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„Wir stehen noch ganz am Anfang der Entwicklung“

VDMA unterstützt die Hersteller von technischem Kopierschutz
„Wir stehen noch ganz am Anfang der Entwicklung“

Warum deutsche Hersteller weltweit führend beim technischen Kopierschutz sind und warum der VDMA internationale Standards in diesem Bereich vorantreiben will, verrät Steffen Zimmermann vom VDMA.

Herr Zimmermann, in der VDMA-Studie „Produktpiraterie 2012“ taucht die Medizintechnik nicht als betroffene Branche auf. Gibt es hier das Problem nicht?

Es gibt keine Branche, die nicht betroffen ist. Auch die Medizintechnik wird nicht von Produktpiraterie verschont sein. Insbesondere, wenn hohe Preise auf sich entwickelnde Märkte mit hoher Nachfrage treffen, treten Produktpiraten und Plagiateure in Erscheinung. In der VDMA-Studie ist die Medizintechnik nur aus einem Grund nicht vertreten: Die Medizintechnik ist kein Fachverband im VDMA und daher statistisch nicht ausgewertet.
Der technische Kopierschutz etabliert sich laut der Studie, allerdings eher langsam. Woran liegt das?
Maßnahmen kosten Geld. Wenn ich mich vor Produktpiraterie schützen möchte, muss ich investieren. Das war und ist auch in der IT-Sicherheit so, die ein Beispiel für schleppendes Investitionsverhalten ist. Erst wenn der Leidensdruck und Unternehmensschaden immer höher wird, reagieren die Betroffenen. Scheinbar ist die Bedrohung für viele Unternehmen noch nicht groß genug, um in präventive Maßnahmen, auch zum Wohle der Kunden, zu investieren. Zusätzlich haben viele Unternehmen Angst, sich zu outen. Bei sicherheitsrelevanten Produkten wie in der Medizintechnik kann ich das sogar nachvollziehen. Aus Sicht von Patienten sind jedoch Produkte vorzuziehen, deren Herkunft, Qualität und Produktsicherheit zweifelsfrei nachgewiesen sind.
Sie unterscheiden verschiedene Möglichkeiten technischer Schutzmaßnahmen in Ihrer Studie – Know-how-Schutz, Track&Trace, Embedded Security. Was steckt im Einzelnen hinter diesen Punkten?
Der Know-how-Schutz dient dem Schutz von Daten und Informationen zum Produkt oder Unternehmen. Darunter fallen beispielsweise CAD-Daten oder Preiskalkulationen.
Track&Trace dient der Überwachung und Verfolgung von Produkten in der Logistikprozesskette. Dadurch lassen sich unter anderem die Fragen „Wo ist das Produkt?“ und „Welchen Weg hat das Produkt genommen?“ beantworten.
Mit Embedded Security wird das Know-how geschützt, das in Steuerungssystemen und Elektronikschaltungen steckt, und sie hilft damit etwa gegen Reverse Engineering. Konstruktive Maßnahmen werden von Unternehmen ergriffen, um Ihr Produkt so zu gestalten, dass es nicht ohne weiteres und nur mit hohem Aufwand kopiert werden kann. So können nicht normierte Teile, die das Unternehmen selbst herstellt, verbaut werden. Der Plagiateur kann diese funktionsrelevanten Teile nicht am Markt beziehen. Die Kosten für das Plagiat steigen idealerweise so hoch, dass sich das Kopieren nicht mehr lohnt.
Welche konstruktive Maßnahmen oder Produktkennzeichnungsverfahren sind relevant?
Der vor allem bei Kunden und Anwendern bekannteste Schutz sind Produktkennzeichnungen wie Hologramme, Data-Matrix-Codes, Serialisierung und so weiter. Sie lassen sich grundsätzlich in die Bereiche offene und verdeckte Kennzeichnung unterteilen. Offene Kennzeichnungen dienen Patienten, Kunden, Behörden oder Handelspartnern als eindeutiges Identifizierungsmerkmal und lassen sich auf Verpackungen, Blistern, Kartons, Paletten oder auch dem Produkt selbst finden. Verdeckte Kennzeichnungen dienen der Abwehr von ungerechtfertigten Haftungsansprüchen oder als zusätzliches Identifizierungsmerkmal für Hersteller und Behörden. In der Regel sind der Öffentlichkeit Funktion, Lokation und Authentifizierungsmerkmale unbekannt.
Was schlagen Sie vor: Wie sollten Unternehmen am besten vorgehen, um die für Ihr Produkt beste Lösung zu finden?
Welche der Lösungen sich für Medizintechnik eignet, hängt immer stark von den Anforderungen ab. Unternehmen, die präventive Technologien einsetzen möchten, sollten sich unbedingt vorher über Ziel, Zweck, Zielgruppe und Prozessintegration Gedanken machen. In der Regel haben Unternehmen ein klares Zielfoto vor den Augen, auf das Beratungsunternehmen die richtige Technologie in Verbindung mit dem neu zu implementierenden Prozess empfehlen. Insbesondere im Bereich After Sales, wenn es also um Ersatzteile geht, gibt es viele Möglichkeiten.
Durchgesetzt hat sich in verschiedenen Branchen mit Kundenbezug bereits der Serialisierungs-Datenbank-Ansatz. So werden schon jetzt Pharmazieprodukte, Automobileersatzteile und auch Handtaschen mit einem eindeutigen Code versehen. Dieser Code ist in einer Online-Datenbank gespeichert und kann zum Beispiel bei Medizinprodukten von Kunden, Behörden, Klinikpersonal, Händlern oder auch Patienten und deren Angehörigen abgefragt werden. Dabei können weiterführende Informationen mitgegeben werden, wie zum Beispiel Beipackzettel, Anwendungshinweise, Nachbestellmöglichkeiten, Bewertungen in Internetportalen etc.
