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Ohne Hilfe kaum zu stemmen

Klinische Studien: Je neuartiger das Produkt oder Verfahren, desto früher mit dem Studiendesign beschäftigen
Ohne Hilfe kaum zu stemmen

Klinische Studien sind teuer und für immer mehr medizintechnische Produkte vorgeschrieben. Eine frühzeitige Diskussion mit Experten und Dienstleistern kann aber helfen, das Studiendesign zu optimieren, den richtigen medizinischen Partner zu finden und das Produkt schneller zur Marktreife zu bringen.

Wer medizintechnische Produkte herstellt und verkaufen will, kommt nicht an klinischen Studien vorbei. Doch obwohl die derzeit vorbereitete Novelle des Medizinproduktegesetzes (MPG) die Situation sogar noch verschärft – machbar sind sie.

Die Novelle soll für alle implantierbaren Produkte eine klinische Prüfung vorschreiben, um das CE-Kennzeichen zu erhalten. Bei diesem Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte muss jedoch im Gegensatz zu Arzneimittelstudien bisher nur dessen Sicherheit bewiesen werden, nicht die medizinische Wirksamkeit. Das hat für Hersteller Nachteile. „Das CE-Kennzeichnen erlaubt dem Hersteller zwar, sein Produkt zu verkaufen“, betont Andrea Weiler, Director Clinical Science der Tuttlinger Aesculap AG. „Es sichert aber nicht zu, dass Krankenhäuser oder Ärzte für den Einsatz des Produktes auch ausreichend Geld erstattet bekommen.“
So fordern denn die Gesetzlichen Krankenversicherer (GKV) fordern zunehmend Beweise für den medizinischen Nutzen eines Produktes unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte, bevor sie über dessen Erstattungsfähigkeit entscheiden. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Qualität dieser Evidenzstudien durch die zunehmende internationale Harmonisierung der Richtlinien. Weiler rät Herstellern, sich so früh wie möglich Gedanken über diese Studien zu machen, da sie viel Zeit bräuchten. „Ist bei ganz neuartigen Produkten oder Werkstoffen eine klinische Studie zwingend erforderlich, und fängt man zu spät damit an, kann das den Markteintritt des Produktes verzögern“. Einen weiteren Anreiz, sich wirklich früh Gedanken zu machen, nennt Carmen Schade-Brittinger, Leiterin des Koordinierungszentrums für Klinische Studien (KKS) in Marburg: „Um eine kleine Verbesserung statistisch zu belegen, können sehr hohe Fallzahlen erforderlich sein.“ Manchmal lohne sich die Entwicklung gar nicht.
Wichtigster Startpunkt beim Planen klinischer Studien für den europäischen Markt ist derzeit die Norm ISO 14155:2008 – die Richtlinie für klinische Prüfung von Medizinprodukten an Menschen. Neben relativ guten Angaben, was für Produkte unterschiedlicher Produktkategorien gezeigt werden muss, enthält sie auch Definitionen aller wichtigen Begriffe wie Sponsor, Monitor oder Clinical Investigational Plan. „Für den Prüfplan orientieren sich die meisten jedoch an den Good Clinical Practice (GCP) Guidelines, obwohl diese eigentlich für Arzneimittel geschrieben sind“, sagt Schade-Brittinger.
Bei der Vorbereitung und Durchführung einer klinischen Studie können kleine und mittlere Medizintechnikhersteller sehr profitieren, wenn sie den Service von Auftragsinstituten nutzen, die international als Clinical Research Organisation (CRO) bekannt sind. Eine alternative Anlaufstelle ist das vom BMBF initiierte KKS-Netzwerk, dessen Marburger Mitglied Schade-Brittinger vorsteht. Obwohl das KKS vorrangig darauf spezialisiert ist, Forschern bei der Durchführung großer randomisiert-kontrollierter Studien zum Wirksamkeitsnachweis von Arzneimitteln oder Medizinprodukten gegenüber Standardtherapien zu helfen, bietet es seine Dienste auch anderen Auftraggebern an. Wichtig für Medizintechnik-Hersteller ist jedoch, bei der Wahl des Dienstleisters auf Expertise in ihrer Branche zu achten, denn die überwiegende Zahl aller Anbieter ist auf Arzneimittel spezialisiert.„Als kleines Unternehmen“, so schätzt Weiler, „ist es schwierig, bei den vielen rechtlichen Randbedigungen und den häufigen Änderungen, eine Studie ganz ohne entsprechendes Know-how machen zu wollen.“ Zudem sei das Abwickeln einer Studie „ein großer zeitlicher Aufwand, den man nicht so nebenbei mitlaufen lassen kann“.
Gemeinsam mit dem Dienstleister werden allen nötigen Schritte angegangen. Zuerst muss das Studienprotokoll erarbeitet werden, am besten im Team mit allen später Beteiligten, Ingenieuren, Ärzten und einem Biometriker. Dann gilt es, das richtige Krankenhaus für die Durchführung der Studie zu finden, in dem in einem akzeptablen Zeitraum ausreichend Patienten für die Studie rekrutiert werden können. „Trotz vorhergehender Kontrolle stellt sich die Rekrutierungsrate oft im Studienverlauf als Problem heraus,“ berichtet KKS-Leiterin Schade-Brittinger. Dann müsse man entscheiden, ob noch weitere Zentren dazugenommen werden sollten. „Damit wächst jedoch die Größe des involvierten Teams“, weist sie auf die oft resultierende Schnittstellenproblematik hin, denn „bei Multicenter-Studien kommen locker über 100 Leute zusammen.“
