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Keimen bei 40 °C den Garaus machen

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Keimen bei 40 °C den Garaus machen

Sterilisation mit CO2 | Mit einem neuartigen Niedertemperatur-Sterilisationsverfahren auf Basis von superkritischem CO2 lassen sich empfindliche Medizinprodukte sterilisieren. Entwickelt wurde es von österreichischen und deutschen Projektpartnern im Rahmen des Projektes Steriscope.

So ein flexibles Endoskop ist ein Objekt von Wert. 20 000 Euro, 70 000 Euro, 80 000 Euro muss ein Anwender für ein Hightech-Gerät investieren. Eingesetzt werden die Endoskope zumeist, um einen Einblick in die Hohlorgane des menschlichen Körpers zu erlangen. Und wenn das Endoskop dabei nur mit einer von Abermillionen Mikroben besiedelten Darmschleimhaut in Kontakt kommt, reicht es aus, wenn es vor dem Einsatz am nächsten Patienten gereinigt und desinfiziert wird.
Ein flexibles Endoskop zu sterilisieren – also alle Keime darauf abzutöten, wie es im chirurgischen Einsatz erforderlich ist –, ist schon ein größeres Unterfangen. „Dafür gibt es bisher noch kein ideales Verfahren, das sowohl schnell wirkt, schonend genug ist als auch keine Rückstände hinterlässt“, erläutert Dr. Markus Wehrl vom WFK – Cleaning Technology Institute e.V. in Krefeld. „Wenn ein flexibles Endoskop heute sterilisiert werden soll, fährt meist jemand aus der Praxis oder dem Krankenhaus mit dem Gerät zum Sterilisationsdienstleister und übernachtet im Hotel, um das nach etwa 15 Stunden Sterilisationsprozess für die nächste Anwendung einsatzbereite Produkt wieder mitzunehmen.“ Warum dieser Aufwand?
Die Endoskope seien so teuer, dass meist kein Ersatzgerät parat sei. Und die Sterilisation sei zu aufwendig, um selbst eine entsprechende Anlage zu betreiben. Diese Situation sollten die Arbeiten im Projekt Steriscope verbessern. In dieser Ende 2015 abgeschlossenen Machbarkeitsstudie waren österreichische und deutsche Projektpartner angetreten, um ein neues Verfahren zu entwickeln und zu testen, mit dem sich thermolabile Medizinprodukte wie die flexiblen Endoskope schneller, einfacher und ohne die Rückstände toxischer Produkte sterilisieren lassen sollten. „Mit der Sattdampfsterilisation haben wir für hitzestabile Produkte ein bewährtes, zuverlässiges, praktikables und günstiges Verfahren an der Hand“, sagt Wehrl. Bei hitzeempfindlichen Produkten hingegen werden Ethylenoxid, gasförmige Chemikalien wie Formaldehyd oder Gamma-Strahlen eingesetzt. Die entsprechenden Prozesse können zumeist nur in spezialisierten Unternehmen durchgeführt werden, zum Teil mit langen Prozesszeiten, um toxische Rückstände zu entfernen.
Ein Verfahren ohne Rückstände auf den Produkten
„Wir haben gezeigt, dass sich mit einer unbedenklichen Substanz – nämlich Kohlendioxid – unter besonderen Bedingungen alle Bakterien, Bakteriensporen, Viren und Parasiten abtöten lassen, auch in den komplexen Geometrien eines Endoskops“, sagt Wehrl. Im Rahmen des Projektes Steriscope ist dieser Nachweis an Versuchsständen gelungen. Die speziellen Bedingungen ergeben sich aus einer Mischung von Kohlendioxid, Wasser, einigen „toxikologisch relativ unbedenklichen Additiven“ und vor allem aus dem hohen Druck von 85 bis 100 bar, unter dem das Kohlendioxid bei etwa 35 bis 40 °C im superkritischen Zustand vorliegt. Was genau Bakterien, Viren oder Parasiten den Garaus macht, werde in vielen Publikationen diskutiert, wobei verschiedene Mechanismen angenommen werden. Niedriger pH-Wert, Druck, das Komplexieren zweiwertiger Metallionen, CO2, das durch die Membran in die Zellen gelangt – all das greift ineinander. Am Ende jedenfalls regt sich am Sterilgut nichts mehr – „das haben wir nachgewiesen.“
Die Idee, superkritisches CO2 (SCCO2) zu testen, ergab sich aus einem vorhergehenden Projekt zur Reinigung von Endoskopen. Schon damals gab es Anhaltspunkte dafür, dass SCCO2 auch eine Sterilisation ermöglichen könnte. Allerdings zeigte sich, dass die aus handelsüblichen Materialien gefertigten Endoskope selbst CO2 aufnahmen. Und wenn der Druck zum Prozessende nicht außerordentlich langsam gesenkt wurde, gaste das Kohlendioxid aus und bildete Blasen, die die Geräte schädigten. „Damals hätten wir etliche Stunden gebraucht, um die Endoskope sicher wieder auf Normaldruck zu bringen.“
Für das Projekt Steriscope hatten die Partner sich daher zwei Ziele gesetzt: ein neues Niedertemperaturverfahren zu entwickeln und seine Wirksamkeit nachzuweisen sowie zu Werkstoffe zu kommen, die wenig CO2 aufnehmen und auch bei schnellerem Druckabfall zum Ende des Prozesses weniger gefährdet sind.
Solche Kunststoffe für medizinische Geräte erarbeiteten die österreichischen Partner von der Montanuniversität Leoben im Projekt. Materialien, die bisher für Endoskope eingesetzt wurden, haben sie mit Nanofüllstoffen modifiziert. Das verbesserte die Barriereeigenschaften und die Diffusionsdichte. Laut Wehrl reichen 2 bis 5 % nanoskaliger Füllstoffe aus, um die Materialien für das neue Niedertemperatur-Sterilisationsverfahren geeignet zu machen. „Elektronenmikroskopische Untersuchungen zeigten, dass die neuen Nanokomposit-Materialien eine wiederholte CO2-Behandlung überstanden“, sagt der Krefelder.
Die Voraussetzungen sind somit gegeben, thermolabile Produkte aus den neuen Werkstoffen herzustellen und bei einer Temperatur unter 40 °C in mittlerweile 1 bis 2 h Prozessdauer zu sterilisieren. Einen Prototypen für den Sterilisator gibt es zwar noch nicht, aber Interesse aus der Industrie. Fünf bis zehn Jahre könnten noch ins Land gehen, bis sich das Verfahren in der Breite einsetzen lasse. Die Ergebnisse aus dem Projekt stehen jedenfalls allen Interessenten für weitere Entwicklungen offen.
Mehr über das Projekt Steriscope (PDF-Datei):hhttp://bit.ly/29OMRCE
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