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Liquid Silicone Rubber: Neue Eigenschaften für sensitive Bereiche

Flüssigsilikon
Liquid Silicone Rubber: Neue Eigenschaften für sensitive Bereiche

Liquid Silicone Rubber: Neue Eigenschaften für sensitive Bereiche
LSR-Typen mit niedrigem Reibungskoeffizienten sind bei Spritzen aus LSR gefragt. Ein Ölausschwitzen des Werkstoffs ist hier nicht gewollt (Bild: Wacker Chemie)
In der Medizintechnik werden immer mehr Produkte aus Flüssigsilikon (liquid silicone rubber, LSR) hergestellt. Ein Grund ist das wachsende Angebot an Werkstoffen: Neue LSR-Typen weisen zum Beispiel weniger flüchtige Bestandteile auf oder vulkanisieren schneller aus.

Sabine Koll

Journalistin in Böblingen

Viele Medizinprodukte müssen biokompatibel, langlebig und chemikalienbeständig sein. Zudem müssen sie ihre Eigenschaften in einem erweiterten Temperaturbereich halten, um für ihre Anwender sicher und wirksam zu bleiben. Aus diesem Grund werden immer mehr Produkte im Spritzgießverfahren aus LSR hergestellt. Nach einer aktuellen Studie von Freedonia wird der US-Markt für LSR bis 2023 jährlich um 8,3 % wachsen. Umsatzsteigerungen erwartet das US-Marktforschungsunternehmen vor allem durch die steigende Zahl von LSR-Spezialwerkstoffen, darunter selbstschmierende, selbstklebende und nicht nachvernetzende Typen. Sie verbessern die Verarbeitungseffizienz beim Spritzgießen, indem sie zusätzliche, aufwendige Fertigungsschritte, wie etwa nach dem Aushärten oder Auftragen von Beschichtungen oder Bindemitteln, überflüssig machen.

Freedonia-Analyst Kent Furst ist sich dabei sicher, dass der medizinische Markt für LSR schneller wachsen wird als in allen anderen Branchen – mit dem Effekt, dass der Medizinmarkt in vier Jahren die Automobilindustrie als führendem Markt überholt haben wird. Verstärkt zum Einsatz komme LSR insbesondere für Implantate und mobile Geräte etwa zum Messen von Blutdruck oder Herzfrequenz. Als dritte Gruppe identifiziert Furst neue, zunehmend kleine Medizinprodukte mit komplexeren Designs. LSR eigne sich besonders für die Herstellung von Mikrobauteilen.

Vorteile von liquid silicone rubber für Medizinprodukte

Für Medizinprodukte-Hersteller bietet LSR gegenüber Festsilikon auch Vorteile wie kürzere Aushärtungszeiten durch additionsvernetzende Technologie, höhere Härte, geringere Grat-Neigung, niedrigere Aushärtungstemperaturen und verbesserte Konsistenz und Vorhersagbarkeit zwischen Chargen. „Darüber hinaus ist das Material gut für die Automatisierung geeignet. Das trägt dazu bei, die Kontamination in der Reinraumfertigung zu begrenzen“, so Freedonia-Analyst Furst.

Niedrige Viskosität sorgt für schnelles Füllen der Kavitäten

Dr. Hans Peter Wolf von Dow Silicones Deutschland machte auf dem Silikone Elastomers US Summit 2018 in Cleveland/Ohio darauf aufmerksam, dass LSR gegenüber Festsilikon beim Verarbeiten auf der Spritzgießmaschine den Vorteil hat, dass aufgrund der geringeren Viskosität mehr Kavitäten in kürzerer Einspritzzeit gefüllt werden können. Zudem trage die niedrige Viskosität – LSR kann in der Konsistenz von Wasser bis Honig variieren – dazu bei, dass dünnwandige und komplexe Bauteilformen realisierbar sind. Lange Fließwege im Werkzeug sind für LSR kein Problem.

Dow hat beim neuen LSR-Typ Silastic außerdem die Viskosität weiter verbessert, sodass ein niedrigerer Einspritzdruck und höhere Einspritzgeschwindigkeit möglich sind. Im Vergleich zum Vorgänger-Werkstoff Xiameter könne der Spritzgießer hier die Einspritzgeschwindigkeit verdoppeln.

Neben Standardmaterialien entwickeln die Hersteller zunehmend Spezial-LSR-Werkstoffe. Dazu gehören ölausschwitzende LSR-Typen wie Silastic CV 9204–30 LSR von Dow oder Elastosil LR 3072/50 von Wacker. Nach dem Aushärten und dem Haftungsaufbau bildet sich dabei ein dünner Film aus Silikonöl. Das ausgeschwitzte Öl verleiht dem vulkanisierten Kautschuk eine gleitfähige Oberfläche. Auf diese Weise lässt sich zum Beispiel ein Kabel problemlos durch eine aufgespritzte Einzeladerdichung hindurchschieben.

Bei liquid silicone rubber kann die gleitfähige Oberfläche integriert sein

In der Medizintechnik ist allerdings oft unerwünscht, dass die Oberfläche Öl absondert. Wenn hier Gleitfähigkeit gefragt ist, bieten sich LSR-Typen mit intrinsisch gleitfähigen Oberflächen an wie Silpuran 6760/50. Die Münchner Wacker Chemie AG hat dem Werkstoff nun eine zweite Eigenschaft, verpasst: Selbsthaftung. Somit lässt er sich für Hart-Weich-Verbindungen mit PA oder PBT kombinieren.