Laut der VDMA-Studie geht die Tendenz weg vom Einsatz eigenentwickelter hin zu Standardlösungen für den technischen Kopierschutz. Warum?
Eigenentwicklungen waren in der Vergangenheit notwendig, weil es keine branchenübergreifenden, standardisierten Lösungen am Markt gab. Dies hat sich, insbesondere durch die erfolgreiche Förderung durch das Bundesforschungsministerium, grundlegend geändert.
Gibt es bereits Standards in dem Umfeld?
Wir arbeiten weiterhin in nationalen und internationalen Gremien daran, Konzepte und Standards zu normieren. Bis diese Standards jedoch verabschiedet werden, sollten Unternehmen besonders die Gremienarbeit in Verbänden nutzen, um einen eigenen Branchenstandard für Schutztechnologien zu entwickeln.
Wo stehen die deutschen Hersteller von technischem Kopierschutz im internationalen Vergleich?
Viele der in Deutschland entwickelten Technologien sind weltweit einzigartig. Dies und die Tatsache, dass es sich dabei meist um Startups handelt, erschweren den Zugang zum internationalen Markt. Wir stehen hier bei der Entwicklung noch ganz am Anfang. Der Markt ist im ständigen Wandel und noch vergleichsweise klein. Trotzdem und gerade jetzt sollten wir aufpassen, dass wir den technologischen Vorsprung in Deutschland halten. In der Vergangenheit wurden in anderen Bereichen viele Fehler gemacht. Die Solarbranche ist ein warnendes Beispiel.
Im IT-Security-Umfeld ist es so, dass die Angreifer stets einen Schritt weiter sind als diejenigen, die sich schützen wollen. Trifft dies auf den technischen Kopierschutz auch zu? Das heiß: Wie sicher sind diese Systeme?
Der Vergleich mit IT-Security ist sehr treffend, auch im weiten Feld der IT-Security gibt es Systeme mit verschiedensten Sicherheitskriterien. Kleine und mittlere Unternehmen benötigen weniger Schutz als Behörden, Forschungsbereiche mehr als die Presseabteilung. So in etwa steht es auch um den Produktschutz. Es gibt fälschungsanfällige Technologien, aber auch fälschungssichere Lösungen. Unter dem Begriff „ Potentially Unclonable Functions (PUF) versteht man solche unfälschbaren Lösungen, die oft mit der Physik von Produktoberflächen oder speziellen nicht wiederholbaren Materialzusammensetzungen erreicht werden. Wir sind gegenüber den Fälschern im Vorteil, dass wir mit unserem Arsenal an Waffen gegen Produktpiraterie agieren, nicht reagieren. Das Glück hat die IT-Security nicht.
Von 2008 bis 2010 förderte die Bundesregierung auf Initiative des VDMA zehn Verbundforschungsprojekte zum Thema Produktpiraterie. Welche Entwicklungen hat der technische Kopierschutz dadurch genommen?
Das BMBF förderte die zehn Verbundforschungsprojekte mit einem Forschungsvolumen von knapp 30 Mio. Euro. Daraus entstand ein weltweit einmaliges Netzwerk an innovativen Unternehmen. Im VDMA sahen wir schon damals die Gefahr, dass nach Ende der Förderung die Ideen wieder zurück in Schubladen und Aktenordner wandern. Deshalb hat der VDMA 2010 die Arbeitsgemeinschaft Produkt- und Know-how-Schutz gegründet, um den Unternehmen eine industrienahe Plattform zu bieten. Mittlerweile engagieren sich mehr als 30 Anbieter von Lösungen und Technologien, Tendenz steigend.
Seit dem Ende der Förderung scheint das Thema wieder etwas in Vergessenheit geraten zu sein in der Öffentlichkeit. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Das Thema technischer Produktschutz ist zwar aus der öffentlichen Wahrnehmung von anderen Produktpiraterie-Themen wie ACTA verdrängt worden, jedoch keineswegs vergessen. Es ist trotzdem festzustellen, dass die Lösungen und Technologien, die in Deutschland im Rahmen der Forschungsinitiative entwickelt wurden, im Rest der Welt nahezu unbekannt sind. Deshalb ist der VDMA beispielsweise in engem Kontakt mit dem japanischen Maschinenbauverband JMF. Der JMF hat inoffiziell bestätigt, dass dessen Mitglieder den Kampf gegen Plagiate größtenteils aufgegeben haben. Für Japans Industrie ist das eine Katastrophe! Der VDMA hat deshalb im Juni eine Vereinbarung mit dem JMF geschlossen, um gemeinsam den Kampf gegen Plagiate aufzunehmen und vor allem präventive Schutzmaßnahmen in Japan bekannter zu machen.
Welche Entwicklungen sehen Sie beim technischen Kopierschutz derzeit? Wohin geht die Reise? Und was ist in der Pipeline?
In Zukunft werden wir mehr und mehr intelligente Maßnahmen, verknüpft mit Mehrwerten sehen. In der Entwicklung sind Lösungen, die vor allem den Kundennutzen mit dem Produktschutz verknüpfen. Ich erwarte keinen Boom bei der Nutzung der Technologien und Lösungen, eher wird auf Grund von gesetzlichen Vorgaben eine vermehrte Nutzung erforderlich.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
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