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„Innovationen allein garantieren nicht mehr den Erfolg“

Studie zur Marktentwicklung: Wie die Branche im Jahr 2020 tickt
„Innovationen allein garantieren nicht mehr den Erfolg“

In einer weltweiten Studie der Unternehmensberatung Bain & Company wird „Das Ende der Gesundheitswirtschaft … wie wir sie kennen“ bis zum Jahr 2020 vorhergesagt. Dr. Norbert Hültenschmidt erläutert einige Trends und Konsequenzen daraus.

Herr Dr. Hültenschmidt, warum sollte sich der Gesundheitsmarkt bis 2020 bis zur Unkenntlichkeit verändern?

In den letzten Dekaden waren die Gesundheitssysteme in allen großen Industrienationen sehr resistent gegen drastische Veränderungen. Immer fanden sich politische, soziale oder emotionale Argumente, die gegen sinnvolle Neustrukturierungen sprachen. Doch jetzt sind die Haushalte am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen, und der Kostendruck steigt.
Welche Rolle spielen Innovationen vor diesem veränderten Hintergrund?
Sie werden anders bewertet und sind kein Garant mehr für den Erfolg. Natürlich wird es auch 2020 noch große Innovationen geben, mit denen sich überdurchschnittliche Margen erzielen lassen. Doch werden es insgesamt weniger sein, weil die existierenden Präparate und Technologien bereits einen so hohen Standard erreicht haben, dass viel Aufwand nur noch zu geringen Verbesserungen führt. Weil man den Hintergrund der Krankheiten auf molekularer Ebene immer besser versteht, wird auch die Entwicklung in Richtung personalisierter Medizin voranschreiten. Wenn auf das Individuum besser eingegangen wird, wächst die Zahl von Behandlungen, Medikamenten und Geräten – was weniger Platz lässt für einzelne Blockbuster-Produkte mit Milliarden-Umsätzen.
Was heißt das für die Unternehmen?
Wenn sie auf Innovationen ausgerichtet sind, müssen sie ihr Geschäftsmodell komplett überdenken. Wer künftig noch als klassischer Innovator agieren will, braucht ein ausgefeiltes Risikomanagement, um die gestiegenen F&E-Risiken kontrollieren zu können. Die meisten Unternehmen werden sich zu Gesundheitskonglomeraten diversifizieren, sich als Gut-Genug-Hersteller auf eine markt- und kostenorientierte Produktion konzentrieren oder attraktive Nischen erschließen.
Wie wirkt sich der Kostendruck im Gesundheitswesen auf der Ebene der Produkte aus?
Behandlungserfolge werden transparenter, weil im Jahr 2020 Krankenversicherungen und Gesundheitsbehörden elektronische Patientendaten auswerten können. Das zeigt, was Behandlungen kosten und wie gut sie helfen. Die Träger werden versuchen, nur Behandlungen mit nachgewiesen positiver Kosten-Nutzenbilanz zuzulassen. So verliert zum Beispiel der Arzt als Entscheider an Bedeutung. Zugleich fördert dieser Trend den Markt für Gut-Genug-Produkte: Es werden Lösungen Erfolg haben, die medizinisch bewährt sind und vor allem nach Kosten-Nutzen-Aspekten entwickelt wurden. Vorboten dieser Entwicklung sind bereits heute sichtbar, und der weltweit zunehmende Sparzwang der öffentlichen Hand und ihrer Gesundheitssysteme beschleunigt diese Entwicklung. Neben dem rasant wachsenden Angebot an Generika werden übrigens aus Schwellenländern zunehmend günstige Medizinprodukte auf westliche Märkte drängen, wie zum Beispiel Stents aus China.
Patienten, die Behandlungen und Produkte aus der eigenen Tasche zahlen, gelten als ein Faktor für weiteres Wachstum…
Aus der wachsenden Macht der ‚engagierten Patienten‘, wie wir das nennen, ergeben sich nach unserer Einschätzung tatsächlich Chancen: 2020 werden Zuzahlungsmodelle und Basis-Krankenversicherungen, bei denen die Patienten alle Extras selbst tragen, verbreiteter sein als heute. Über professionelle Patienten- und Krankheitsportale informieren sie sich über ihre Krankheit und die möglichen Heilungsmethoden – vor allem die Chroniker. Das macht Patienten zu sehr gut informierten Kunden, die selbst Nachfrage erzeugen – und es schafft neue Märkte zum Beispiel für Zusatzbehandlungen, Health-Food oder Telemedizin.
Wie sicher sind Ihre Prognosen?
Der Gesundheitsmarkt 2020 kommt nicht über Nacht, vieles hängt natürlich von der nationalen Politik ab. Doch der Veränderungsdruck ist inzwischen so groß, dass der Umbau letztlich nur eine Frage der Zeit ist. Pharma- und Medizintechnikhersteller müssen also jetzt beginnen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es ist Zeit, Szenarien durchzuspielen, Konzepte zu entwickeln und durch Pilotprojekte erste Erfahrungen zu sammeln sowie die richtigen Kompetenzen aufzubauen
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Bain & Company bezeichnet sich als eine der weltweit führenden Strategieberatungen. Basis für die Ableitung der Markttrends und Implikationen ist die langjährige Branchenerfahrung der Studienautoren – Bain-Partner aus Europa, den USA und Asien, deren Erfahrung das gesamte Spektrum des Gesundheitswesens abdeckt. Um die Veränderungsprozesse abzuleiten, hat Bain eine Umfrage unter Ärzten in den USA durchgeführt und zahlreiche Experten interviewt. Breit angelegte Sekundärforschung diente dazu, die identifizierten Veränderungsprozesse mit Daten und Fallbeispielen zu hinterlegen. Die komplette Studie ist im Internet kostenlos verfügbar unter www.bain.de/home/publikationen/studien/chemie,_pharma,_gesundheitswesen,_medizintechnik.htm
Wachsende Macht der Patienten bietet neue Chancen

