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Wir wollen Spaß!

Entropie, das gestimmte Klavier und die Zukunft der Naturwissenschaften
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Jeder Ton ein Treffer? Für den Physiker ist das Klavier auch ein Musikinstrument. Aber auch ein interessantes Forschungsobjekt (Bild: MAK – Fotolia.com)
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Haye Hinrichsen, der Protagonist unserer heutigen Geschichte, ist Professor am Physikalischen Institut der Universität Würzburg – und er hat Kinder. Die spielen gern Klavier, und das muss gelegentlich gestimmt werden. Vater Hinrichsen hat, weil er Physiker ist, eine Idee: einfach mal die Frequenzen des Klaviers auszumessen und die Spektren anzuschauen. Hätte wohl nicht jeder gemacht, aber wozu ist der Mann schließlich Wissenschaftler.

Und siehe da, im Alltag, genauer gesagt im Klavierstimmen, entdeckte er eine Frage für seinen Berufsstand: Könnte man nicht vielleicht messen oder gar errechnen, was der Klavierstimmer da mit seinem feinen, rein biologischen Gehör erreicht?
Findige Techniker hatten über so etwas natürlich schon mal nachgedacht und versucht, das menschliche Können in elektronische Geräte zu übertragen. Kleine Kästchen, husch – aufs Klavier gestellt, Saite angeschlagen und schon sieht man, ober der Ton zu hoch oder zu niedrig liegt.
Unter Musikern ist das ein Nase-rümpf-Thema, weil man damit zwar die Grundtöne in Harmonie bringen kann, nicht jedoch die Obertöne. Um die geht’s aber vor allem, wenn sich etwas für unsere Ohren gut anhören soll. Genau deren Harmonie wollte der Professor nun berechnen, probierte herum, versuchte es mit der Entropie als Maß für die Harmonie, und siehe da, das war ein guter Ansatz: Nach mehreren Rechendurchgängen war das „virtuelle Klavier“ gestimmt – mit einem Algorithmus, der elektronische Stimmgeräte prinzipiell verbessern könnte.
Okay, es war vielleicht kein wissenschaftlicher Durchbruch, der Professorer hat nur ein einziges Klavier bespielt und die Methode nicht systematisch untersucht. Aber es sollte ja auch keine Veröffentlichung in Nature oder Science draus werden. In einer Vorlesung für physikalische Laien hat er daheim davon ein bisschen erzählt, später einen längeren Vortrag in Brasilien gehalten, weil er gerade als Austauschdozent da war. Ich wette, die Zuhörer fanden das spannend. Sonst hätte der Herausgeber einer brasilianischen Zeitschrift für Physiklehrer keinen Artikel draus gemacht.
Wäre das nicht eine schöne Geschichte über die Faszination der Technik und ein Weg, Menschen für das zu begeistern, was hinter Formeln stecken kann? Für ein Happy End würde jetzt noch ein Industrieunternehmen auftreten und die Idee für viel Geld in ein Produkt umsetzen.
Aber nein. Denn dann – soll ich jetzt sagen leider? – griffen bekannte Zeitschriften wie „Technology Review“ vom Massachusetts Institute of Technology das Thema auf. Flugs bekam es eine peppige Überschrift, „das Ende für professionelle Musikinstrumentenstimmer“ wurde angekündigt, und andere Medien hieben in die gleiche Kerbe. Empörung schwappte aus der Musikwelt herüber.
Aber statt dass jemand auf die Journalisten geschimpft hätte, die zu dick aufgetragen hatten, ernteten Hinrichsen und sein Arbeitgeber, die Uni Würzburg, im Internet böse Kommentare für diese Art der „Forschung“. Und der Professor fing an, sich zu rechtfertigen. Nun teilt die Uni in einer Pressemeldung mit, Hinrichsen werde das Thema nicht länger bearbeiten, da es ohnehin nur eine „Spielerei am Rande“ war und er sich eigentlich und hauptberuflich mit statistischer Physik und Vielteilchensystemen befasst. Aha. Da sind dann die Wissenschaftler wieder unter sich.
Wenn das nicht schade ist! Der Mann wird doch nie wieder so ein (für physikalische Fragen verhältnismäßig) griffiges Thema in die Öffentlichkeit bringen. Und wenn das Beispiel Schule macht, möchte ich mir das Programm vom nächsten Tag der offenen Tür, einem Girls‘ Day oder sonstigen MINT-Begeisterungsaktionen lieber nicht vorstellen.
Also bitte: Nur Mut, meine Herren und Damen WissenschaftlerInnen. Wir wollen Spaß – und gern mehr davon erfahren, wie man am Wochenende sein Fachwissen in den Alltag trägt! Und wenn es das Entropie-Stimmer-Kästchen doch noch auf den Markt schafft, lerne ich Klavierspielen.
Der Aufsatz übers Klavierstimmen Haye Hinrichsen hat seinen Aufsatz „Entropiebasiertes Stimmen von Musikinstrumenten“ in deutscher und englischer Sprache auf seiner Internetseite hinterlegt. Dort verlinkt er auch zu den Zeitungsbeiträgen, die sich mit seiner Arbeit befassen.
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