Optik | Mit einem Trick lässt sich das Hirn des Nutzers dazu bringen, die räumliche Wahrnehmung beim Blick durch das Mikroskop zu verstärken. Eine solche optional verfügbare Funktion hat ein Hersteller für sein Gerät entwickelt – nachtaktive Raubtiere standen dabei Pate.
Optisches Gerät zur Erzeugung von Bildern mit räumlichem Eindruck“. So heißt in der nüchternen Sprachwelt der Patente das, was Jürgen Czaniera entwickelt hat, um dem Betrachter beim Blick durchs Mikroskop einen besseren Eindruck des Gesehenen zu verschaffen.
Czaniera ist Technologie-Manager beim Lenzkircher Medizintechnikhersteller Atmos Medizintechnik GmbH & Co. KG. Für dessen Mikroskop I-View-Pro, das mit kaltem LED-Licht arbeitet und eine hohe Schärfentiefe bietet, wollte das Team eine ganz besondere Funktion entwickeln – und fand die Inspiration dafür bei Raubtieren.
„Katzen haben senkrecht schlitzförmige Pupillen“, sagt Czaniera. „Dadurch müssen sie waagerecht eine hohe Schärfentiefe und senkrecht eine hohe Auflösung haben. Das ist bei vielen nachtaktiven Jägern so.“ Bei Schafen und anderen Beutetieren hingegen seien die Schlitzpupillen waagerecht, da es bei ihnen mehr auf die Übersicht ankomme. „So kam uns die Idee, beide Phänomene zusammen im Mikroskop einzusetzen: Wir entwarfen zwei schlitzförmige Blenden mit 90 Grad Versatz.“ So bekomme ein Auge die Senkrechte gut aufgelöst und erreiche über die Waagerechte eine große Schärfentiefe. Für das andere Auge sei der Effekt gerade umgekehrt. „Das Gehirn erzeugt aber aus den Bildern beider Augen ein Gesamtbild – mit hoher Auflösung und großer Schärfentiefe in beide Richtungen“, erläutert der Fachmann.
Spezielle Blendentechnik ist zum Patent angemeldet
Vereinfacht ausgedrückt, erzeugt die zum Patent angemeldete Blendentechnik zwei Bilder, die im Gehirn des Betrachters zu einem hellen, dreidimensionalen Bild zusammengesetzt werden und dabei einen ungewöhnlich großen Schärfenbereich erzeugen. „Wir haben die Blenden dann noch um 45 Grad gedreht, so dass sie ein ‘V‘ bilden, dessen Seiten in einem rechten Winkel zueinander stehen.“ Das führe zu einer symmetrischen Anordnung. „Diese ist vorteilhaft“, sagt Czaniera, „da das Hirn bei unsymmetrischen Anordnungen dazu tendiert, nur die Information des Leitauges zu nutzen.“ Das habe sich bei vielen Testpersonen gezeigt.
Das Ergebnis ist nach Auskunft der Entwickler verblüffend. „Wir sprechen hier von einer Schärfentiefe, die doppelt so hoch ist wie die, die mit anderen Mikroskopen zu erreichen ist.“
Die Richtung für die ersten Tests und Experimente allerdings wiesen die Augen von Czaniera selbst. „Die Zylinderfehler meiner Augen sind gegeneinander um etwa 110 Grad versetzt. Ich stellte fest, dass ich punktförmige Lichtquellen monokular im rechten Winkel zur jeweiligen Zylinderachse stark verschmiert sehe, in der Zylinderachse hingegen scharf.“ Binokular seien die Punkte scharf ohne Verschmierung. Der Entwickler konnte also am eigenen Leib die Erfahrung machen, dass „das Gehirn sich von jedem Auge die scharfe Richtung nimmt, die unscharfe unterdrückt und so ein scharfes Gesamtbild erzeugt.“
Für Chirurgen bedeute die Integration der Technik ins Mikroskop, dass sie seltener oder gar nicht mehr nachfokussieren müssten. Bei komplexen Eingriffen wie in der Ohrchirurgie komme es auf höchste Konzentration an, jeder Moment, in dem der Arzt die Hände aus dem OP-Bereich nehmen müsse, sei störend. Durch den großen Schärfenbereich des Mikroskops I-View-Pro ließen sich jetzt viele Präparationsschritte mit einer Einstellung durchführen. „Das erhöht die Sicherheit und verkürzt die Eingriffe.“ Eine an das Mikroskop angeschlossene Kamera kann den Effekt allerdings nicht widergeben, da die Vorteile der Funktion ‚Schärfentiefe Plus‘ nur durch das Verarbeiten des Gesehenen im visuellen Cortex entstehen. (op) ■
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