Ein weiterer Trend sind niedrigflüchtige (LV), nicht nachhärtende (NPC) LSR, wie sie zum Beispiel Momentive mit Silopren LSR 2640 LV, Dow mit Silastic NPC 9300 und Wacker mit Silpuran 6xxx entwickelt hat. Typischerweise liegt der Gehalt an flüchtigen Verbindungen laut Dow-Fachmann Wolf ohne Nachhärtung bei 0,25 %. Um den Gehalt an flüchtigen Bestandteilen bei konventioneller LSR-Technologie so zu reduzieren, dass er unter den Grenzwerten bleibt, müssen Bauteile in einem Ofen bei Temperaturen von 200 °C nachvernetzt, also getempert, werden – mit dem Nachteil zusätzlicher Prozessschritte und Handhabung, was zu mehr Kosten und erhöhtem Risiko einer Kreuzkontamination führt.

Dichtungen für Beatmungsmasken aus liquid silicone rubber

Auf der Deutschen Kautschuk-Tagung DKT in Nürnberg im vergangenen Jahr zeigte Spritzgießmaschinenbauer Engel die Fertigung von Dichtungen für Beatmungsmasken mit dem Silastic NPC 9300–50 LSR von Dow. Bei dieser Anwendung kamen das 4-fach-Werkzeug und die Dosieranlage von Elmet.

Wacker bietet seit Anfang 2019 LSR-Typen mit einem um mindestens 90 % verringerten Gehalt an flüchtigen Bestandteilen an. Konkret gilt das für die Produktgruppen Elastosil LR 3xxx, Elastosil LR 6xxx und Silpuran 6xxx, die in Europa hergestellt wurden. Das Upgrade wirke sich nicht auf die mechanischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften des Elastomers aus, wie es heißt. Die gerade in der Medizintechnik so wichtigen Produktfreigaben und Zertifikate behalten somit ihre volle Gültigkeit. Untersuchungen des Münchner Chemiekonzerns zeigen zudem, dass sich auch das Spritzgieß- und Entformverhalten mit der LV-Formulierung nicht ändert.

Vernetzung bei niedrigeren Temperaturen

Eine weitere Entwicklung in diesem Bereich sind Low Temperature Cure (LTC) LSR-Typen, die bereits bei Temperaturen von 100 bis 110 °C vernetzen. Innerhalb dieses Temperaturfensters verlangsamt sich die Aushärtung bei konventionellem LSR deutlich. Die Vorteile der neuen LTC-Werkstoffe: Sie lassen sich im Zwei-Komponenten-Spritzgießverfahren mit thermosensitiven Thermoplasten wie PE oder PP zu Hart-Weich-Verbindungen verarbeiten. Außerdem ermöglichen sie das Einarbeiten von pharmazeutischen Wirkstoffen oder empfindlichen Elektronikkomponenten.

Laut Dow-Manager Wolf werden beim Silastic LTC LSR dennoch Topfzeiten von mehr als 72 Stunden erreicht. Die Topfzeit besagt, wie lange das LSR, das aus zwei sich vernetzenden Komponenten an der Spritzgießmaschine gemischt wird, pumpfähig bleibt. Die LSR-Verarbeitung stellt Spritzgießer nämlich vor die Herausforderung, dass die beiden Komponenten nach dem Mischen schnell anvernetzen, sodass das Material nach dem Mischen in den Maschinen über das Wochenende gegebenenfalls nicht mehr pumpfähig ist, ohne dass mit frischem Material gespült werden muss.

Auf der Fakuma vor zwei Jahren hat Dow gemeinsam mit Engel den Einsatz von Silastic LTC 9400–50 LSR für die Fertigung eines Entlüftungsventils für Getränkeflaschen gezeigt. Die im Durchmesser rund 50 mm großen Entlüftungsventile wiesen eine geometrisch komplexe Struktur mit wechselnden Wanddicken auf.


3D-Silikonmodell einer menschlichen Leber. Die neue Generation des Aceo K2-Druckers kann bis zu vier verschiedene Silikone gleichzeitig drucken
(Bild: Wacker Chemie)

Additive Fertigung mit LSR

LSR kommt mittlerweile auch in der additiven Fertigung zum Einsatz. In den vergangenen Jahren haben Dow und Wacker LSR-Typen für 3D-Drucker entwickelt. Ende 2016 führte Dow Evolv3D LC 3335 LSR ein, das für den 3D-Drucker von German Reprap entwickelt wurde. Wacker geht hingegen den Weg, als Dienstleister aufzutreten und hat dafür eine neue Druck-Technologie, den passenden industriellen 3D-Silikondrucker und die erforderlichen Werkstoffe entwickelt – und bietet die Dienstleistung unter der Marke Aceo an. Die neue Gerätegeneration, die auf der K 2019 vorgestellt wird, kann bis zu vier verschiedene Silikonmaterialien gleichzeitig drucken. Dadurch lassen sich Objekte in Farbe und mit Silikonen unterschiedlicher Härte herstellen. Mittels bildgebender Verfahren erfasste Tumore oder Gefäßerkrankungen können damit jetzt farblich hervorgehoben und in verschiedenen Härtegraden realitätsnah nachgebildet werden. Dadurch können sich Chirurgen gezielt auf die Operation vorbereiten und mögliche Komplikationen besser einschätzen. Neu ist beim 3D-Drucker von Wacker auch eine Auto-Control-Funktion: Das Gerät misst die bei jedem Druckgang aufgetragene Silikonschicht und vergleicht diese anschließend mit dem Soll-Wert des CAD-Modells. Stellt das Programm Abweichungen fest, werden diese beim nächsten Schichtauftrag automatisch korrigiert.

Weitere Informationen

Dow auf der K 2019:
Halle 8a, Stand K48-1

Elmet auf der K 2019:
Halle 12, Stand E49-5

Wacker auf der K 2019:
Halle 6, Stand A10

 

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