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Tumore maschinell ertasten

Kombinierte Diagnoseverfahren: Ultraschall erweitert Möglichkeiten des MRT
Tumore maschinell ertasten

Auf minimalen Druck, wie ihn Ultraschall ausübt, reagieren Tumore anders als gesundes Brustgewebe. Ein MRT weist die feinen Abweichungen nach. Beide Technologien zu vereinen, war eine Aufgabe für Tüftler. Bonner Forscher haben sie gelöst.

Die klassische Abtastung ist eine der ältesten Formen der medizinischen Diagnostik und wird noch heute vielfach eingesetzt. Mit ihr lassen sich Änderungen der elastischen Eigenschaften, beispielsweise Knoten in der Brust, aufspüren – was gerade für die Brustkrebsfrüherkennung wichtig ist. Wenn sich dieses Gewebe krankhaft verändert, ist die Elastizität das am stärksten betroffene Merkmal. Die Abtastung mit der menschlichen Hand hat aber den Nachteil, dass sie in hohem Maße von der Fähigkeit des Untersuchenden abhängt und nur oberflächennah brauchbare Resultate liefert

Daher arbeitet die Gruppe von Prof. Karl Maier am Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn an einer Kombination aus Ultraschall und MRT. Die neu entwickelte Methode kann als maschineller Tastsinn verstanden werden: Während der Ultraschall als objektiver „Finger“ Druck ausübt, registriert das MRT die entstandene Verschiebung sehr sensitiv. Das erscheint auch deshalb als viel versprechender Ansatz, weil sich die elastischen Eigenschaften deutlich stärker als alle anderen, in bildgebenden Verfahren bisher genutzten Kontrast gebenden Eigenschaften ändern.
In den Experimenten wird der Ultraschall dazu genutzt, eine Volumenkraft auf das Gewebe auszuüben, die zu einer Verschiebung führt. Das elastische Gewebe baut in diesem Moment seinerseits eine Rückstellkraft auf, die dem Ultraschall entgegenwirkt. Nach sehr kurzer Zeit stellt sich zwischen beiden ein Kräftegleichgewicht ein.
Je stärker das Gewebe gegen den Ultraschall anarbeitet, desto weniger lässt es sich zusammendrücken. Tumorgewebe ist deutlich weniger elastisch als die gesunde Umgebung. Die tatsächliche Bewegung spielt sich im Mikrometerbereich ab, das Gewebe wird also kaum mehr verschoben, als ein Haar breit ist. Um diesen Effekt sichtbar zu machen, wird ein MRT benötigt. Damit lassen sich, wenn so genannte bewegungssensitive Sequenzen genutzt werden, selbst kleinste Bewegungen ortsaufgelöst abbilden.
Zur Brustkrebs-Früherkennung mit kombiniertem MRT und Ultraschall werden bei jeder MRT-Messung zwei Bilder aufgenommen: ein „herkömmliches“ MRT-Bild, Amplitudenbild genannt, und ein Phasenbild, auf dem die durch den Ultraschall hervorgerufene Bewegung abgebildet wird. Sobald eine Auffälligkeit erkennbar wird, ist es möglich, ihren genauen Ort zu bestimmen. Zudem kann die Festigkeit dort mit der des umliegenden Gewebes verglichen werden. So erfolgt eine erste Charakterisierung.
Für die Zukunft ist geplant, diese grobe Unterscheidung zwischen „härterem“ und „weicherem“ Gewebe auch messbar zu machen. Das soll möglich werden, indem parallel eine Simulation mit der Methode der finiten Elemente ausgeführt wird. Bei der Verwendung eines bekannten Ultraschallfeldes werden in der Simulation die elastischen Eigenschaften so variiert, dass die berechneten Verschiebungen genau den experimentell erzeugten entsprechen.
