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Wer hat’s nochmal erfunden?

Innovationen: Medizinprodukte aus der Schweiz kommen auf der ganzen Welt zum Einsatz
Wer hat’s nochmal erfunden?

Künstliches Hüftgelenk, Herzschrittmacher und Mini-Roboter für die Chirurgie: Die Schweiz ist weltweit für ihren Erfindergeist – nicht nur in der Medizintechnik – bekannt. Eine große Unternehmens- und Produktvielfalt kennzeichnet heute die alpenländische Wachstumsbranche.

Matthias Peterhans hat große Pläne: „Wir sind in fünf Jahren weltweit tätig, haben rund 100 Systeme im Einsatz und etwa 30 Mitarbeiter“, so die Zukunftsvision des Jungunternehmers für seine Firma CAScination AG in Boll. Das Unternehmen wurde vor zwei Jahren von Peterhans zusammen mit Prof. Stefan Weber vom Artificial Organ Center für die computergestützte Chirurgie der Universität Bern und Prof. Daniel Candidas von der Universitätsklinik für viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals Bern gegründet. Das Produkt: ein bis zur Marktreife entwickeltes Navigationssystem für die Leberchirurgie mit Namen CAS-One. Dieses ermöglicht den Chirurgen eine bessere Orientierung während der Operation, was bei Krebspatienten mit Metastasen in der Leber die Chancen auf Heilung erhöht. Die Jungfirma machte bereits letztes Jahr erste Umsätze und konnte im vergangenen Dezember ihre erste Finanzierungsrunde erfolgreich abschließen. Beteiligt haben sich der Ypsomed Innovationsfonds, die BV Partners AG, Privatinvestoren und die Wirtschaftsförderung des Kantons Bern. CAScination verfügt damit über die nötigen finanziellen Mittel für den Marktaufbau in Europa und die Weiterentwicklung des Navigationssystems, das im Operationssaal mit allen verfügbaren Geräten und Instrumenten kombiniert werden kann. Und das System soll künftig nicht nur als GPS für chirurgische Eingriffe an der Leber dienen – nach den Vorstellungen von Peterhans machen auch Applikationen für Spezialgebiete wie die Bauchspeicheldrüsen- und Nierenchirurgie Sinn.