Strategische Alternativen
Die Grundlage für den unternehmerischen Erfolg von Pharma- und Medizintechnikunternehmen waren bisher Präparate und Geräte mit überlegener Leistung. Künftig werden sich nach Einschätzung von Bain & Company erfolgreiche Unternehmen durch eine optimale Kosten-Nutzenrechnung auszeichnen. Vier prototypische Geschäftsmodelle hätten demnach im Jahr 2020 gute Erfolgsaussichten.
Netzwerk-Innovatoren:
Sie führen die Tradition der klassischen Produkt-Innovatoren fort, jedoch mit rigorosem Kosten- und Risikomanagement. Große Forschungsabteilungen werden in kleine, agile Forschungszentren aufgeteilt. Diese entwickeln nicht mehr isoliert, sondern in einem Netzwerk mit anderen Unternehmen und Institutionen. Die externen Partner arbeiten hier als Auftragnehmer oder in Risk-Sharing-Modellen, um die Risiken der Produktentwicklung auf mehrere Schultern zu verteilen. Gleichzeitig sorgen Meilensteine für klar definierte Ausstiegsschwellen.
Gut-Genug-Anbieter:
Diese Unternehmen konzentrieren sich auf die kostengünstige Herstellung von Produkten mit ausreichenden Qualitätsstandards. Sie bieten den niedrigsten, aber über jeden Zweifel erhabenen Standard für die jeweilige Zielgruppe. Weil die Kunden bestimmen, was der für sie akzeptable Standard ist, gehört exzellente Kundenkenntnis zwingend zu diesem Geschäftsmodell. Ebenso sind eine führende Kostenposition bei Herstellung und Vertrieb und eine schnelle Produktentwicklung notwendig, um ausreichend profitabel zu arbeiten und Änderungen bei Kunden- und Marktstandards schnell umzusetzen.
Gesundheits-Konglomerate:
Sie entstehen aus klassischen Innovatoren, die ihre hohen Forschungs- und Entwicklungsrisiken durch Diversifikation ausgleichen. Sie arbeiten vor allem in Geschäftsbereichen mit attraktivem Cashflow, die die F&E-Tätigkeit dauerhaft finanzieren können. Markt-Knowhow und eine entsprechend starke Merger&Acquisitions (M&A)-Abteilung im Unternehmen ermöglichen Zukäufe aus Randbereichen und Verkäufe, wenn Portfoliokriterien nicht mehr erfüllt werden. Mittelfristig bauen Gesundheits-Konglomerate auf Synergien in ihren Geschäftsfeldern, etwa durch gemeinsam genutzte Länderorganisationen, Kompetenzen und Forschungseinrichtungen.
Adjacency-Player:
Ihre Unternehmensführung ähnelt der von Private-Equity-Fonds der neuen Generation, die sich auch operativ engagieren. Sie nutzen ihre Branchenkompetenz, um laufend überdurchschnittlich attraktive und neue Gesundheitsmärkte zu identifizieren. Hierfür stellen sie interessante Unternehmensportfolios zusammen und entwickeln sie weiter. Um erfolgreich kaufen, entwickeln und wieder verkaufen zu können, brauchen Adjacency-Player ein sehr gutes Kunden- und Marktverständnis sowie gute M&A-Fähigkeiten.

Ihr Stichwort
  • Marktentwicklung
  • Kostendruck
  • Neue Strategien für Medtech-Unternehmen
  • Patient als Kunde
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