So einfach das physikalische Prinzip auch ist: MRT und Ultraschall zu kombinieren, erwies sich in der Realität als Herausforderung. In einem MRT herrscht ein starkes Magnetfeld, und die Signale der Protonen, die aufgezeichnet werden sollen, sind sehr schwach. Unter diesen Voraussetzung ist die Materialauswahl stark eingeschränkt. Schon kleinste Mengen an Metall sowie sämtliche magnetische Materialien verursachen bei ungünstiger Anordnung derart große Störfelder, dass eine Messung unmöglich wird. Daher griffen die Bonner auf Kunststoffe und Keramiken zurück, um eine Vorrichtung für die Ultraschall-Einwirkung aufzubauen. Der Metallanteil schrumpfte darin so weit, dass er für die Messergebnisse vernachlässigbar wurde. Lediglich auf das Metall zur elektrischen Ansteuerung konnte nicht verzichtet werden. Bei der Ultraschallansteuerung durften auch keine HF-Wellen aus dem Gehäuse austreten, die die Bildaufnahme stören würden. Daher befindet sich das „heiße“ Ende der Leitung in einer speziell angepassten Kupferbox, die das Aussenden von HF-Wellen bei der genutzten Frequenz verhindert.
Für die Einkopplung des Ultraschalls ist es wichtig, den Impedanzsprung zwischen Übertragungsmedium und Gewebe gering zu halten, da sonst ein großer Teil der Leistung reflektiert wird. Wasser bietet sich hier an, da es fast die gleiche Impedanz aufweist wie das Gewebe, es den Patienten nicht schadet und immer verfügbar ist.
Auf Basis dieser Überlegungen und der technischen Tests ist inzwischen ein Prototyp entstanden, der innerhalb kürzester Zeit an jedem MRT eingesetzt werden kann. Lediglich eine bewegungssensitive Spin-Echo Sequenz oder etwas Vergleichbares muss zuvor im Gerät installiert werden. Die tatsächliche Messung ist dann der normalen MRT sehr ähnlich. Die Patientin liegt auf einer Standard-Brustspule innerhalb des MRT. Die Brust befindet sich hierbei in einem Becken mit angewärmtem Wasser, das den Ultraschall leitet. Ein Ultraschallgel ist unter diesen Bedingungen nicht mehr erforderlich.
Unterhalb der Spule bewegt sich der Ultraschallsender zu den Positionen, an denen eine Untersuchung er wünscht ist. Vom Ultraschall selbst bekommt die Patientin nichts mit. Die Messzeit ist von der Auflösung und Abtastung abhängig, beträgt aber normalerweise etwa 15 min pro Brust. Die Untersuchung ist schmerzfrei, kommt ohne ionisierende Strahlung aus und ohne die Zugabe von Kontrastmitteln.
Bislang wurde die Methode an Phantomen getestet. Dabei wurde, im Hinblick auf eine spätere Messung am Menschen, großer Wert auf die Sicherheit gelegt. Die Ultraschallleistung liegt weit unter den von der US-amerikanischen FDA festgelegten Grenzwerten. Automatische und netzunabhängige Sicherheitsvorrichtungen minimieren die Risiken, die sich aus menschlichen Fehlern oder technischen Ausfällen ergeben könnten.
Im nächsten Schritt ist in Zusammenarbeit mit dem Brustzentrum des Universitätsklinikums Köln eine Studie an freiwilligen Probandinnen geplant, die derzeit von der Ethikkommission geprüft wird. Die Methode soll zunächst an bekannten Läsionen durchgeführt und mit vorhandenen Methoden verglichen werden. Im zweiten Teil soll anhand junger Risikopatientinnen überprüft werden, ob die Methode auch für diese Zielgruppe einen Mehrwert bietet. Standardverfahren scheitern hier häufig, wegen des in diesem Alter noch sehr dichten Drüsengewebes.
Nach erfolgreichem Abschluss der Studie und dem damit erbrachten Beweis, dass die Methode den erhofften Mehrwert liefert, ist mit einem erfahrenen, industriellen Partner die Entwicklung und der Bau eines entsprechenden Medizingerätes geplant.
Deniz Ulucay Institut für Strahlen- und Kernphysik, Universität Bonn
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