Vom ersten überlieferten Kaiserschnitt im Jahr 1500, den Mutter und Kind überlebten, über die Erfindungen von Haselnuss- und Milchschokolade, der ersten Diesellokomotive, der E-Gitarre und dem bekannten Kräuter-Bonbon sowie dem ersten implantierten Herzschrittmacher und dem ersten künstlichen Hüftgelenk – die Schweiz ist bekannt für Innovationen und kann auch heute in Sachen Erfindungen in Europa mithalten.
Wie die Jahresstatistik des Europäischen Patentamts (EPA) zeigt, lag das Alpenland bei den angemeldeten Patenten im vergangenen Jahr hinter Deutschland und Frankreich auf Platz drei. Gegenüber 2009 weist die Schweiz für 2010 damit eine Zunahme von Anträgen um 14 % auf. Die Anmeldungen von Erfindung stiegen von 6931 auf 7874. Im Vergleich dazu: Deutschland meldete 2010 rund 33500 Erfindungen an, Frankreich entwa 11 500. Unter den 50 Firmen, welche die Liste der Antragssteller anführen, befinden sich derzeit 21 europäische Unternehmen, darunter auch die Schweizer Unternehmen Roche, Novartis und ABB. Zwar haben auch diese Firmen gemerkt, dass die Produktinnovation gegenüber der Verbesserung der Profitabilität derzeit etwas an Bedeutung eingebüßt hat. Doch sie bleibt langfristig weiterhin der wichtigste Erfolgsfaktor der Medizintechnikindustrie. Vor diesem Hintergrund erstaunt es auch nicht, dass jene Unternehmen, die sich nach wie vor auf Innovation konzentrieren, die höchsten Wachstumsraten erwarten. Und auch die Schweizer Forschungsinstitute warten in regelmäßigen Abständen mit Innovationen auf.
Mit den Instrumenten, die Prof. Brad Nelson von der ETH Zürich mit seiner Gruppe entwickelt, könnte man beispielsweise sogar eine Fliege operieren, so der Forscher. Noch sind die Forschungen im Grundlagenstadium, doch laut Nelson sollen autonome Kleinstroboter irgendwann im Körper verschiedene medizinische Aufgaben übernehmen. Die kleinen Helfer könnten Substanzen direkt an den benötigten Ort im Gewebe transportieren oder minimale, aber hochpräzise chirurgische Eingriffe vornehmen.
Das Spezialgebiet der Forscher vom Institut für Robotik und Intelligente Systeme sind Fortbewegungsmechanismen, die alle mit externen Magnetfeldern gekoppelt sind, sowohl bezüglich Energie wie Steuerung. Entwickelt wurde ein ungefähr 0,33 mm kleiner Roboter, der durch oszillierende Magnetfelder in eine Art Schwimmbewegung versetzt werden kann. Was auf den ersten Blick aussieht wie zwei simple Zuckerwürfel auf einer Fliegenfalle, ist ein ziemlich ausgeklügeltes System, eine perfekte Verbindung von Nano- und Magnetfeldtechnologie. Da der Roboter nur auf resonante Frequenzen reagiert, können verschiedene Einheiten am selben Ort wirken. Sie richten sich nach den Feldgradienten aus, die auch für jede Einheit einzeln moduliert werden können. So kann theoretisch ein ganzer Trupp von Minichirurgen von außerhalb zielgenau durch den Körper dirigiert werden. Interessant ist die Technik vor allem deshalb, weil sie das Konzept der minimal-invasiven Chirurgie auf eine neue Ebene bringt: Ein kleiner Schnitt an einer harmlosen Körperstelle würde genügen, um die Roboter auf die Reise zu schicken – prinzipiell in fast jede Region des Körpers. Gezeigt haben das die Forscher am Beispiel des menschlichen Auges, wo ein Roboter bald als kleiner Medikamentenbote bei Retinabehandlungen zum Einsatz kommen dürfte – Gespräche mit Unternehmen sind bereits im Gange.
  • Susanne Schwab susanne.schwab@konradin.de
  • Weitere Informationen www.cascination.ch www.medical-cluster.ch www.ethz.ch

  • Schweizer Medizintechnik-Industrie
    Die Schweiz zählt zu den führenden Medizintechnik-Standorten. Innovative Firmen können sich auf spezialisierte Zulieferer, Hochschulen und Forschungsinstitute sowie auf Dienstleister für die Entwicklung und Einführung von Spitzentechnologien stützen. Das Rückgrat der Branche bilden über 700 Hersteller und Zulieferer, die zusammen rund 49 000 Mitarbeitende beschäftigen. Für die nächsten beiden Jahre rechnet die Branche mit einem jährlichen Wachstum von 10 bis 12 %. Die Bedingungen, unter denen sich dieses Wachstum vollzieht, haben sich im Zuge der Wirtschaftskrise aber gewandelt: Ein höherer Preis- und Kostendruck auf den Gesundheitsmärkten sowie ein schärferer Wettbewerb zwingen die Unternehmen dazu, ihre strategischen Prioritäten neu zu ordnen. Während noch vor zwei Jahren die Stärkung der Produktinnovation oberste Priorität hatte, gesellt sich nun die Verbesserung der Profitabilität dazu. Zu diesen Ergebnissen kommt der Swiss Medical Technology Industry 2010 Survey, der vom Medical Cluster zusammen mit Roland Berger Strategy Consultants und dem Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte durchgeführt wurde. Das erhöhte Kostenbewusstsein der Medtech-Manager habe auch dazu geführt, dass die Investitionen in Forschung & Entwicklung neu überdacht wurden. Insgesamt sind die F+E-Aufwendungen 2009 gegenüber 2007 zwar nur minimal zurückgegangen, bei den Herstellern von rund 12 auf 11 % des Umsatzes. Es kam aber zu einer Verlagerung der Ausgaben, indem vermehrt in die Optimierung bestehender Produkte investiert worden ist. Entsprechend ist auch der Anteil neuer Produkte am Umsatz zurückgegangen, von rund einem Drittel auf weniger als 30 %. Doch auch wenn die Produktinnovation gegenüber der Verbesserung der Profitabilität derzeit etwas an Bedeutung eingebüßt hat, bleibt sie langfristig der wichtigste Erfolgsfaktor der Medizintechnikindustrie.

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