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Mundstück statt Medikament

Kernspintomographie: Optisches Tracking-System gleicht Patientenbewegung aus
Mundstück statt Medikament

Seinen Patienten muss der Arzt für die Tomographie nicht ruhig stellen, wenn ein optisches Tracking die Bewegungen erfasst und Fehlern im Bild vorbeugt. Mit ersten Tests in der Klinik sind die Entwickler zufrieden.

Mit der Kernspintomographie, auch magnetic resonance tomographie (MRT) genannt, lassen sich innere Organe und Gewebe darstellen, und sie ist aus der medizinischen Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Da bei diesem wie auch bei allen anderen hochaufgelösten Aufnahmeverfahren jede kleinste Bewegung des Patienten Artefakte im Bild erzeugt, muss der Patient für die komplette Aufnahmezeit – also über eine Dauer von bis zu 30 min – ruhig liegen. Dies ist selbst für gesunde Erwachsene schwierig und für Kinder oder kranke Menschen praktisch unmöglich. So müssen Scans häufig wiederholt werden, was für die Kliniken immense Kosten verursacht.

Um im Umfeld dieser Scans nicht auf narkotisierende Medikamente zurückgreifen zu müssen und um hochaufgelöste Aufnahmen zu verbessern, entwickeln Forscher Verfahren, mit denen sich Artefakte kompensieren lassen. Dabei verfolgen sie zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze: die retrospektive Korrektur, die vorhandene Daten nachträglich verbessert, und die prospektive Korrektur. Letztere versucht, die Technik so anzupassen, dass trotz einer Kopfbewegung die richtigen Daten erfasst werden. Beide Ansätze haben bisher jedoch nur Verfahren hervorgebracht, die die Aufnahmedauer erheblich verlängerten.
Wissenschaftler des Darmstädter Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD haben nun ein neues Verfahren zur Bewegungskompensation entwickelt, das prospektive optische Tracking (Promo). Ihr Ansatz gleicht die Nachteile herkömmlicher prospektiver Verfahren aus, erhöht die Qualität der Scans und verringert gleichzeitig die Aufnahmezeit.
Einsetzen lässt es sich im Bereich einer Sonderform der MRT, der funktionellen Kernspintomogaphie (fMRT). Mit der fMRT weisen Neurologen und Neuropsychologen im klinischen Alltag nach, ob bestimmte Gehirnregionen richtig durchblutet sind.
Die Grundidee der Fraunhofer-Forscher ist, unmittelbar vor jeder Aufnahme die aktuelle Kopfposition des Patienten innerhalb weniger Millisekunden zu ermitteln, die Position dem scanner-internen Koordinatensystem mitzuteilen und das Field of View, also den Aufnahmebereich des Scanners, automatisch an die jeweilige Kopfposition anzupassen.
„Dazu haben wir den MRT-Scanner mit einem optischen Tracking-System verbunden“, erklärt Christian Dold, verantwortlicher Wissenschaftler am Fraunhofer IGD. Das Koordinatensystem des Trackers wird in den physikalischen Koordinatenursprung des MRT transformiert. 60 Mal pro Sekunde stellt das Tracking-System nun mit Sub-Millimeter-Genauigkeit fest, ob sich der Kopf des Patienten innerhalb seiner sechs Freiheitsgrade bewegt hat. Diese Veränderungen zeichnet das Tracking-System auf und gibt sie an das MRT weiter. Das Gerät passt seine Gradienten und die Radiofrequenz kurz vor der Anregung durch die Sequenz an die neuen Positionsdaten des Patienten an.
Das Verfahren profitiert davon, dass ein MRT-Scanner einen bestimmten Volumenbereich erfasst und dieses Aufnahmevolumen frei drehbar ist. „Wir passen einfach die Koordinaten des Scanners laufend an die Koordinaten des Patientenkopfes an. Innerhalb dieses Aufnahmevolumens bleibt der Kopf dann statisch – egal, wie sehr sich der Patient bewegt hat“, erläutert Dold.
Verbesserte Ergebnisse selbst bei bewegungslosen Patienten
Um ein optisches Tracking-System einzusetzen, sind retro-reflektierende Marker erforderlich. Diese werden an einem individuell an den Patienten angepassten Mundstück angebracht.
Diese Methode senkt die Latenzzeit, die zwischen dem Messen der Kopfposition und dem Anpassen im Tomographen verstreicht, auf maximal 20 ms bei einer Genauigkeit von 60 µm. Das Verfahren ist unabhängig von der Aufnahmesequenz und somit von Vorteil für die Sequenzentwicklung.
In Kooperation mit dem Universitätsklinikum Freiburg haben die Fraunhofer-Experten ihr Verfahren mit Patienten getestet. Dabei analysierten die Freiburger Mediziner, wie sich das optische Tracking auf die Qualität der fMRT-Scans auswirkte – bei Patienten, die während des Scans bewegungslos verharrten, bei Patienten, die ihren Kopf leicht bewegten, sowie bei Patienten, die starke und schnelle Kopfbewegungen ausführten.
„Die Untersuchungen haben gezeigt, dass unser Ansatz selbst die Scans von den Patienten verbesserte, die bewegungslos verharrten“, fasst Dold zusammen. Sobald sich Patienten jedoch bewegten, war das optische Tracking das einzige Verfahren, mit dem verwertbare Ergebnisse erzielt werden konnten.
Die höhere Qualität der Scans begründet der Darmstädter damit, dass sich die Bewegungen besser korrigieren ließen als mit herkömmlichen Verfahren und die Daten automatisch registriert werden. Für die Zukunft sei es denkbar, Patienten jeden Alters und Gesundheitszustandes mittels fMRT reproduzierbar zu untersuchen. Das deutsche Patent für das neue Verfahren wurde bereits bewilligt, die Patentierung für die USA läuft. Als nächstes wollen die Wissenschaftler ihr optisches Tracking-System in den Scanner integrieren. Darüber hinaus arbeiten sie daran, eine für den Patienten bequemere Lösung zu finden und in absehbarer Zeit ohne Mundstücke und ohne Marker auszukommen. „Wir haben schon Kontakt zu zwei Industriepartnern“, sagt Dold. „Damit wir einen Prototypen bauen können, suchen wir aber noch einen Investor, der die neue Technik unterstützt.“
Julia Mayer Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, Darmstadt

Ihr Stichwort
• Kernspintomographie / fMRT
• Bildverarbeitung
• Tracking-System
• Patentierung des Verfahrens
Investor willkommen

Retrospektive und prospektive Korrektur
Bei der retrospektiven Korrektur von Scans im Kernspintomographen werden Bewegungsartefakte nach der Aufnahme ausgeglichen. Dafür erfassen Navigatoren parallel zum MRT-Scan, ob und wie sich der Patient bewegt. Diese Methode hat jedoch einen Nachteil: Sie reduziert die Effizienz des Scanners deutlich und verlängert die Aufnahmezeit. Darüber hinaus stehen die Ergebnisse in der Regel erst einige Minuten nach der Aufnahme zur Verfügung.
Bei der prospektiven Korrektur versucht das System, die Bewegung bereits während der Bildaufnahme zu kompensieren. Dazu messen Navigatoren oder bildbasierte Vergleichsmethoden parallel zur Aufnahmesequenz die Kopfbewegung. Das „Field of View“ des Tomographen lässt sich anhand dieser Daten so ausrichten, dass es die Kopfposition des Patienten berücksichtigt. Alle bisher entwickelten prospektiven Korrektur-Methoden erhöhen jedoch – wie die retrospektiven Verfahren – die Untersuchungszeit erheblich.
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