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Sehen kann jeder, erkennen ist die Kunst

Bildverarbeitung: Wie in der Medizintechnik ein Datensatz zum aussagefähigen Bild wird
Sehen kann jeder, erkennen ist die Kunst

Dass die industrielle Bildverarbeitung als Querschnittstechnolgie einem hohen Innovationsdruck unterliegt, kommt auch der Medizintechnik zu Gute. Besonders interessant ist, was die Software heute leisten kann.

Jedes Bildverarbeitungssystem besteht aus einer Kamera, der Beleuchtung, einem Datenkanal und einem Computer, auf dem die zugehörige Software läuft. Diese muss aber weit mehr tun, als nur das Bild anzuzeigen: Sie wertet es vielmehr aus, trifft Entscheidungen und ist daher für das Ergebnis von entscheidender Bedeutung. Selbst Störungen wie Ungenauigkeiten in der Optik oder Schwankungen in der Beleuchtung muss die Software weitgehend ausgleichen. Dabei kommt sie heute nicht einmal mehr zwingend in einem Computer unter: Sie kann sogar „embedded“, also direkt auf entsprechend ausgestatteten Kameras, installiert sein.

Speziell in der Medizintechnik wird für bildauswertende Verfahren vielfach mit kalibrierten Grauwerten oder Farben gearbeitet, wobei die Grauwerte der Bilder physikalischen Größen wie Dichte oder Reflektanz direkt entsprechen. Das funktioniert jedoch nur, wenn die verwendete Software die Funktion der radiometrischen Kalibrierung zur Verfügung stellt.
Diese radiometrische oder Grauwert-Kalibrierung ist erforderlich, weil viele Bildverarbeitungsalgorithmen davon ausgehen, dass die vom Sensor gemessene Lichtintensität in einem linearen Bezug zum erzeugten Grauwert steht. Das stimmt jedoch zumeist nicht, wobei die Ursachen hierfür in der Hardware, der Kamera, zu suchen sind. Die radiometrische Kalibrierung beseitigt diese Abweichung zwischen Grauwert und Lichtintensität, in der Regel auf der Basis einer geeichten Kalibriertafel. Weil das sehr aufwendig ist, kann eine Alternative gewählt werden: ein Algorithmus, der automatisiert kalibriert. Dazu werden von derselben Szene mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Belichtungen gemacht und anhand der Beziehungen der Grauwerte zueinander die Korrekturen automatisch errechnet.
Bildverarbeitungsverfahren werden aber auch eingesetzt, um Daten in Farbbildern zu klassifizieren, Strukturen zu erkennen und 3D-Darstellungen zu generieren. Solche Farbbilder haben in der Medizintechnik eine große Bedeutung, und die Farben oder auch entsprechende Grauwerte müssen exakt klassifiziert werden. Dazu sind leistungsfähige Farbklassifikatoren – wie Multi-Layer Perceptron, Support Vector Machine oder Gauss Mixture Model – notwendig, die mit sehr komplexen Mehrkanalräumen umgehen können. Solche Farbklassifikatoren kommen vor allem in der Zytologie und der Pathologie zur Gewebe- und Karzinomerkennung zum Einsatz.
Ein weiteres Feld, das sich stark entwickelt, ist die OP-unterstützende Bildverarbeitung. Durch sie kann beispielsweise die genaue Lage eines Krebs-Tumors und der Blutgefäße erkannt werden, so dass der Chirurg nur noch Segmente eines Organs gezielt zu entfernen braucht. Während er operiert, sieht der Operateur das Gewebe des Patienten auf einem Bildschirm. Dieser zeigt schon das „verarbeitete“ Live-Bild, in dem die unterschiedlich belasteten Gewebebereiche farblich unterschiedlich wiedergegeben sind. Dadurch kann der Chirurg vom Krebs befallene Gewebe von gesunden genauer unterscheiden, als es sein bloßes Auge könnte.
Die 3D-Verfahren schließlich sind ein weiteres spannendes Einsatzfeld für Software. Sie bieten Arzt und Patienten neue Möglichkeiten: Als Beispiel sei hier das Lichtschnittverfahren, das dreidimensionale Scannen eines ausgebohrten Zahns mittels einer Laserlinie, genannt, was zu einem 3D-Modell des herzustellenden Inlays führt. Nach diesem Modell fräst ein Roboter exakt den fertigen Zahnersatz.
3D-Verfahren werden aber auch in der Computertomographie, in der Magnetresonanztomographie, der Angiographie und in der nuklearmedizinischen Diagnostik eingesetzt. Hiermit wird einerseits eine verlässliche Diagnose ermöglicht, da die räumliche Form und Ausdehnung von Strukturen – den Organen – genau beschrieben wird. Darüber hinaus können 3D-Verfahren auch während einer Operation genutzt werden, um dem Operateur die genaue Lage seiner Werkzeuge in Relation zum Operationsobjekt – in Echtzeit – anzuzeigen.
Mit 3D-Verfahren lassen sich auch am Skelett des Patienten angebrachte Marken aus Metall nutzen, um unter Röntgenbeobachtung die exakte Lage von Körperteilen zu erfassen. Dadurch kann auch bei geringsten Lageveränderungen ein assistierender OP-Roboter die OP-Stelle exakt lokalisieren. Solche unterstützenden Verfahren werden vor allem in der Hirn- und Gelenkchirurgie eingesetzt. Die Herausforderung für die Software liegt hier in der exakten Kalibrierung. Zum einen müssen die Sensoren kalibriert sein – und zwar im dreidimensionalen Raum. Zum anderen müssen Bewegungen kompensiert werden, die der ganze Patient oder Teile von ihm – wie zum Beispiel ein Organ wie Herz oder Lunge – ausführen.
Die Herausforderungen der Zukunft werden in einer Steigerung der Bildqualität liegen, vor allem in Farbräumen. Die Erkennung von 3D-Strukturen, beispielsweise zur Hautkrebsdiagnose sowie in der Endoskopie, wird vorangetrieben werden. Bislang ist das bereits mit Standardprodukten routinemäßig möglich. Hierbei werden Informationen zu Farbe, Helligkeit und Form der Oberfläche zur Klassifikation verwendet.
Gerade in der Medizintechnik ist aber auch die einfache und intuitive Benutzerfreundlichkeit sehr wichtig. Für Mediziner muss eine Anwendung klar, schnell und zuverlässig durchführbar sein, ohne Energie für das Bewältigen der Technik aufbringen zu müssen. Daher wird auch die Benutzerfreundlichkeit stärker in den Fokus rücken.
Dr. Lutz Kreutzer MVTec Software, München

Glossar
Multi-Layer Perceptron: ein mehrlagiges künstliches neuronales Netz
Support Vector Machine: ein mathematisches Verfahren zur Mustererkennung, das Klassen von Mustern mit Hilfe geschickt ausgewählter Merkmalsvektoren – den „support vectors“ – voneinander trennt
Gauss Mixture Model: ein mathematisches Modell zur Clusterung und letztendlich zur Klassifizierung von Merkmalsvektoren, wobei die Klassen durch so genannte Gaußverteilungen modelliert werden

Ihr Stichwort
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