die Mobilitätseinschränkungen nicht länger rein subjektiv bewerten und kann für eine Diagnose auf mehr als eine Momentaufnahme im klinischen Umfeld zurückgreifen.
Doch es geht auch eine Spur kleiner als ein deutlich sichtbarer Sensor am Schuh, wie die Wearable Technologies AG, Herrsching, zeigt. In diesem und im vergangenen Jahr seien „smarte Pflaster definitiv ein Trend gewesen“, sagt Johanna Mischke, VP of Operations bei Wearable Technologies. Dazu zählt sie Insulinpflaster, die gleichzeitig Zuckerwerte messen und Insulin verabreichen können, Pflaster, die durch exakte Messung der Liegezeit das Wundliegen vermeiden können, oder als weiteres Beispiel smarte Westen, die Implantate aufladen.
Der deutsche Markt für Wearables wuchs nach Angaben des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK allein im vergangenen Jahr um 54 Prozent auf 1,2 Millionen verkaufte Geräte in Deutschland. Mischke warnt davor, unter „Wearables“ nur kleine Gimmicks zu verstehen. Denn: „Es gibt heutzutage eine ganze Bandbreite an Produkten, die nichts mit Spielereien zu tun haben, sondern für viele Menschen das Leben langfristig verbessern.“ Die Situation in Deutschland bewertet sie ähnlich wie Steidl: „Die Heterogenität der Systeme ist eines der größten Probleme.“ Dadurch gingen Synergieeffekte verloren oder Informationen würden schlicht nicht weiterverarbeitet.
„Dabei scheitert Mobile Health garantiert nicht an der Innovationskraft der deutschen Industrie“, fasst Alexander Stein die derzeitige Lage zusammen. Stein ist Veranstaltungsleiter der MT-Connect bei der Nürnberg Messe. Die Fachmesse für die Herstellung von Medizintechnik hat im Juni im Messezentrum Nürnberg Premiere. „Uns geht es vor allem darum, Zulieferer, Hersteller und Anwender verschiedenster Medizinprodukte zusammenzubringen.“ Anders seien weitreichende Innovationen, die von der Forschung über die Industrie bis zum Patienten reichen, gar nicht möglich.
Das größte Problem scheinen derzeit gesetzliche Vorgaben, fehlende Standards und Hürden in der Zulassung zu sein. Jörg Trinkwalter, Mitglied der Geschäftsleitung beim Medical Valley EMN e. V., sagt: „Was die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens angeht, ist Deutschland auf keinen Fall führend in der Welt.“ Das Spitzencluster Medical Valley EMN e.V. vernetzt 200 Akteure der Branche und koordiniert die Themenplattform Digitale Gesundheit/Medizin im Zentrum „Digitalisierung.Bayern“. Laut Trinkwalter sei man aber mit den Maßnahmen im Zuge des neuen E-Health-Gesetzes auf dem richtigen Weg. „Die Telematik-Infrastruktur, die ausgerollt werden soll, schafft beispielsweise schon einiges an Voraussetzungen, um nicht nur in Pilotprojekten stehenzubleiben.“ Diese Telematik-Infrastruktur (TI) befindet sich erst seit Kurzem im Test. Ihre Einführung soll später mit der Umsetzung des Versichertenstammdatenmanagements (VSDM) beginnen – verpflichtend für Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten. Der zweite Schritt ist eine qualifizierte elektronische Signatur, mit der Ärzte Dokumente rechtssicher unterzeichnen können.
Ein dritter Gesundheitsmarkt könnte entstehen
Trinkwalter geht sogar so weit zu sagen, dass sich im Zuge der Digitalisierung ein dritter Gesundheitsmarkt neben der ambulanten und der stationären Behandlung entwickelt. Dieser sei aber so neu, dass er noch nicht einmal einen Namen habe. Dadurch gebe es derzeit auch noch keine „typischen“ Geschäftsmodelle.
Für Trinkwalter ist das große Ziel aber eine echte digitale Gesundheitsakte. So eine Karte, auf der sämtliche medizinischen Daten gespeichert sind, wird aber derzeit in Dänemark aus Sicherheitsgründen gerade reformiert. Graversen vom dänischen Welfare Tech Cluster räumt ein: „Das ist nicht der sicherste Weg.“ Beim Stichwort Datenschutz gebe es noch etwas zu tun. ■
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