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Patienten profitieren deutlich vom Gefühl der Sicherheit

Telemedizin: Nicht überschätzen, aber alle Möglichkeiten nutzen
Patienten profitieren deutlich vom Gefühl der Sicherheit

Patienten profitieren deutlich vom Gefühl der Sicherheit
Dr. med. Franz-Joseph Bartmann ist Chirurg und Vorsitzender des Telematik-Ausschusses der Bundesärztekammer
Es gibt Länder, die in der Telemedizin schon mehr erreicht haben als Deutschland. Dennoch entwickelt sich auch in der Bundesrepublik viel Know-how. Dr. med. Franz-Joseph Bartmann von der Bundesärztekammer sieht den Bedarf und rät Ärzten und anderen Beteiligten, die Möglichkeiten auszuschöpfen.

Herr Dr. Bartmann, welche Möglichkeiten bietet die Telemedizin für das Gesundheitswesen in Deutschland?

Wenn wir die Technik richtig nutzen, können wir mehr Versorgungsgerechtigkeit erreichen: Wir können medizinisches Fachwissen an jeden, auch an einen abgelegenen Ort in der Republik bringen. Das ist von Vorteil für die Patienten, aber auch für die Mediziner. Denn ein Grund dafür, dass sich immer weniger Ärzte im ländlichen Raum ansiedeln, ist sicher auch die bisherige berufliche Isolation dort. Der Typ des Arztes, der sich als Einzelkämpfer durchschlägt, stirbt allmählich aus. Die nachwachsende Generation ist von der Schulzeit an auf Teamarbeit und Austausch ausgerichtet. Und auch dieses Bedürfnis kann mit Hilfe der Telemedizin erfüllt werden.
Wie bewerten Sie die Situation der Telemedizin in Deutschland im Vergleich mit der Situation in anderen Ländern?
Das lässt sich nicht pauschalisieren, da unter dem Begriff Telemedizin eine ganze Reihe von Ansätzen zusammengefasst werden. Deshalb halte ich auch Aussagen, dass Deutschland weit hinter anderen Nationen zurückliege, für irreführend. Sicherlich gibt es in den USA erheblich größere Forschungsbudgets. Sicher ist die Infrastruktur in manchen Ländern besser auf telemedizinische Anwendungen vorbereitet, wie ich das für Dänemark aus eigener Beobachtung kenne. Aber beim Thema Schlaganfall zum Beispiel ist Deutschland weltweit führend, und die Experten kommen aus aller Welt hierher, um sich zu informieren.
Wer hat denn das größte Interesse an Weiterentwicklungen in der Medizin?
Die demographische Entwicklung wird dazu führen, dass wir telemedizinische Ansätze brauchen. Ich gehe davon aus, dass Patienten das auch über kurz oder lang einfordern werden, wenn sie einmal die Vorteile der Versorgung aus der Ferne erlebt haben. Beispiele dafür gibt es schon. Herzinsuffizienzpatienten, die an einem telemedizinischen Betreuungsprogramm im Rahmen des Projektes Partnership for the Heart teilgenommen hatten, empfanden so viel mehr Sicherheit und genossen die hinzugewonnene Mobilität, dass sich alle Befragten wünschten, weiterhin am Programm teilzunehmen. Konkret sah das Projekt vor, dass Vitaldaten eines Patienten aus der Ferne rund um die Uhr überwacht wurden. Sobald Auffälligkeiten beobachtet wurden, setzte sich eine Rettungskette in Gang – und zwar auch auf Sylt, wenn der Patient gerade dort Urlaub machte, auch wenn er in Stuttgart zu Hause ist. Bisher allerdings haben die meisten Patienten das Gefühl, ausreichend Ärzte in ihrer Nähe zu haben, so dass der Bedarf für telemedizinische Lösungen noch nicht laut geäußert wird.
Welche Reaktionen beobachten Sie unter den Ärzten?
Dort herrscht große Skepsis, und die Diskussion wird sehr emotional geführt. Bei Ärzten, die noch keinen Kontakt mit telemedizinischen Projekten hatten, scheint die Abneigung besonders groß zu sein, und diese berufen sich auf das deutsche Fernbehandlungsverbot, das eine Behandlung ohne persönlichen Kontakt verbietet. Aber man kann telemedizinisch arbeiten, ohne gegen diese Vorgabe zu verstoßen. Und nicht umsonst lehren wir unsere Studenten, dass 80 Prozent aller Erkrankungen im Gespräch abgeklärt werden können. Man muss also abwägen, wo Telemedizin sinnvoll nutzbar ist und was vielleicht wirklich nicht funktioniert.
Wo sehen Sie Risiken oder die Grenzen der Telemedizin?
Die Grenzen sind recht einfach zu ziehen: Wenn ein körperlicher Kontakt für die Behandlung erforderlich ist, kann Telemedizin nicht helfen. Daher ist sie auch kein Allheilmittel gegen den Ärztemangel. Darüber hinaus müssen die Ärzte im Laufe der Zeit lernen, die Möglichkeiten nicht zu überschätzen, aber aus dem Spektrum der Telemedizin alles zu nutzen, was ihnen hilft. Und es gibt noch Themen, denen wir uns widmen müssen. Dazu gehören der Datenschutz, gerade bei der Erfassung und Übermittlung von Vitaldaten, aber auch Fragen des Haftungsrechtes. Das spielt eine große Rolle, je mehr Ärzte kooperativ beim Behandeln eines Patienten zusammenwirken. Und natürlich wird eines Tages auch die Frage auftauchen, ob das Fernbehandlungsverbot in seiner heutigen Ausprägung noch passt oder eventuell geändert werden muss.
Wie ist die Telemedizin aus wirtschaftlicher Sicht zu bewerten?
Nehmen wir das Beispiel der Großgeräte in der Radiologie. In Deutschland sind wir damit sehr gut ausgestattet. Sie rechnen sich aber im Grunde nur, wenn sie möglichst stark ausgelastet sind, und dafür fehlt hier oft das Personal. Es gibt aber Ansätze, weltweit zusammenzuarbeiten. Dann werden Bilder, die vom Patienten in seiner Heimat erstellt werden, von einem qualifizierten Mediziner auf einem anderen Kontinent ausgewertet. Dieser kann die Aufgabe während seiner normalen Dienstzeit, also am Tag erledigen. Das ist aus meiner Sicht ein interessanter Ansatz. Was die Wirtschaftlichkeit der Telemedizin aus Sicht der Kostenträger betrifft, arbeitet man gerade daran, die einschlägigen Studien zu evaluieren und daraus gangbare Finanzierungskonzepte zu entwickeln.
Welche Rolle werden die Gerätehersteller in der Telemedizin spielen?
Wir müssen in Zukunft zu einheitlichen Standards kommen – und dafür ist auch die Industrie gefragt. Deren Bedeutung bei der Definition der Standards wird voraussichtlich zunehmen. Aber Details dazu wird erst die Veröffentlichung des letzten Paketes der Interoperabilitätsstudie des Bundesgesundheitsministeriums bringen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Über die Arbeit des Telematik-Ausschusses bei der Bundesärztekammer: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Taetigkeit2012_08.pdf
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