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Wo kommen die kleinen Ingenieure her?

Ingenieurmangel: Warum Unternehmen früher an später denken sollten
Wo kommen die kleinen Ingenieure her?

Rund 70 000 offene Ingenieurstellen meldet die Industrie. Zwar hat der Wachstumsmarkt Medizintechnik gute Chancen, diese zu besetzen, doch müssen die Betriebe rechtzeitig aktiv werden.

Den Nachwuchs für Technik zu begeistern war auf dem Stuttgarter IdeenPark nicht schwer. Über 290 000 Besucher strömten im Mai zur Veranstaltung auf dem neuen Stuttgarter Messegelände und ließen sich von rund 500 Ingenieuren, Forschern, Tüftlern und Studenten zeigen, wie Innovationen entstehen. Auch der eigene Entdeckertrieb kam bei den 200 oft interaktiven Exponaten nicht zu kurz – Groß und Klein waren mit Feuereifer dabei.

Sehr zur Freude von ThyssenKrupp-Chef Dr. Ekkehard Schulz. Er hatte 2004 mit seinem Unternehmen die Initiative „Zukunft Technik entdecken“ ins Leben gerufen, deren bisher zweijährlich stattfindender Höhepunkt die Technik-Erlebnis-Ausstellung IdeenPark ist. „Die Menschen haben sich von unserer Begeisterung für Technik anstecken lassen“, erklärt der Vorstandsvorsitzende des Düsseldorfer Unternehmens. Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels sei es notwendig, schon sehr junge Menschen an Technik und Naturwissenschaft heranzuführen. „Deutschland braucht die Technik und gut ausgebildete Ingenieure, Naturwissenschaftler und Fachkräfte, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern“, unterstreicht der promovierte Ingenieur. „Sie sind es, die für innovative Produkte sorgen. Von diesen haben wir in Deutschland mittlerweile leider deutlich zu wenig.“ Nach Berechnungen des VDI und des Instituts der Deutschen Wirtschaft hat sich die Ingenieurlücke im letzten Jahr um 45 % auf 70 000 fehlende Ingenieure vergrößert. „Diese Lücke führt zu einem Wertschöpfungsausfall, der für die deutsche Wirtschaft auf 7 Mrd. Euro geschätzt wird“, so Schulz. Um dieses Problem zu lösen, müsse an mehreren Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden: bessere Nachwuchsförderung, Imageverbesserung des Ingenieurberufs, Rekrutierung älterer Fachkräfte, mehr Frauen in technischen Berufen und ein gemeinsames Vorgehen von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft.
Gute Chancen für Ingenieure verspricht vor allem die Medizintechnik-Branche: Die Gesundheitswirtschaft ist einer der wichtigsten und größten Teilmärkte der deutschen Volkswirtschaft. Nach Angaben des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) e.V., arbeiten insgesamt 4,3 Millionen Menschen im Gesundheitswesen, davon beschäftigt die Medizintechnikindustrie in ihren rund 11200 Betrieben etwa 165 000 Menschen. Davon arbeiten den Angaben zufolge allein 14,6 % im Bereich Forschung und Entwicklung. Der Anteil der Naturwissenschaftler und Ingenieure am F&E-Personal sei hier mit 58,5 % überdurchschnittlich hoch. Das Verarbeitende Gewerbe meldet nur einen Anteil von 50,1 %.
Eine Kooperation von Medizintechnikunternehmen mit den Universitäten und Fachhochschulen – auch über die Grenzen hinaus –erscheint dadurch durchaus sinnvoll. Vor allem Unternehmen mit einem hohen Bedarf an Nachwuchsingenieuren, wie die Aesculap AG aus Tuttlingen, nutzen diesen Wissenspool. Seit Jahren engagiert sich der Systemanbieter für den gesamten Kernprozess im OP nicht nur in der firmeneigenen Ideenschmiede, der Aesculap-Akademie, oder der International Business School Tuttlingen, zu dem das Unternehmen als Gründungsmitglied einen besonders engen Bezug hat. Auch mit den regionalen Hochschulen, wie den Universitäten Furtwangen, Ulm und Konstanz pflegt das Unternehmen die Partnerschaft. Norbert Feldhaus, Personal-Chef bei Aesculap: „Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.“