Schließlich müssen alle nötigen Anträge geschrieben und eingereicht werden, die Meldung an das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) erfolgen sowie Verträge mit den Kooperationspartnern geschlossen werden. Diese Verträge sind nicht ganz trivial, denn es gibt keinen Standardvertrag. „Sie müssen mit jedem Partner extra verhandeln,“ berichtet Bernhard Kreymann, Geschäftsführer des Münchner Start-up-Unternehmens Hepa Wash GmbH, das ein Leberdialysegerät entwickelt. Ein besonderer Streitpunkt bei der Zusammenarbeit mit Universitäten sei immer wieder, wie die Rechte im Bezug auf aus der Forschung resultierende Patente verteilt sein. Kreymann macht bei den Verhandlungen mit Universitätskliniken noch auf ein anderes Problem aufmerksam: „Dort steht Ihre Studie immer in Konkurrenz mit anderen Studien.“ Jeder Patient könne aber nur an einer Studie beteiligt sein. Führen also an einer speziellen Klinik Unternehmen mit ganz anderen finanziellen Mitteln ebenfalls Studien durch, sei Vorsicht geboten, denn „die zahlen pro Patient gutes Geld“. Diese Aufwandsentschädigungen seien jedoch oft der einzige Anreiz für eine Klinik, wirklich alle Daten zu erheben, die der Auftraggeber braucht. „Für die Schwester oder den Arzt vor Ort ist das nur Zusatzarbeit,“ weiß Kreymann. Es lohne sich also, darüber nachzudenken, wie ein Hersteller die Klinik auch personell unterstützen könne. Das korrekte Herrichten einer Maschine könne durchaus durch Firmenpersonal geschehen. Aus ethischen Gründen müsse aber die Dokumentation der Versuche unbedingt durch Arzt oder Schwestern erfolgen. „Manche Kliniken haben Study Nurses, die sich speziell um klinische Studien kümmern“, fügt Andrea Weiler als Tipp an. Diese personelle Unterstützung bei den klinischen Partnern erleichtere meist die Abwicklung der Studie.
Kein Wunder, dass sich die Vorbereitung einer Studie hinziehen kann. „Man braucht sich gar nicht zu schämen, wenn ein halbes Jahr vergeht, bevor der erste Patient behandelt wird,“ meint Reinhard Vonthein vom Institut für Medizinische Biometrie und Statistik an der Universität zu Lübeck. Im Idealfall können zwar ein Prüfplan innerhalb von zwei Wochen erarbeitet werden, es könne aber auch zwei Monate dauern, schon der mehreren Beteiligten wegen. „Wird auch noch eine neue Krankheit behandelt, so muss der Behandlungserfolg oft mit ganz neuen Parametern gemessen werden, für die noch keine Erfahrungswerte vorliegen.“ Dann gelte es bei einem Messgerät etwa, zunächst einmal die biologische Variabilität der Messergebnisse bei Gesunden zu erforschen.
Bei der Entscheidung, welche Endpunkte untersucht werden sollen, müssten Hersteller, Ärzte und Biometriker Objektivität, klinische Relevanz und schon Bekanntes beachten. „Ärzte entwickeln gern ihre eigenen Fragebögen,“ macht Vonthein aufmerksam: „Dabei gibt es oft schon in anderen Studien validierte Fragebögen.“ Nicht zu vernachlässigen seien auch Sprachprobleme. Vielen Medizinern und Ingenieuren sei nicht klar, dass unbedingt die autorisierte Übersetzung des weltweit eingesetzten Lebensqualitätsbogens SF36 verwenden müssten.
Generell gilt, je höher die Sicherheitsklasse des zu untersuchenden Produktes, desto mehr Daten werden zum Nachweis seiner Funktion benötigt. Vonthein berichtet, das die Kosten einer Studie davon abhängen, „wieviele Patienten beobachtet und wie viele Merkmale erhoben werden müssen“. Bei einer einfachen Studie könne es ausreichen, ein Dutzend Merkmale abzufragen. Bei einer komplizierten Studie müsse aber manchmal mehrmals am Tag kontrolliert werden, wie es dem Patienten gehe und ob das Produkt an diesem Tag überhaupt eingesetzt wurde. „Das ergibt sehr schnell eine Datenflut“, erklärt der Biometriker, für deren Verarbeitung es aus Datenschutzgründen spezielle Vorgaben gebe. Bei Studien für Großgeräte schlage auch der Preis des eigentlichen Gerätes zu Buche. „Ein teures Gerät im Wert von mehreren 10 000 Euro muss der Hersteller ersteinmal dem Krankenhaus hinstellen,“ so Vonthein. Bei kurzen Produktzyklen könne es passieren, dass der Hersteller dieses Gerät einfach abschreiben müsse.
Auch ein gutes Studienprotokoll zu entwerfen, ist nicht einfach. „Eine Placebo-kontrollierte oder doppelblind-randomisierte Studie wie in der Pharmaindustrie gilt als höchster Standard“, erläutert Carmen Schade-Brittinger: „Das geht aber bei Medizinprodukten oft nicht.“ Ob ein zu testender Herzzschrittmacher zwei oder drei Elektroden habe, erkenne jeder Experte sofort und könne daher nicht mehr als unbeeinflusst in seiner Bewertung gelten. „In so einem Fall kann man aber das Hauptkriterium der Studie von einem nicht beteiligten Arzt beurteilen lassen,“ schlägt die KKS-Leiterin vor. „Das ergibt dann wenigstens eine einfach-blinde Studie und damit eine methodische Aufwertung der Evidenzstudie.“ Trotzdem sei ein mit dem Pharmabereich vergleichbar gutes Studiendesign machbar, ist sie überzeugt und nennt als Beispiel ein Medizinprodukt zur Stoßwellentherapie, bei dem der Hersteller ein Gerät für die Studie so abgedämmt habe, dass keine Stoßwellen mehr durch den Kopf kamen. Äußerlich sah diese funktionsunfähige Variante aber für Patienten und Ärzte identisch aus.
Angesichts der Komplexität und der sich ständig im Fluss befindlichen Regeln empfindet Hepa-Wash-Geschäftsführer Kreymann „am besten schon welche gemacht haben“ als besten Tipp für Studien, den anderen Unternehmen geben kann. Dem fügt Andrea Weiler von Aesculap an: „Wenn Ihr wirklich klinische Studien machen wollt, holt Euch Hilfe.“
Monika Corban Freie Journalistin in Liestal/Schweiz
Beim Vorbereiten der Studie vergeht schnell ein halbes Jahr

