Manche Kinder erachten den Glibberkram am Strand ja als spannend, die meisten Menschen finden Quallen aber eher eklig. Einige der Tiere sind sogar giftig, einzelne tropische Arten gehören zu den giftigsten Tieren überhaupt. Steigende Wassertemperaturen, Ozeanversauerung und Überfischung scheinen nun die Entwicklung von Quallen auch noch zu begünstigen. Immer häufiger treten sie in riesigen Schwärmen auf. So haben Quallen schon Kühlsysteme von küstennahen Kraftwerken verstopft. Wie kann man dieser Umweltveränderung begegnen? Oder sogar etwas nützliches damit anfangen?
Tonnenweise Biomasse
Ein Konsortium von 15 wissenschaftlichen Institutionen aus acht europäischen Ländern unter Leitung des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat dazu eine innovative Idee. In dem von der Europäischen Union mit 6 Mio. Euro über einen Zeitraum von vier Jahren geförderten Projekt mit dem passenden Namen Gojelly wollen sie erforschen, wie man die Ressource Qualle zukünftig sinnvoll nutzen kann. „Alleine die eingeschleppte amerikanische Rippenqualle kommt in europäischen Gewässern auf eine Biomasse von einer Milliarde Tonnen. Wir neigen dazu, die Quallen so weit wie möglich zu ignorieren. Doch es muss andere Lösungen geben“, sagt Dr. Jamileh Javidpour vom Geomar, Initiatorin und Koordinatorin von Gojelly.
Quallenschleim gegen Mikroplastik
Bisher wissen die Forscher nur wenig über die Lebensweise vieler Quallenarten. Wann es wo zu einer großen Quallenblüte kommt, kann deshalb bislang kaum vorhergesagt werden. „Das wollen wir ändern, damit große Quallenschwärme abgefischt werden können, bevor sie die Küsten erreichen“, sagt Dr. Javidpour.
Parallel arbeiten die Projektpartner aber schon an dem zweiten Schritt: Was tun mit der abgefischten Biomasse? Zum Beispiel gegen eine andere, menschengemachte Plage einsetzen. „Erste Studien haben gezeigt, dass Schleim von Quallen Mikroplastik binden kann. Wir wollen also ausprobieren, ob aus Quallen Biofilter hergestellt werden können. Die könnten dann in Klärwerken oder in Fabriken eingesetzt werden, in denen Mikroplastik anfällt“, erklärt Dr. Javidpour.
Qualle für den Speiseplan
Als weitere Verwendungsmöglichkeiten sind Dünger im Gespräch sowie Quellstoffe als Bodenwasserspeicher für die Landwirtschaft auch in Trockengebieten – oder Futter für die Aquakultur. „Derzeit werden Zuchtfische meist mit gefangenem Wildfisch gefüttert, was das Problem der Überfischung nicht mindert, sondern vergrößert. Futter aus Quallen wäre deutlich nachhaltiger und würde die Wildfischbestände schonen“, betont die Biologin.
Auch an die Nahrungsmittelproduktion für den menschlichen Verzehr haben die Forscher gedacht. „In einigen Kulturen stehen Quallen bereits auf dem Speiseplan. Wenn das Endprodukt nicht mehr glibberig ist, könnte es auch allgemein eine größere Akzeptanz erlangen“, ist sich Dr. Javidpour sicher. Zu guter Letzt enthalten Quallen auch Collagen, einen in der Kosmetikindustrie sehr begehrten Stoff.
Werden Quallen zu Nutztieren, braucht es aber auch Käfige: am Geomar wird bereits der patentierte „Flow-2-Vortex“ Käfig, gebaut und verwendet, um Versuche zur Akklimatisierung von Quallenarten in der Gefangenschaft vorzubereiten. „Quallen können Rohstoffe für verschiedenste Verwendungszwecke liefern. Es wäre unsinnig, dieses Potenzial nicht zu nutzen, zumal uns die zugrunde liegende Biomasse immer wieder direkt vor die Haustür schwimmt“, fasst Dr. Javidpour zusammen.
Na dann: Ran an die Qualle.