Viele Nachwuchsingenieure konnte Feldhaus über die ausgeschriebenen Praktika an das Unternehmen binden. Wobei das Unternehmen auch klar vom Standortvorteil des Medizin-Clusters Tuttlingen profitiert. Hier seien die Netzwerke ideal, so Feldhaus. Qualifizierten Nachwuchs zu finden, sei für Aesculap zur Zeit noch kein Problem. „Wir bauen unsere Beschäftigtenzahl bislang jedes Jahr um rund 100 Mitarbeiter aus.“ Dennoch sieht der Personal-Fachmann die Schwierigkeit auf die gesamte Branche und damit irgendwann auch auf sein Unternehmen zukommen. „Rechtzeitig Handeln“ ist seine Devise (siehe Interview Seite 25).
Die Schwierigkeit, qualifizierten Ingenieurnachwuchs zu bekommen, kennt Silvio Paesano heute schon. Der Prokurist und Verkaufsleiter bei der Ewikon Heißkanalsysteme GmbH & Co. KG in Frankenberg beschäftigt sich seit Jahren mit der Fachkräftesituation in der Industrie und kennt die stetig wachsende Nachfrage nach gut ausgebildeten Ingenieuren. Dass dabei nicht nur der eigene Betrieb immer größere Anstrengungen unternehmen muss, um den gewünschten Fachmann zu bekommen, weiß er auch aus seiner Erfahrung als Dozent an verschiedenen Technik-Schulen in der Region. „Wir haben selbst zwei Jahre lang vergeblich versucht, eine Führungsposition mit einem Ingenieur zu besetzen“, erzählt Paesano. „Inzwischen konnten wir einen jungen Wissenschaftler einstellen, der unsere Anforderungen weitestgehend erfüllt.“ Dennoch muss der junge Mann an verschiedenen internen und externen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, um dem technischen Anforderungsprofil von Ewikon zu entsprechen. Einen Grund für die lange Suche nach dem Ingenieur sieht der Weiterbildungs-Fachmann auch im Unternehmenstandort. „Es ist einfach schwierig, Fachkräfte für Führungspositionen in die Region Nordhessen zu kommen“, so Paesano. Städte wie Frankfurt oder München hätten weitaus bessere Chancen, da vor allem junge Menschen die Vorstellung, auf dem Land zu leben, abschrecke.
Inzwischen setzt der Hersteller von Heißkanalsystemen für die kunststoffverarbeitende Industrie, der auch für die Medizintechnik fertigt, verstärkt auf den eigenen Nachwuchs: Zur Zeit beschäftigt das Unternehmen einen BA-Studenten, der im letzten Ausbildungsjahr ein Studium zum Systemtechniker absolviert und außerdem bereits gut im Unternehmen eingearbeitet ist.
Ob Studium an einer Berufsakademie (BA) , an einer der Universitäten oder an der Fachhochschule – gerade für die Spezialisierung in Richtung Medizintechnik wird den Studenten inzwischen viel geboten: Die Technische Universität Berlin beispielsweise hat das Fachgebiet bereits seit fast 100 Jahren im Programm. Heute wird dort unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Marc Kraft studiert, der den Bedarf aus der Industrie erkannt hat und – wie viele seiner Institutsleiter-Kollegen – auf eine enge Verknüpfung von Forschung und Lehre sowie die Kooperation mit Industriepartnern setzt.
Nicht ganz uneigennützig: Hochschulen wie die Universität Berlin könnte in den nächsten Jahren auch ein Nachwuchsproblem bekommen, sowohl durch rückläufige Studentenzahlen als auch durch fehlende Ingenieure im Universitätsalltag. So oder so – der Ingenieurnachwuchs ist gefragt . Die Universität Berlin war deshalb auch einer von 22 Hochschulpartnern, die die Erlebnis-Ausstellung IdeenPark in Stuttgart in diesem Jahr durch ihre Anwesenheit und aktive Mitarbeit tatkräftig unterstützt haben.
Bei der Mitarbeitersuche spielt der Unternehmensstandort eine wichtige Rolle

