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Offenes System bietet Chancen für Betreiber und KMU

Projekt OR.Net: Aktuelles Weißbuch und Demonstratoren für die Vernetzung von Geräten
Offenes System bietet Chancen für Betreiber und KMU

Offenes System bietet Chancen für Betreiber und KMU
Die Zukunft für den OP: Nach Einschätzung des VDE werden in etwa fünf Jahren die ersten Säle in Betrieb sein, deren Medizingeräte über den im Projekt OR.Net entwickelten offenen Standard vernetzt sind Bild: Fotolia/pgottschalk
An Standards, mit denen sich Medizingeräte verschiedener Hersteller beliebig vernetzen lassen, haben zahlreiche Partner im Projekt OR.Net gearbeitet. Sie sind dabei weit gekommen – internationale Standards und klinische Studien sollen folgen.

Jeder kann mit jedem? Medizingeräte verschiedener Hersteller sollen das im Operationssaal in ein paar Jahren problemlos leisten können. Anästhesiegeräte, Monitor, chirurgisches Equipment, Schalter und weitere Produkte tauschen sogar schon untereinander und mit dem Krankenhaus-Informationssystem Daten über offene Schnittstellen aus – in einem OP-Saal im Innovationszentrum für Computerassistierte Chirurgie (Iccas) in Leipzig. Dort wurde ein Demonstrator aufgebaut. Er zeigt Interoperabilitätsergebnisse aus dem vom BMBF-geförderten Verbundprojekt OR.Net und wurde im Dezember präsentiert.

„Die Vernetzung nach dem Open-Source-Modell ist vor allem für kleine und mittlere Medizingerätehersteller interessant“, sagte Dr. Frank Portheine, Geschäftsführer der Aachener Surgitaix GmbH, auf der Medica 2015 in Düsseldorf. Sein Unternehmen beteiligt sich seit 2012 am Projekt OR.Net. Sobald sich der offene Standard etabliert habe, betont Portheine, ergäben sich für Nischenanbieter neue Chancen für den Marktzugang. „Der Betreiber in der Klinik hat dann mehr Auswahl: Er muss sich nicht für ein Gesamtsystem entscheiden, das von einem Konsortium entwickelt wurde und in dem jeder Gerätetyp nur mit dem Produkt eines Herstellers vertreten ist.“
Solche Lösungen mit proprietärer Schnittstelle funktionierten zweifellos. Sie böten dem Anwender aber keine Auswahlmöglichkeit, wenn er an der einen oder anderen Stelle wegen zusätzlicher Funktionalitäten lieber ein anderes als das vom Konsortium festgelegte Gerät verwenden würde. „Unternehmen, deren Geräte zu solchen Systemen gehören, hatten bisher einen Vorteil. Ein offener Standard würde hier die Wettbewerbssituation verändern“, sagt Portheine. Mehr Geld als bisher werde deswegen im Gesundheitssystem in Zukunft sicher nicht ausgegeben, aber es werde sich vielleicht anders verteilen.
Ob sich ein Vernetzungssystem mit offenen Schnittstellen durchsetzen kann, hängt stark davon ab, ob die Betreiber in den Kliniken die einfache Vernetzung in ihren Ausschreibungen in den kommenden Jahren einfordern. Gründe dafür gibt es nach Auskunft der Partner im Projekt OR.Net viele: Mit Hilfe der in den Operationssaal integrierten Intelligenz könne sich das OP-Personal auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Moderne Assistenz unterstütze die Mitarbeiter dabei. So würden beispielsweise sämtliche Patientendaten und Parameter automatisch in alle Geräte eingespielt und müssten nicht mehr manuell eingepflegt werden. Alle vernetzten Geräte könnten zudem von einem zentralen Punkt aus gesteuert werden. Mit einem einzigen dynamisch vernetzten Fußschalter lassen sich auch verschiedene Instrumente steuern. Und Patientendaten, Vitalparameter, aktuelle Bilddaten und Überwachungsfunktionen werden auf einem zentralen Monitor eingespielt, der in der Sichtachse des Operierenden liegt. Weitere Ideen bestehen darin, die von der WHO empfohlene Surgical Safety Checklist sowie verschiedene klinikinterne Standard Operating Procedures zu integrieren. Das soll eine hohe Leitlinienadhärenz und qualitativ hochwertige Patientenversorgung sicherstellen. Dass das alles auch wie geplant funktioniert, soll sich anhand mehrerer Demonstratoren in nächster Zeit zeigen.
Die Projektträger arbeiten weiterhin an der Standardisierung der Schnittstelle und der Zulassung der damit arbeitenden Geräte. Der VDE hat dazu auf der Medica 2015 die jüngste Version seines Weißbuches „Interoperabilität von Geräten und Systemen in OP und Klinik“ vorgestellt. Darin sind – basierend auf den bisherigen Erfahrungen – die Empfehlungen für Hersteller zusammengefasst, die ihre Geräte mit offenen Schnittstellen ausstatten möchten.
Im Weißbuch wird analysiert, wie es um Standards für die Vernetzung medizinischer Geräte im OP bestellt ist und wie sich diese an Informationssysteme anbinden lassen. Darüber hinaus gibt es einen Überblick über rechtliche Anforderungen und die internationale Normungslandschaft, inklusive Risikomanagement und Sicherheit. Diese Analysen sind die Basis für Empfehlungen, wohin und wie schnell sich die Standardisierungslandschaft bewegen sollte, um Interoperabilität von Geräten in OP und Klinik zu sichern. Innovationen mit offenem Standard und sicherer Schnittstelle erwartet der VDE in fünf Jahren.
Angetrieben durch das Projekt OR.Net sind bereits Standards bei entsprechenden Organisationen eingereicht und sollen international kommentiert werden. Eine besondere Rolle spielt dabei das Open Surgical Communication Protocol (OSCP), das beim Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) international vorgestellt wurde und die Grundlage für die Konformitätserklärung für vernetzte medizinische Geräte ist. Auf Initiative des VDE haben sich die zuständigen deutschen Branchenverbände bereits zum OCSP verpflichtet. Auf der Medica teilte der VDE mit, dass es „im Jahr 2016 auf dieser Grundlage zu einem internationalen Standard“ kommen werde.
Auch auf die Richtlinienkonformität könnte die Standardisierung einen positiven Effekt haben. „Produktkombinationen würden dann nicht mehr als Gerätepaar zugelassen werden, sondern man würde die Zulassung für Typenpaare beantragen“, so Portheine. Und wenn diese einmal vorliege, müsse nicht für jeden weiteren OP der Prozess durchlaufen werden.
Eine komplette Neuausstattung mit lauter aufeinander abgestimmten Geräten ist für die meisten Krankenhäuser aber sicher nicht der typische Fall. „In Wirklichkeit nutzen wir viele ältere Geräte – und diese werden so schnell auch nicht verschwinden“, sagt Dr. Michael Czaplik, Sektionsleiter Medizintechnik an der Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik der RWTH Aachen und Sprecher des Medical Board im Projekt OR.Net. Doch könnten ältere Geräte mit einer Zusatz-Box kombiniert werden, die deren Signale quasi für den offenen Standard übersetzt.
In Europa gibt es derzeit keine mit OR.Net vergleichbaren Initiativen. In Japan sowie den USA arbeiteten zwar Gruppen an der offenen Vernetzung von Medizingeräten. Sie verfolgen jedoch andere Ansätze. „Es gibt aber Chancen, wie sich diese kombinieren lassen, zu einem dann weltweit anwendbaren Standard“, sagt Julia Benzko, die im Projekt mitgearbeitet hat und heute bei der Steute Schaltgeräte GmbH & Co. KG in Löhne als Produktmanagerin tätig ist. Dort werden auch über das Projekt OR.Net hinaus Schalter weiterentwickelt, mit denen sich mehrere Geräte bedienen lassen.
Die Zukunft der im VDE entwickelten offenen IEEE Standards (11073-20701, 11073-10207, 11073-20702) hängt nach Einschätzung der Experten stark von den Klinikbetreibern ab: Erst wenn sie Interoperabilität fordern, wird sich der Markt in dieser Richtung weiterentwickeln.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Die Laufzeit des Projektes OR.Net wurde um acht Monate bis zum 30. April 2016 verlängert, um die Arbeiten an den Demonstratoren abzuschließen und einige weitere Teilziele zu erreichen. www.ornet.de Ein Gesamtdemonstrator, der möglichst viele Produkte einbindet, wird auch auf der Kongressmesse Conhit 2016 im April in Berlin zu sehen sein: www.conhit.de