Präklinische Studien
Besonders bei neuartigen Produkten sollten Hersteller ihr Geschäftsmodell bei Beginn der Entwicklung stehen haben, rät Bernhard Kreymann. Man müsse entscheiden, für welche Märkte das Produkt bestimmt sei, so der Geschäftsführer der Münchener Hepa Wash GmbH, die sich in der vorklinischen Entwicklung eines Leberdialysegerätes befindet. Wer etwa die USA als Zielmarkt hat, von dem fordert die FDA, bereits die Labor- und vorklinischen Studien nach Good Laboratory Practice (GLP)-Standard durchzuführen, von Anfang an ein Qualitätsmanagementsystem zu haben, für jeden Vorgang Standard Operating Procedures zu definieren sowie die komplette Dokumentation in Englisch zu erstellen. GLP-zertifizierte Tierstudien seien jedoch teuer und ließen sich in Deutschland fast nur an Unikliniken oder bei großen Pharmaunternehmen machen. „Die Verhandlungen mit diesen Laborinhabern dauern jedoch oft zu lange“, sagt Kreymann. Vom Vertragsentwurf bis zur Unterzeichnung vergehe schnell ein ganzes Jahr.
Hepa Wash arbeitet daher in den eigenen Labors nach GLP-like Standards. Für die FDA könnten später immer noch ein paar Tiere in einem GLP-zertifizierten Labor untersucht werden, dann aber mit genau definierten Parametern. Was und wie gemessen wird, haben die Hepa-Wash-Mitarbeiter bereits vor Beginn der ersten Tierstudie mit den Behörden durchgesprochen und damit praktisch vorab abgesegnet.

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