Startseite » Allgemein »

Steriles Teil kommt verpackt aus dem Werkzeug

Spritzguss: Wie die Trennfolie zur Verpackung wird
Steriles Teil kommt verpackt aus dem Werkzeug

Steriles Teil kommt verpackt aus dem Werkzeug
Die für das Verpacken im Werkzeug getestete TPE-Folie ist so dehnbar, dass sich selbst kleine Strukturen gut herstellen lassen Bilder: Fraunhofer IFAM/ Wolfgang Hielscher
Im Werkzeug der Zukunft wird das Spritzgussteil direkt in die Verpackungsfolie gespritzt. Wie das funktionieren kann, erläutern Experten vom Bremer Fraunhofer IFAM am Stand von medizin&technik auf der Medtec Europe.

Vakuum aktivieren, Spezialfolie einsaugen, heißen Kunststoff in die Kavität lassen, verschweißen – und schon lässt sich nach dem Erkalten ein steril verpacktes Spritzgussteil aus der Maschine entnehmen. So ein quasi auf den Kopf gestellter Prozess, in dem erst die Verpackung dran ist und dann das Teil, muss keine Fiktion bleiben: Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen arbeiten an einer entsprechenden Lösung. Damit wollen sie eine Fertigungsvariante zur Verfügung stellen, die vor allem für die Medizintechnik- und Biotechnologiebranche interessant ist. Denn wenn die Idee funktioniert, ein Teil gleich im Spritzgussprozess steril zu verpacken, müssten Unternehmen weniger Aufwand betreiben – und das Verpacken und Sterilisieren nicht an externe Dienstleister vergeben. Das würde auch den Eintritt neuer Marktteilnehmer im Bereich medizintechnischer Produkte, der Biotechnologie oder Laboranalytik erleichtern.