Interoperabilität in der Praxis zeigen
Zum Abschluss des Projektes OR.Net stehen über Deutschland verteilt eine Reihe von Demonstratoren bereit, an denen sich Interessenten über die Möglichkeiten informieren können.
Teildemonstratoren sind in Aachen, Leipzig, Lübeck und München entstanden. Sie unterstützen vor allem die konkreten Entwicklungsarbeiten der beteiligten Hersteller. Jeder Teildemonstrator ist entsprechende der Kompetenzfelder der Projektpartner spezialisiert.
In Aachen werden unter anderem Fragestellungen im Bereich der Zulassung integrierter OP-Systeme betrachtet sowie Usability-Analysen durchgeführt. In Lübeck geht es vor allem um IT-bezogene Details, zum Beispiel um unterschiedliche Lösungen, mit denen sich existierende vernetzte Systeme an das OR.Net-System anbinden lassen. In München wird demonstriert, wie Daten dynamisch vernetzter, bestehender Geräte echtzeitfähig zusammengeführt und genutzt werden, um auch zeitkritische neuartige Funktionen sicher damit realisieren zu können.
Der Integrationsdemonstrator in Leipzig ermöglicht die Simulation aller für eine OP und Vernetzung notwendigen Komponenten und Funktionen. In diesem Umfeld können Hersteller testen, inwieweit sich ihre Medizingeräte in eine vernetzte OP-Infrastruktur integrieren lassen und wie diese mit anderen Systemen zusammenarbeiten.
Am Standort Heidelberg sollen sich im integrierten OP als Gesamtdemonstrator alle im Projekt entwickelten Konzepte und Komponenten daraufhin testen lassen, ob sie im realitätsnahen klinischen Umfeld praxistauglich sind. Hier werden zukünftig Operationen mit realen OP-Teams simuliert. Weiterhin wird geprüft, wie sich die OR.Net-Systeme in die bestehende IT-Infrastruktur eines Krankenhauses integrieren lassen.

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