Ingenieurmangel – das ist zu tun
Fast jedes dritte Unternehmen konnte im vergangenen Jahr seinen Ingenieurbedarf mangels Bewerber nicht decken. Nach einer Umfrage von VDI und dem Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) blieb bei diesen Firmen mindestens eine Ingenieurstelle unbesetzt. Tendenz steigend. Der durchschnittliche Anteil offener Ingenieurstellen, die in den letzten fünf Jahren der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wurden, betreffen auch Branchen, die für die medizintechnische Industrie relevant sind. An erster Stelle stehen die unternehmensnahen Dienstleistungen, gefolgt von der Elektroindustrie, dem Maschinenbau sowie der Kunststoffherstellung. Für viele Unternehmen entsteht durch den Ingenieurmangel die Notwendigkeit, Strategien zu entwickeln, um den Fachkräfteengpass aufzufangen. Dass der entsprechende Druck in den Unternehmen vorhanden ist, zeigt die Tatsache, dass laut Studie zwei Drittel aller Ingenieure beschäftigenden Unternehmen in gezielte Weiterbildungsmaßnahmen ihrer Mitarbeiter investieren (66,3 %). Weiterbildung ist für viele Betriebe somit die Topstrategie gegen Ingenieurengpässe. Weitere Strategien:
  • Flexible Arbeitszeiten nutzen (64 %)
  • Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten (51,3 %)
  • Ältere Mitarbeiter rekrutieren (43,7 %)
  • Kooperationen mit Universitäten und Fachhochschulen (35,6 %)
  • Höhere Gehälter zahlen (26,3 %)

  • Ihr Stichwort
    • Ingenieurmangel
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    • Weiterbildung
    • Kooperationen

    • Aus Expertensicht
      Herr Feldhaus, wie hoch schätzen Sie das Interesse der Ingenieurstudenten an der Medizintechnik ein?
      Leider hat die Medizintechnik für die Ingenieurstudenten noch nicht den Stellenwert wie der Maschinenbau oder die Elektrotechnik. Doch das wird sich ändern. Der Gesundheitsmarkt ist nicht nur für Deutschland ein wichtiger Wachstumsmarkt. Weltweit wird die Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern zunehmen.
      Haben Sie Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu finden?
      Zum Glück haben wir momentan noch keine Probleme. B.Braun/Aesculap ist in der Medizintechnik ein Markenname und für Bewerber ein attraktiver Arbeitsplatz. Auch haben wir das Glück, in der Cluster-Region Tuttlingen angesiedelt zu sein. Aber wir arbeiten schon heute aktiv daran, um auch in Zukunft unseren Ingenieurbedarf decken zu können.
      Was erwarten Sie von den Absolventen, die Sie übernehmen?
      Wir wollen Ingenieure, die auch über den Tellerrand hinausschauen. Sie sollten nicht nur auf die Technik fixiert sein, sondern auch den Markt und unsere Kunden, für die wir unsere Produkte entwickeln, im Auge haben. Außerdem erwarten wir von unseren Mitarbeitern ein gewisses Maß an Flexibilität und Mobilität, beispielsweise für den Einsatz im Ausland.
      Werden Ihre Erwartungen erfüllt?
      Ja. Wir erwarten natürlich nicht, dass wir den perfekten Mitarbeiter von den Unis bekommen. Es ist auch Aufgabe des Unternehmens, den Nachwuchs für künftige Aufgaben fit zu machen. Was wir etwas bedauern, ist, dass wir kaum Bewerbungen von Absolventen ausländischer Universitäten bekommen.
      Wie fördert Aesculap seinen Nachwuchs?
      Wir arbeiten beispielsweise mit der International Business School Tuttlingen im Bereich der Weiterqualifizierung unseres Ingenieurnachwuchses auf dem Gebiet General Management zusammen. Aber auch im Unternehmen werden die jungen Mitarbeiter begleitet. Für uns steht dabei nicht nur die Technik im Mittelpunkt. Beispielsweise können Erfahrungen bei einer Auslandsniederlassung gesammelt werden – dadurch ergeben sich viele Karrierechancen.
      Worin besteht die Zusammenarbeit mit der International Business School?
      Aesculap ist Gründungsmitglied der IBST. Wir haben jedes Jahr zwischen drei und sechs Studenten, die dort ausgebildet werden – nicht nur, weil wir uns dort selbst stark engagieren, sondern weil wir überzeugt sind, dass ein Ingenieur, der dort den MBA macht, eine hervorragende Ergänzung seiner Ausbildung bekommt.
      Welchen Rat können Sie Unternehmen geben, die Ingenieurnachwuchs suchen?
      Für die Uni-Absolventen zählt nicht nur ein hohes Gehalt. Unternehmen sollten sich fragen: Sind wir als Arbeitgeber attraktiv? Wie ist der Arbeitsplatz ausgestattet? Welchen Stellenwert hat unser Unternehmen im Markt? Das ist wichtig. Eine gute Möglichkeit, Nachwuchskräfte zu finden, sind sicherlich Praktikantenstellen.
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