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Stillhalten – jetzt wird gefräst

Industrieroboter: Mit Adaptronik präzise genug für den Einsatz vor dem Fräskopf
Stillhalten – jetzt wird gefräst

Flexibel ja, aber nicht präzise genug – das war bisher das Ausschlusskriterium für die direkte Zerspanung mit Robotern. Stuttgarter Forscher bringen beide Anforderungen mit einer Adaptronik-Lösung unter einen Hut.

Für hochgenaue Bearbeitungsaufgaben, wie das Bohren oder Fräsen, werden bisher klassische Werkzeugmaschinen eingesetzt. In automatisierten Fertigungsstraßen sind sie meist mit Standardrobotern verkettet, die das Bestücken der NC-gesteuerten Maschinen übernehmen. Da kommt doch die Frage auf, ob ein Roboter, der während der Bearbeitung still steht, nicht auch direkt bei der Zerspanung nützlich sein kann.

Bis vor kurzem war das undenkbar. Die für die Automatisierung entwickelten Roboter erreichen zwar eine gute Wiederholgenauigkeit, aber ihre Struktur mit langer und offener kinematischer Mechanik scheint für den Einsatz an einer Fräsmaschine einfach nicht geschaffen. Abgedriftete Fräs- flächen und unruhige Fräsoberflächen nebst ungenauen Zustellungen sind die Folge, die auch mit steifer gestalteten Bauformen nicht wirklich in den Griff zu bekommen waren.
Was tun?, fragten sich Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Statt einen Roboter hinsichtlich seiner Kinematik neu und steifer zu entwickeln, was seine Flexibilität und Bewegungsfreiheit einschränken würde, wählten sie den Weg, vorhandene Helfer präziser zu machen: über den Ausgleich der „Fehler“, die ein Roboter beim Bearbeiten aufgrund seiner statischen und dynamischen Schwächen macht.
Dazu musste zunächst der Absolutfehler des Roboters gemessen werden. Für diese Aufgabe wählten die Stuttgarter einen Lasertracker. Neben dem Erfassen der Abweichungen war dann noch ein echtzeitfähiger und hochfrequenter Fehlerausgleich erforderlich. Diese Funktion wurde als Ausgleichskinematik an der Frässpindel untergebracht. „Beides zusammen steigert die Genauigkeit soweit, dass das gesamte System die erforderliche Bearbeitungsqualität erreicht“, sagt Arnold Puzik, der das Projekt am IPA betreut.
Die vom Lasertracker gemessenen Positionen werden über eine dSpace-Echtzeitentwicklungsumgebung zusammen mit der Soll-Vorgabe aus der Steuerung des Roboters erfasst. Die Differenz zwischen beiden – der Positionsfehler des Roboters – dient als Führungsgröße für die Regelung. Damit kann im Close-loop Betrieb das entsprechende und echtzeitfähige Steuersignal für jede Achse der Ausgleichskinematik an der Frässpindel generiert werden.
Die Ausgleichskinematik basiert auf hochdynamischen Piezoaktoren. Sie können mit bis zu 10 000 g beschleunigt werden. Da die Hübe solcher Piezoaktoren begrenzt sind, haben die Stuttgarter sie mit Festkörpergelenken kombiniert, die zusammen mit den Piezoaktoren ohne Verschleiß, Reibung und Schlupf arbeiten. So lassen sich Wege von bis zu 690 µm realisieren, und diese Aktorbewegungen erzeugen die korrigierenden Relativbewegungen zwischen Spindel und dem robotergeführten Werkstück. „Gegenüber herkömmlichen Ansätzen, die darauf beruhen, den Roboter zu versteifen, weist dieser adaptronische Ansatz bei Einsatzbreite und Investitionskosten wesentliche Vorteile auf“, betont Puzik.
Die Regelung zu entwickeln, die den Fehler bestmöglich kompensiert, war ein Kernstück dieses Projektes. Anhand von Fräsversuchen wurden die implementierten Regelungsalgorithmen überprüft. Ausgehend von der Forderung nach hochgenauen Roboterprozessen wurde die 3D-Ausgleichsaktorik in verschiedenen Versuchen getestet.
Im Fokus der Versuche stand die Zerspanung von Aluminium, das mit einer Vorschubgeschwindigkeit von 333 m/min bearbeitet wurde. Die Radialzustellung betrug 1 mm , die Axialzustellung 10 mm. An der Spindel, die mit einer Drehzahl von 30 000 min-1 lief, wurde ein sechs-schneidiger Schaftfräser mit 12 mm Durchmesser genutzt.
Mit diesem Aufbau waren laut Puzik verbesserte Bearbeitungsgenauigkeiten zu erkennen. Die ohne Fehlerkompensation meist abgedrifteten Fräsflächen konnten ausgeglichen werden, wodurch sehr gute statische Bearbeitungsgenauigkeiten erreicht wurden.
„Im niederfrequenten Bereich funktioniert die Fehlerkompensation bereits sehr gut“, sagt Puzik, der derzeit an den Regelungsalgorithmen arbeitet, um die Dynamik des Systems für den hochfrequenten Bereich und somit die Oberflächengenauigkeit noch weiter zu steigern. „Gegenüber Standard-Fräsrobotern“, berichtet der Forscher, „haben wir bereits eine deutliche Reduzierung der Oberflächenwelligkeit erreicht.“
Der Fräsroboter bietet laut Puzik die Perspektive, klassische Robotersysteme für hochgenaue Industrieprozesse nutzbar zu machen. Sobald das System mit Roboter die geforderten Genauigkeiten erreiche, könne der Anwender einen großen Arbeitsraum nutzen, flexibel und automatisiert bearbeiten und habe dennoch vergleichsweise geringe Investitionskosten. Neben klassischen Fräsaufgaben sei hier insbesondere an den Einsatz in der Gussnachbearbeitung mit geringen Spanvolumina und kurzen Durchlaufzeiten zu denken.
Aber auch in anderen dynamischen Prozessen ist der Einsatz einer solchen hochdynamischen Ausgleichsaktorik möglich: zum Beispiel, wenn es um einen zusätzlichen hochgenauen Stellweg oder die Kraftkompensation geht. Gegenüber marktüblichen Piezokinematiken besitzt diese Ausführung nach Angaben der Stuttgarter den Vorteil, dass größere Massen bewegt werden können.
Dass das am Fraunhofer IPA entwickelte Konzept funktionsfähig ist, hat sich an den vorläufigen Ergebnissen bereits gezeigt. Momentan befindet sich das Projekt in der Implementierungsphase, und weitere Entwicklungen stehen noch an. So soll zukünftig die Robotersteuerung auf eine CNC-Steuerung umgestellt werden, damit sich das Gesamtsystem einfacher bedienen lässt, schnellere Zykluszeiten besitzt und auch die NC-Programmierung benutzerfreundlicher wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich eine Einzelkomponente wie zum Beispiel die 3D-Ausgleichskinematik dann flexibel an die individuellen Prozess- und Einsatzbedingungen beim Anwender anpassen lässt.
Darüber hinaus ist ein innovatives, kostengünstigeres Messsystem in Arbeit, damit das Gesamtsystem aus Roboter, Ausgleichsaktorik mit Spindel und Messsystem gegenüber automatisierten CNC-Bearbeitungsstraßen noch attraktiver wird. op
Weitere Informationen Fraunhofer IPA www.ipa.fraunhofer.de E-Mail Arnold Puzik: arnold.puzik@ipa.fraunhofer.de

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