„Noch geht es aber darum, die Machbarkeit unseres Ansatzes nachzuweisen“, sagt Dr. Klaus Vissing, Gruppenleiter für den Bereich Plasmatechnik am IFAM und verantwortlich für das vor zwei Jahren angelaufene „Verpackungsprojekt“. Auf die Idee kamen die Ingenieure durch die Arbeit mit speziellen, am Institut entwickelten TPE-Folien, die mit einer Anti-Haft-Beschichtung versehen sind. Ursprünglich waren sie nur als Trennfolien gedacht – zum Beispiel für Anwendungen, in denen faserverstärkte Kunststoffe in Formen gelegt werden, um Rotorblätter für Windkraftanlagen herzustellen.
„Wir haben uns gefragt, ob die Folie wegen ihrer hohen Dehnbarkeit und ihrer Antihafteigenschaften nicht auch als Verpackungsmaterial im Spritzgussprozess interessant sein könnte“, erläutert Vissing. Mit dieser originellen Idee wurde ein Projekt initiiert, das die prinzipielle Machbarkeit zeigen sollte. Die bisherigen Ergebnisse sind so vielversprechend, dass die Bremer damit nun an die Öffentlichkeit gehen.
Das Verpacken, Spritzgießen und Sterilisieren in einem Schritt zu kombinieren, bezeichnen sie als „One-Step-Fertigung“. Es hat Ähnlichkeiten mit dem Folienhinterspritzen – nur dass sich in der ausgereiften Version eben auf beiden Seiten des fertigen Teils die Folie anschmiegen soll. Wegen der Anti-Haft-Beschichtung auf der dem Teil zugewandten Seite ist sie aber gut wieder zu entfernen.
„Die Folie ist so dehnbar, dass sich damit kleine Strukturen in der Form gut wiedergeben lassen“, berichtet Vissing. „Wir konnten zum Beispiel Treppenstrukturen mit Tiefen und Höhen von einem Millimeter sauber abbilden.“ Es sei kein Problem, bei einem Nennmaß von 1 mm Toleranzen von 80 µm einzuhalten – die Forderungen der Toleranzgruppe 110 seien damit erfüllt.
Es stellte sich im Projekt heraus, dass die Luft hinter der Folie schnell und an geeigneter Stelle entfernt werden muss. Klassische Entlüftungskanäle sind hierfür nicht geeignet. Daher wurde mit dem generativen Verfahren Selective Laser Melting (SLM) ein Werkzeugeinsatz mit flächigen Entlüftungen hergestellt, der mit einer porösen Oberflächenstruktur arbeitet. Er wurde am IFAM als Unikat aus Metallpulver gefertigt, und die Wissenschaftler haben damit gezeigt, dass ihr Konzept auf einer Seite des Werkstückes funktioniert. Durch ein Kanalsystem im Inneren des Werkzeugeinsatzes kann die Kavität sowohl mit Vakuum – zum Einziehen der Folie – als auch mit Druckluft beaufschlagt werden – zum Entlüften oder als spätere Option zum Entformen. „Der nächste Schritt wird sein, auf einer geeigneten Spritzgussmaschine, in der wir in der Werkzeugschnittebene anspritzen können, die Teile in einem entsprechenden Werkzeugeinsatz auch komplett in die Folie einzuhüllen.“
Diese erfüllt die Anforderungen an die Biokompatibilität nach DIN EN ISO 10993-5 und ist schweißbar. Zum Verschließen der Verpackung soll daher noch eine Möglichkeit für das Verschweißen in das Werkzeug integriert werden.
Das Hinterspritzen der Folie haben die Bremer mit mehreren Werkstoffen getestet, wobei die Schmelze Temperaturen von bis zu 260 °C erreicht. „Die Folie selbst ist stabil bis zu Temperaturen von 190 Grad Celsius“, sagt Vissing, „aber kurzzeitig können wir diesen Wert überschreiten, so dass wir bei den verwendbaren Werkstoffen kaum Einschränkungen sehen.“
Grenzen gibt es bei anderen Aspekten: Für Produkte, die im Mehrkomponentenspritzguss hergestellt werden, oder auch für Produkte, die wie eine Spritze aus Spritzenkörper und Stempel bestehen, also kombiniert und gemeinsam verpackt werden müssen, eigne sich das neue Verfahren nicht. Für viele andere Anwendungen aber gebe es interessante Perspektiven – nicht zuletzt deshalb, weil das Sterilisieren im Verlauf des Prozesses erfolgt. Bevor der Spritzgussprozess startet, wird die Folie automatisch in die Form gezogen. Die hohe Spritzgussmassetemperatur im Bereich von über 130 °C bis 200 °C und ein Einspritzdruck von über 30 bar machen Mikroorganismen, die sich möglicherweise auf der entstehenden Bauteiloberfläche und auf der Innenfolie befinden, das Überleben schwer.
Um aber ganz sicher zu gehen, dass auf den Teilen keine Keime übrig bleiben, wird auch die Folie behandelt. Bevor ein Stück davon in die Spritzgussanlage eingezogen wird, befindet es sich zwangsläufig in einer Warteposition. Dort wird die Folie mit Vakuumultraviolettstrahlung behandelt, die Bakterien abtötet. Derartige UV-C-Strahlung zerstört Bakterien, da die Photonenenergie bei entsprechender Dosis und Wellenlänge zu Bindungsbrüchen in der Doppelhelix-Struktur der DNS führt.
Dass das Verfahren die gewünschte und erwartete sterilisierende Wirkung hat, haben die Forscher nachgewiesen, in dem sie die Folie vor dem Spritzguss gezielt mit einer Bakteriensuspension kontaminierten und nach dem Fertigungsprozess in den institutseigenen Labors nach JIS Z 2801 beziehungsweise ASTM E 2180 prüften. In diesem ersten Versuchsstadium wurde mit einer Bakteriendichte von bis zu 105 Zellen/ml gearbeitet. „Als nächstes werden wir den Nachweis erbringen, dass wir so auch das normativ geforderte Sterility Assurance Level für medizinische Implantate von 10–6 erreichen“, sagt Vissing.
Nach der viel versprechenden Entwicklungsphase haben die IFAM-Forscher weitere Versuchsparameter intensiv untersucht. Getestet wurden verschiedene Werkzeugtemperaturen, Material- und Spritzgusstemperaturen, Einspritzgeschwindigkeit, Folienstärke, Folienmaterial, Beschichtung sowie Oberflächenverhalten. Interessant sind die Ergebnisse insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, die die gesamte Produktionskette – bis zum steril verpackten Produkt – im eigenen Haus aufbauen möchten. Eine Fortsetzung des Projektes ist schon geplant, und die Forscher sind an Gesprächen mit potenziellen Anwendern sehr interessiert.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de